Hätten wir nur auf Ludwig von Mises gehört

Zum Tag der Arbeit: Eine kleine Replik auf Armin Thurnher.

»Everything brought forward in favor of Socialism during the
last hundred years, in thousands of writings and speeches, all
the blood which has been spilt by the supporters of Socialism,
cannot make socialism workable. «

Ludwig von Mises, 1922

Die Toten können sich ja nicht wehren. Zumindest dürfte "Falter"-Chef Armin Thurnher das so sehen. Denn anders ist sein mehrfach verunglückter Seitenhieb auf die toten österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek im aktuellen "Falter" nicht zu erklären.

Thurnher schreibt: "Wie wäre es, wenn der österreichische Staat und wenn österreichische private Stifter ordentlich Geld in die Hand nähmen, um mit der Gründung eines Lehrstuhls und eines Instituts an der WU eine andere historische Schuld Österreichs zu korrigieren? Ich denke an die nach den Österreichern Friedrich August von Hayek und Ludwig von Mises so benannte Austrian School of Economics, an deren Folgen die Welt heute mehr leidet denn je."

Dieser Absatz hat mich verwirrt, verstört und traurig gemacht. Ich schätze Armin Thurnher durchaus, auch wenn wir in vielen Dingen nicht einer Meinung sein dürften. Seine Kurse an der Fachhochschule für Journalismus in Wien sind mir in guter Erinnerung, seine Lektionen über die Vermeidung von Phrasen beim Schreiben gehörten sicherlich zu den hilfreichsten. 

Vielleicht kann ich den entsprechenden Absatz auch deswegen nicht unkommentiert stehen lassen. Die toten Österreicher Hayek und Mises, sowie alle aktuellen wie vergangenen Vertreter der "Österreichischen Schule" haben sich ein paar Widerworte verdient - auch wenn ich selbst sicherlich auch nicht der größte Experte auf dem Gebiet bin.

Die Enstehung der "Österreicher"

Fangen wir beim Namen an. Die "Österreichische Schule" wurde nicht wegen Mises und seinem Schüler Hayek so benannt. Der Begriff stammt aus dem "Methodenstreit", der Ende des 19. Jahrhunderts zwischen den Vertretern der damals jungen Grenznutzenschule und der vor allem in Deutschland dominanten Historischen Schule.

Carl Menger, Eugen Böhm von Bawerk und Friedrich von Wieser waren damals die Anführer des österreichischen Flügels der Grenznutzenschule, die gleichzeitig auch in der Schweiz und im angloamerikanischen Raum Fuß fasste. Die deutschen Gegner von Menger und Co. verpassten ihnen damals das Label "Österreicher" - was abwertend gemeint war. Ironie der Geschichte: Die deutsche Historische Schule verschwand nach ihrer Niederlage, die "Österreicher" blieben. Es war sozusagen ein ökonomisches Cordoba, was da geschah - und die Sache mit den Grenznutzen gilt bis heute.

Aber schon die heutige Popularität des englischen Begriffs von der "Austrian" School zeigt, dass die "Österreicher" im eigenen Land von Anfang an einen schweren Stand hatten, was sich ja offensichtlich bis heute gehalten hat.

Mises, der nach Menger und Böhm-Bawerk schon die dritte Generation der "Österreicher" anführte, spielte zwar im Chaos nach dem Ende des ersten Weltkrieges eine wichtige öffentliche Rolle und publizierte unter anderem in der "Neuen Freien Presse". Er stand auch in Kontakt mit Otto Bauer, den er damals (nach eigenen Angaben) vom Bolschewismus abbringen konnte, und war Chefökonom der damaligen Wirtschaftskammer. Er gründete das heutige Wifo, zu dessen Chef er seinen Schüler Hayek machte. Noch so eine Ironie der Geschichte.

Mises flüchtete vor den Nazis

Aber eine ordentliche Professur an der Uni Wien war Mises immer verwehrt - wobei der in den 20er und 30er-Jahren bereits stark verbreitete Antisemitismus im österreichischen Establishment sicherlich eine Rolle gespielt hat. Ab 1934 arbeitete der Jude Mises in der Schweiz. Nach dem Anschluss Österreichs emigrierte er 1940 dann in die USA. 

Sollte Thurnher mit der Erwähnung der "historischen Schuld Österreichs" die "Österreichische Schule" irgendwie mit den Nazis in Verbindung bringen wollen (was ich angesichts der Aufladung dieser Phrase befürchte), so muss ich laut protestieren. Der Jude Mises musste vor den Nazis flüchten. Die Gestapo plünderte seine Wohnung in der Wollzeile kurz nach dem Anschluss 1938. Die damals erbeuteten Dokumente wurden 1996 - nach dem von Mises vorhergesagten Kollaps des Kommunismus - ironischerweise in Moskau wieder entdeckt. Der Ökonom selbst starb aber schon 1973 in dem Glauben, sein Archiv sei von den Nazis zerstört worden.

Keine andere mir bekannte Denkschule steht den grausamen Exzessen totalitärer Ideologien wie dem (rechten und linken) Sozialismus so fern wie der Liberalismus. Mises selbst hat schon 1922 mit "Die Gemeinwirtschaft" schlüssig dargelegt, warum Sozialismus nicht funktionieren kann und aufgrund seiner totalitären Wirtschaftsstruktur auch zu totalitären Staatsstrukturen führen muss.

»The Nazis were after Mises not only because he was Jewish, but because he was a brilliant, outspoken opponent of social engineering and central planning. Mises championed a free-market economy as the best way to protect individual liberties, spur innovation and raise living standards. He argued that Germany's spiraling inflation was a result of government mismanagement of monetary and banking systems. As a result, Ebeling notes, "both fascists and communists hated him."«

Steve Mariotti, HuffPo

Mises wurde von der Geschichte seither hunderte Male bestätigt, was die "Intellektuellen" freilich nicht davon abhält, diesen giftigen Wein bis heute in immer neue Schläuche zu füllen. Hayek schrieb in Großbritannien während in den Jahren 1940 bis 1943 "Der Weg zur Knechtschaft", wo er auf Mises' Arbeit aufbaute. "Der Weg zur Knechtschaft" war als eindringliche Warnung an die Engländer gedacht, den Versuchungen der (National)Sozialisten nicht nachzugeben - sollte uns aber auch heute noch zu Denken geben.

»It is certain that many intellectuals envy the higher income
of prosperous businessmen and that these feelings drive them
toward socialism. They believe that the authorities of a socialist
commonwealth would pay them higher salaries than those
that they earn under capitalism. (...) There are people to whom monetary calculation is repulsive.
They do not want to be roused from their daydreams by
the voice of critical reason. Reality sickens them, they long for
a realm of unlimited opportunity. They are disgusted by the
meanness of a social order in which everything is nicely reckoned
in dollars and pennies. «

Ludwig von Mises, 1940

Die Austrians wurden immer ignoriert

Auch deswegen, weil Thurnhers dritte Feststellung ebenfalls nicht standhält. Er schreibt, wir würden auch heute "an den Folgen der Austrian School leiden". Nichts liegt der Wahrheit ferner. Im Gegenteil leiden wir heute an den Folgen der kompletten Missachtung der "Austrian School". Der Vorschlag, man müsse an der WU einen neuen Anti-Austrian-Lehrstuhl einrichten, entbehrt deshalb nicht einer gewissen Komik.

Denn genauso wie am Wifo werden sie auch an der WU kaum einen Professor finden, der die Austrians mehr als nur am Rande erwähnt. Und kaum einen Studenten, der ein Mises-Buch in der Tasche hat. (Bitte, sollte ich hier falsch liegen, melden Sie sich, wer auch immer Sie sind! Ich lasse mich gerne aufklären.)

Es stimmt sicherlich, dass die "Austrians" nach der Krise von 2008 vor allem durch das Internet eine kleine Renaissance erlebt haben. Aber das liegt vor allem daran, dass sie schon lange in vielem recht hatten und trotzdem systematisch ignoriert wurden. Der von Thurnher befürchtete breite Einfluss der "Austrians" existiert einfach nicht. 

Ad hoc fallen mir nur das Kings College in London und die Uni von Madrid ein, wo man explizit "Austrian Economics" studieren kann. Und ich kenne genau zwei Politiker auf dieser Welt, die man ersthaft als "Austrians" bezeichnen kann: Ron Paul und Frank Schäffler von der FDP. Über Rand Paul, Rons Sohn und Präsidentschaftskandidat, weiß ich nicht genug - aber es ist davon auszugehen, dass die Ansichten seines Vaters abgefärbt haben.

Probleme mit Mises und Hayek

Natürlich hatten auch Hayek und Mises nicht immer recht. Sie waren auch nur Menschen. Und ich will hier keineswegs die beiden wundesten Punkte von Hayek und Mises aussparen. Hayek hat sich in seinen späten Jahren durch positive Aussagen zum chilenischen Dikator Pinochet, der von den USA unterstützt wurde, wahrlich in kein gutes Licht gestellt. 

Mises wiederum hat 1927 den Faschismus gegenüber dem Bolschewismus als das geringere Übel beschrieben, was ihm weder Attac, noch die Arbeiterkammer oder der Falter je verzeihen werden, wie sie in der gemeinsam gestalteten verlinkten Ökonomiebeilage gezeigt haben.

Das riesige Gesamtwerk Mises', sein Leben und seine Karriere zeigt aber, dass die Einordnung des jüdischen Ökonomen als "Faschistenfreund" grotesk ist. Alle Anhänger totalitärer Ideologien, die Faschisten wie die Kommunisten, hassten Mises - weil er ihnen die Unmöglichkeit ihres Vorhabens vorgerechnet hat. Seine Aussagen zum Faschismus heute aus dem Zusammenhang zu reißen und ihn ins braune Eck zu stellen, wie das der Falter in einer von der Arbeiterkammer finanzierten Beilage in einem Beitrag aus der Feder eines Attac-Aktivisten getan hat, ist durch schlampige Recherche alleine nicht zu entschuldigen. Erst recht, da Mises ohnehin schon 1927 sehr viel konkreter auf das Thema eingegangen ist, was seine Gegner freilich gerne vergessen, weil es nicht in ihren waghalsigen Narrativ passt.

»Repression by brute force is always a confession of the inability to make use of the better weapons of the intellect — better because they alone give promise of final success. This is the fundamental error from which Fascism suffers and which will ultimately cause its downfall. The victory of Fascism in a number of countries is only an episode in the long series of struggles over the problem of property. The next episode will be the victory of Communism. The ultimate outcome of the struggle, however, will not be decided by arms, but by ideas. It is ideas that group men into fighting factions, that press the weapons into their hands, and that determine against whom and for whom the weapons shall be used. It is they alone, and not arms, that, in the last analysis, turn the scales.
So much for the domestic policy of Fascism. (...) Fascism was an emergency makeshift. To view it as something more would be a fatal error.«

Ludwig von Mises, 1927

Hayek ist ein schwierigerer Fall. Sein Hauptwerk gilt bis heute nicht ohne Grund als Meisterleistung - gerade auf dem wichtigen Gebiet der monetären Theorien hat er seinen Lehrmeister Mises noch ergänzt. Sein Spätwerk hat ihn in die Nähe des Neoliberalismus gerückt. Und diese Schule sehe ich als ganz genauso problematisch an, wie Thurnher und viele andere Linke - sofern wir vom Monetarismus sprechen und nicht vom deutschen Neoliberalismus, der ja unter anderem die Soziale Marktwirtschaft hervorgebracht hat.

Die Sache mit dem Neoliberalismus

Der "Neoliberalismus" des späten 20. Jahrhunderts, den Thurnher, Misik, Attac, Marterbauer, Schulmeister, Varoufakis und viele andere vollkommen zurecht kritisieren, war nichts anderes als die logische Konsequenz eines von der Realität komplett abgekoppelten Geldsystems. Er lieferte den notwendigen ideologischen Unterbau zur fortgesetzten Inflationierung eines Systems, das nur diese eine Richtung kennt. Der Keynesianismus, dem diese Rolle normalerweise zukommt, steckte Ende der 70er-Jahre in einer Krise, weil man sich das gleichzeitige Auftreten von hoher Inflation und hoher Arbeitslosigkeit (Stagflation) nicht erklären konnte. 

Mises hat das Ende des klassischen Goldstandards schon zu seiner Zeit beklagt, aber tatsächlich gab es noch bis 1971 die zumindest theoretische Disziplinierung des Systems durch die Bindung des US-Dollars an Gold. Wer Mises gelesen hat, wundert sich weder über die beschleunigten Boom-Bust-Zyklen nach 1971, noch die galoppierende Inflation oder die extreme Umverteilung von Kaufkraft von unten nach oben. All diese Prozesse haben die Austrians schon Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts bis ins Detail erklärt. Der von mir gern erwähnte Richard Cantillon hat die umverteilende Wirkung der Papiergeld Inflation sogar schon Anfang des 18. Jahrhunderts erkannt und beschrieben - und gilt heute als Vorläufer der Austrians.

»Government spending cannot create additional jobs. If the government provides the funds required by taxing the citizens or by borrowing from the public, it abolishes on the one hand as many jobs as it creates on the other. If government spending is financed by borrowing from the commercial banks, it means credit expansion and inflation. If in the course of such an inflation the rise in commodity prices exceeds the rise in nominal wage rates, unemployment will drop. But what makes unemployment shrink is precisely the fact that real wage rates are falling.«

Ludwig von Mises,

Ohne Mises, Hayek und die Austrian School würden wir heute vollkommen blank dastehen, weil die vorherrschenden ökonomischen Schulen und die vielen Bücher-schreibenden Wunderheiler die monetären Exzesse der Zentralbanken und ihre fatalen Folgen schlicht und einfach nicht erklären können. Im Gegenteil: Sie feuern sie an, weil seit 1913 jeder Zweifel an der Allmacht der "Währungshüter" aus den Ökonomie-Büchern verschwunden ist. Die Ökonomie ist heute, zumindest im monetären Bereich, zur Cheerleader-Truppe der Banken verkommen.

Wenn Mises und Hayek nicht so systematisch ignoriert worden wären, würden wir heute vielleicht in einer besseren Welt leben - ganz sicher aber in einer anderen. Nicht der Komiker Roubini, sondern Ludwig von Mises ist der echte "Dr. Doom". Er hat schon Anfang des 20. Jahrunderts die Krise erklären können, die wir seit 2000 erleben (2008 war nur eine Erinnerung). Und er würde uns heute sagen, dass sie noch nicht vorbei ist - weil wir nicht und nicht dazulernen wollen. Weil wir nicht akzeptieren wollen, dass Phasen der Inflation und des dadurch vorgezogenen Wachstums durch Phasen der Deflation korrigiert werden müssen. Weil wir immer dieselben Fehler machen und die Blase immer weiter aufblasen.

»There is no means of avoiding the final collapse of a boom brought about by credit expansion. The alternative is only whether the crisis should come sooner as the result of voluntary abandonment of further credit expansion, or later as a final and total catastrophe of the currency system involved.«

Ludwig von Mises, 1949

Kurz: Mises hat schon damals gewusst, dass was wir heute tun nicht funktionieren kann. So gesehen ist es wahrlich kein Wunder, dass die "Austrians" nach dem Krach von 2008 ein kleines Comeback erlebt haben. Den Austrians irgendeine Schuld an der Wirtschaftskrise zuzuschreiben ist jedenfalls höchst abwegig.

Mises wäre auch ein kategorischer Gegner der neoliberalen Exzesse nach der endgültigen Loslösung des Geldsystems vom Gold im Jahr 1971 gewesen. Genauso wie er sich gegen die Verschwendung von Steuergeld für die Bankenrettungen und den monetären Wahnsinn seit 2008 gestellt hätte. Genau deswegen, sind seine alten Texte heute von einer erschreckenden Aktualität.

Fazit

Lieber Herr Thurnher, ich stimme Ihnen zu. Wir sollten "Geld in die Hand nehmen" und neue Lehrstühle in Wien schaffen. Wir sollten uns in Wien wieder auf die großen Söhne der Monarchie (Mises wurde in der heutigen Ukraine geboren) besinnen und ein Ludwig-von-Mises-Institut von Weltrang eröffnen. Dann können wir Österreicher vielleicht wirklich unser Stück zu einer besseren, gerechteren Welt beitragen.

Das passt auch zu Ihrem zweiten Vorschlag, eine neue Österreichische Schule auf der Erkenntnis zu begründen, dass das Individuum, also der Mensch, im Mittelpunkt des wirtschaftlichen Handelns steht. Da kann ich Sie beruhigen. Das ist gar nicht notwendig - denn genau dieser Gedanke steht im Zentrum des gesamten Werks von Ludwig von Mises, dessen Opus Magnum "Human Action" heißt. Die von Ihnen verdammten Austrians haben also exakt Ihren Vorschlag schon vor mehr als hundert Jahren umgesetzt. 

»Only the individual thinks. Only the individual reasons. Only the individual acts.«

Ludwig von Mises, 1922

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