Warum Sitzenbleiben abschaffen nicht genug ist

Notenschluss heißt für viele österreichische Schüler auch Schluss mit lustig. Sie dürfen wahrscheinlich eine Ehrenrunde drehen. Aber wohl nicht mehr lange. Doch gehen wir hier den richtigen Weg?

Was haben Niki Lauda, André Heller, Otto von Bismarck, Thomas Mann, Thomas Edison und Uwe Ochsenknecht gemeinsam? Genau. Sie sind in ihrer schulischen Laufbahn zumindest einmal sitzen geblieben.

Doch genauso wenig wie man sagen kann, dass schulbankdrückende Querulanten zwingend großartige Weltveränderer werden (um auf einen der Kommentare auf einen meiner letzten Einträge einzugehen), kann man jetzt sagen, dass genannte Charaktere aufgrund des Sitzenbleibens zu dem gelangten, wofür sie heute bekannt sind. Ich würde eher sagen, dass sie TROTZ des Sitzenbleibens dorthin gelangt sind.

Rote Zahlen

Denn die Statistik spricht eindeutig gegen das Sitzenbleiben*. Vor zwei Jahren gab es in Österreich mehr als eine Million Schüler. Davon waren am Ende des Schuljahres 34.200 Schüler nicht aufstiegsberechtigt (zwei Drittel von ihnen waren „Kevins“ und „Maximilians“).

Einige von ihnen, sofern sie die Schulpflicht bereits hinter sich gelassen haben, nehmen ein „Nicht aufstiegsberechtigt“ in der Regel zum Anlass, den Schulranzen ins Eck zu stellen und sich im Berufsleben zu bewähren. Jene, die sich noch einmal die Ehre geben, sind dabei mäßig erfolgreich: Jährlich kommen etwa 40 Prozent der Repetenten der Oberstufen unseres Landes auch beim zweiten Anlauf nicht positiv über die Runden.

Der Kern des Problems

Warum sollten sie auch? „Mit Sitzenbleiben werden Schüler bestraft, aber nicht besser,“ wie Andreas Schleicher, der Koordinator der Pisa-Studie, meint. Wie sollten sie auch besser werden? Wenn ein System beim ersten Mal nicht erfolgreich ist, warum sollte es beim zweiten Mal plötzlich funktionieren?

Das Argument, dass „der Stoff bei der Wiederholung neu und anders rezipiert und nachhaltig verankert [wird]“, wie es etwa vom deutschen Philologen Bernd Saur geäußert wurde, entpuppt sich in Wirklichkeit als Wunschgedanke. Denn „wir wissen aus der Praxis und aus der Forschung, dass schlechte Noten in der Schule vor allem etwas mit der Haltung zur Schule und mit der Art zu lernen zu tun haben“, wie Andreas Stoch, ehemaliger baden-württembergischer Kultusminister (SPD) anmerkt. „Sie sind oft mehr Ausdruck von fehlender Motivation als von fehlenden Fähigkeiten.“ Und diese ändert sich nun eher selten zum Positiven, wenn unmotivierte Schüler gezwungen werden, ein Jahr länger das zu tun, wofür sie eigentlich keinen Kopf haben.

Wie gut ist die Richtung?

Auch wenn manchen Schülern das Damoklesschwert des Durchfallens helfen kann**, ist Sitzenbleiben sicherlich keine Wunderwaffe für schwache „Kevins“ und „Jaquelines“. Diese müssen viel eher individuell gefördert werden. Man müsste es schaffen, sie für das Lernen zu begeistern. Oder in ihnen das Feuer zu entfachen, die Welt verändern zu wollen. Umlagern bringt da gar nichts. Oder gar abschieben. Das hat man in Österreich inzwischen auch erkannt und man schafft das Durchfallen schrittweise ab.

Doch bewegen wir uns mit diesen Maßnahmen auch in die richtige Richtung? Ich fürchte nicht. Zu hoch ist die Gefahr, dass wir das Wiederholen abschaffen, aber auf den Rest vergessen.

* Und damit meine ich nicht die knapp 900.000 Euro, die Sitzenbleiben Eltern und den Staat jährlich kosten.

** Bei meiner Zeit an einer Schule, in der es kein Durchfallen gab, habe ich meine leistungsstärksten aber eben auch -schwächsten Schüler unterrichtet. Die guten waren wohl in der richtigen Schule und kamen ganz ohne Druck aus. Die schwachen eben nicht. Für sie wäre die Androhung, sitzen zu bleiben, vielleicht schon Ansporn genug gewesen, ihre Arschbacken zusammenzukneifen und sich mehr zu bemühen.

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