"Sherlock" Staffel drei: Ein Tick neben der Spur

Ich würde sie als die amerikanische Staffel bezeichnen, oder als "M"-Staffel. Die drei Folgen "The Empty Hearse", "The Sign of Three" und "His Last Vow" in der Kurzkritik.

Achtung, Spoiler für alle drei Folgen der dritten "Sherlock"-Staffel.

Zwei Jahre Wartezeit können die Erwartungen hochschrauben, insbesondere, wenn man neuen Folgen einer so schlauen, zeitgeistigen und großartig gespielten Mangelware wie der BBC-Serie "Sherlock" entgegenfiebert. Am 1. Jänner startete die neue Staffel, das sind das zwar auch nur drei Folgen, "The Empty Hearse", "The Sign of Three" und "His Last Vow", allerdings in Spielfilmlänge. Doch hat mich "Sherlock", meiner Meinung nach am besten staffelweise zu beurteilen, diesmal - auf hohem Niveau - enttäuscht. Die dritte Staffel hat zwar Höhepunkte, trifft insgesamt aber den Ton nicht ganz und bleibt hinter Staffel zwei zurück.

Vielleicht leidet "Sherlock" ein bisschen am "Harry Potter"-Problem und versteckt die Lösungen so gut, dass die Plausibilität darunter leidet. Vielleicht will die Serie zu stark ihre Fans zufriedenstellen. Der Spagat zwischen den Erwartungen der Liebhaber der Buchreihe, jenen der Serie (samt der Fanfiction-Fraktion!), den eigenen Ansprüchen und der Herausforderung, einem inzwischen etablierten Format und bekannten Chrakteren neue Seiten abzugewinnen, gelingt nur teilweise.

Ein Teil der Spannung holt "Sherlock", indem Emotionen aus dem "high functioning sociopath" herausgekitzelt werden. Vor allem in dieser Hinsicht ist Staffel drei zu vordergründig, trägt ein bisschen zu dick auf - wie man es aus amerikanischen Formaten gewöhnt ist.

Ich würde sie deshalb als die die amerikanische Staffel bezeichnen, oder als "M"-Staffel - ein M für "Mind Palace" oder für Mary. Schließlich ist die ungeklärte Identität Marys der Handlungsbogen, der sich über alle drei Folgen erstreckt und zum Grande Finale führt.

Insgesamt schließe ich mich einer These aus dem "Guardian" an: Die Serie kulminiere in der starken dritten Folge - darunter leiden allerdings Folgen eins und zwei, hieß es dort. Zwei Folgen lang wird eine erstaunlich humorige und erstaunlich heile Welt aufgebaut, bevor diese mit Marys Enttarnung zum Einsturz gebracht wird. Das tolle Finale entschädigt leider nicht für eine (lediglich) gute erste und eine nur zu zwei Dritteln gute zweite Folge.

Die neuen Folgen in der Einzelkritik:

(c) BBC

"The Empty Hearse"

Folge eins muss die großen Themen der Staffel aufmachen: Wie Dr. John Watson (Martin Freeman) und Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) ihre Freundschaft auch auf Distanz erhalten können. Die familiären Bande samt geschwisterlicher Eifersucht zwischen Mycroft und Sherlock, die Liebesbeziehung zwischen Mary und Watson. Einsamkeit.

Diese Expositionsphase ist erstaunlich witzig (Watsons Schnauzer, Sherlock als Kellner, Graham/Greg Lestrade), vor allem angsichts des düsteren Finales von Staffel zwei. Anfangs überwiegt die Freude, die Serie zurückzuhaben, und der Eindruck, dass die Produzenten mehr Budget für Spezialeffekte ausgegeben haben.

Die größte Herausforderung der Folge gelingt: Die Serie führt mit Mary Morstan eine neue zentrale Figur ein (gespielt von Martin Freemans Lebensgefährtin Amanda Abbington), ohne sich beim Publikum anzubiedern.

Enttäuschend fand ich aber die Auflösung oder vielmehr Nicht-Auflösung des Cliffhanger-Rätsels: Wie überlebt Sherlock den Sprung? Tatsächlich so, wie er es Anderson schildert? Das würde bedeuten, dass Sherlock Moriarty die ganze Zeit voraus war - und "The Reichenbach Fall" ein einziger Bluff. Fände ich schade.

Insgesamt ist die Folge zu unruhig - und manchmal sogar redundant. Watson wiederholt seine Grabrede, Sherlock seine Wertschätzung für Molly Hooper (übrigens: schöne, zarte Weiterentwicklung der von Louise Brealey gespielten Figur). Das kennt man aus Soaps.

Schönster Moment: Die eindrucksvolle Fantasie, wie das britische Parlament explodiert.

Molly gibt einen Hinweis auf das Finale: Vielleicht seien Soziopathen einfach ihr Typ, sagt sie.

Wir lernen Sherlocks Eltern (das sind übrigens Cumberbatchs Eltern Timothy Carlton und Wanda Ventham) kennen und sie sind ganz anders, als wir erwartet haben. Mycroft und Sherlock beim Kinderspiel: Großartig.

Offene Fragen:

Wie hat Sherlock den Sturz überlebt? Und welche zehn Möglichkeiten gibt es noch?

Mrs Hudson vermietet Sherlocks Wohnung zwei Jahre nicht weiter? Aus sentimentalen Gründen? Angesichts der Wohnungnot und Mietpreise in London sehr unglaubwürdig.

(c) BBC

"The Sign of Three"

Die problematischste Folge der Staffel. Sie fängt gut an, das Konzept, eine ganze Folge als (immer am Fremdschämen grenzende) Best-Man-Rede zu erzählen, ist mutig. Strukturell besonders interessant: Sherlock erzählt von Fällen, löst sie aber nicht auf, sondern springt weiter - die Spannung steigt, während die Erzählungen ineinandergreifen und sich zu einer neuen Geschichte formen. Fantastisch fand ich den Chat als Besuch in Sherlocks "Mind Palace". 

Doch am Schluss ist es wirklich zu viel des Guten. Hochzeit und Schwangerschaft, Liebesbekundungen und ein selbstgeschriebenes Lied, das grenzt an Kitsch.

Offene Fragen: Woher weiß der Chatgast, dass Sherlock auf eine Hochzeit geht?

(c) BBC

"His Last Vow"

Wow - vor allem die erste Stunde ist fantastisch, denn "Sherlock" wagt sich vor und überschreitet die Grenzen des im Rahmen der Serie Vorstellbaren. Nach seinem "Softie"-Ausflug in Folge zwei zeigt sich Sherlock erstaunlich kaltherzig - auch in einem Bereich, in dem wir es nicht erwartet hätten, beim Sex. Emotional jemanden so erfolgreich zu manipulieren, dass er sich in einer Beziehung glaubt, hätten wir ihm nicht zugetraut (deswegen brauchte er ja Watson, man denke an "A Study in Pink" und Mary erinnert ihn in Folge eins: "You don't know anything about human nature, do you?").

Etwas schade: Die Ambiguität, mit der Sherlocks Nicht-Sexualität bisher verhandelt wurde, ist damit wohl Geschichte.

Insgesamt ist "His Last Vow" eine fast perfekte Folge mit unerwarteten Drehungen und Wendungen - und ein klassischer "Sherlock"-Fall: Die Lösung, nämlich Marys Vergangenheit als Serien-Killerin, liegt direkt vor Augen, aber man sieht sie die längste Zeit nicht.

Ich mochte den antiklimatischen Showdown samt kaltblütigem Mord - und die wunderbar unkitschige Verabschiedung Sherlocks von Holmes.

Offene Fragen:

Sherlocks Aufenthalt im Junkie-Haus bleibt ein Rätsel. Er habe nur Drogen genommen, um Charles Augustus Magnussen (Lars Mikkelsen) auszutricksen? Klingt nicht plausibel. Ist er also wieder auf Drogen? Zumindest raucht er beim Weihnachtsbesuch, und einen möglichen Dealer hat er mit seinem schlauen Junkie-Freund Bill Wiggins (Tom Brooke) gleich mitgebracht.

Ehrlich John, erst redest du monatelang nicht mit deiner schwangeren Ehefrau, dann verzeihst du ihr in einem Handstreich und willst nicht einmal wissen, wie sie mit richtigem Namen heißt? Lügen und falsche Identitäten sind sicher der Schlüssel zu einer guten Ehe ...

Haben Mycroft und Sherlock noch einen Bruder? Mycroft deutet das an ("You know what happened to the other one.")

Mollys Geschichte bleibt ungelöst. Interessanter Nebenaspekt: Sie, die Pathologin, ist es, die Sherlock in seinem "Mind Palace" Anweisungen zum Überleben gibt, nicht sein bester Freund, der Arzt. Andererseits: Wer kennt den Tod besser als eine Pathologin?

"Did you miss me?"

Moriartys mögliche Rückkehr: Ich bin zwiegespalten. Einerseits fand ich ihn (nach einem etwas schwachen Start) in Staffel zwei einen großartigen Gegenspieler, andererseits: Was will man da noch rausholen? Die große Konfrontation samt landesweiter Schmähkampagne gab es bereits.

Und wie geht es weiter?

Die Plots für Staffel vier und fünf haben die Autoren Steven Moffat und Mark Gatiss (Mycroft) schon fertig konzipiert, für erstere gibt es schon konkrete Pläne. Nur muss man wohl einen Termin mit Cumberbatch und Freeman finden. Und vermutlich eine finanzielle Übereinkunft.

Wann kehrt "Sherlock" zurück? Meine Prognose: Kurz nach Weihnachten. Schon heuer. Hoffentlich noch heuer. Ach, wäre das schön ...

Wann kommt "Sherlock" im deutschsprachigen TV? Die ARD zeigt die ersten beiden Folgen am Pfingstwochenennde (8. und 9. Juni).

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.