„Du schreibst zu viel und sagst zu wenig“

Wen wundert es, dass es Schüleraufsätzen immer mehr an Tiefe fehlt, wenn wir Erwachsenen vehement daran arbeitet, das Leben sinnzuentleeren?

Eine Frage, die mir oft gestellt wird ist, ob man denn bemerken würde, ob und wenn ja, wie sich „die heutige Jugend“ verändert hätte.

„Die Schüler von heute sind doch alle noch fauler als wir es damals waren“, hört man dann oft als Rechtfertigung für das Nachfragen. „Die können sich doch ohne Handy gar nicht mehr beschäftigen.“ „Und so hätte ich mal versuchen sollen, mit meinen Eltern zu reden!“, wird dann meist noch nachgeladen. "Damals war eben alles anders (und besser)!"

Aber mal ehrlich: Hausübungen waren auch für uns kein Kirtag im Frühling. Und damals waren es halt Ravensburger oder ehapa, die uns über verregnete Herbsttage geschleppt haben. Und wir waren nicht frech? Aber hallo! Frühling, Sommer, Herbst und Winter!

Also alles einigermaßen wie immer, könnte ich jetzt schließen. Doch das wäre zu voreilig, denn neulich habe ich mich wieder einmal dabei ertappt, den Satz „Du schreibst zu viel und sagst zu wenig“ unter einen Schüleraufsatz zu schreiben. Ich wurde stutzig, denn diesen Kommentar habe ich in letzter Zeit öfter auf das Papier gerötet. Also hat sich scheinbar doch etwas verändert: Den Schülern fällt es heute schwer, in einem Aufsatz, einer Interpretation oder einer Erzählung etwa in die Tiefe zu gehen.

Was für eine Überraschung!

Auch wenn die Beobachtung etwas eher Unerwartetes ans Licht brachte, tut es die Suche nach einer möglichen Erklärung nicht. Denn wen wundert es, dass Schülern heutzutage der Tiefgang fehlt?

Leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der ein Bundespräsidentaspirant sagen kann, dass seine Chance auf das höchste Amt im Lande so gut ist, weil er den Kasperl macht, oder in der die Politik sich wochenlang darüber zanken kann, dass ein Zaun in Wirklichkeit ein Leitsystem ist? Leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der ein selbsternannter Rapper auf Youtube nach Belieben den Swag rauf- und runterdrehen kann und in der sich „Göthe“ wegen des bunten Treibens im Kinosaal im Grab umdreht? Leben wir nicht in einer Gesellschaft, in der man dem Kindergartenkind beibringen will, was es heißt, sexuell erregt zu sein, und in der man einen Maturanten keine Interpretation eines lyrischen Textes schreiben lassen darf?

Und weiter: Hat unsere Gesellschaft nicht längst verlernt, nach Freude zu suchen, weil sie sich mit Spaß zufrieden gibt? Hat unsere Gesellschaft nicht längst verlernt, ihre Umgebung zu verändern, weil sie sich damit abgefunden hat, von den Umständen geformt zu werden? Hat unsere Gesellschaft nicht schon längst verlernt, Entscheidungen zu treffen, weil sie sich alle Optionen offen halten will?

Unsere eigenen Werte sind längst wertlos geworden und unsere Inhalte leer. Wen wundert es dann noch, dass selbst unsere eigenen Kinder diese nicht mehr erwähnenswert finden?

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