American Times: Ein Abend mit Patti Smith und Adam Driver

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Episode 3. Der "New Yorker" holte für ein Wochenende Künstler wie Patti Smith und Adam Driver auf die Bühne und das Publikum stand freiwillig Schlange.

Eines lernt man bereits kurz nach der Landung in den USA: Überall und immer wird hier in der Schlange gestanden; und zugegeben, meist kommt man so auch schneller und zivilisierter an sein Ziel. Manche Schlange verwundert aber, oder beunruhigt. Als ich am vergangenen Wochenende überpünktlich in jenem Theater an der 23rd Street ankam, in dem Patti Smith auftreten sollte, war ich (so wie übrigens auch einige New Yorker um mich herum) einigermaßen erstaunt, auf eine Menschenschlange zu stoßen, die sich um den gesamten Häuserblock gewickelt hatte. Wie sich sehr sp nur drei Minuten vor Beginn der Veranstaltung herausstellte, hatte das seine Richtigkeit, auch wer Karten hatte musste vor der Türe warten. Das Theater wurde einfach nur knapp vor Vorstellungsbeginn geöffnet. Interessanterweise waren dann innerhalb weniger Minuten alle anstehenden Menschen im Saal und auf ihren Plätzen.

Und dann betrat pünktlich eine ausnehmend gut gelaunte Patti Smith die Bühne. Die Europa-Tour im vergangenen Sommer, die sie auch nach Wien geführt hatte, hat die 68-Jährige offenbar nicht ausgelaugt. Sie fühle sich heute viel gesünder und fitter als vor 30 Jahren, erzählte sie "New Yorker"-Chefredakteur David Remnick, der sie an diesem Abend einfühlsam und klug vor Publikum interviewte. Das liege vor allem daran, dass heute auf kleinen wie großen Bühnen in aller Welt nicht mehr geraucht werden darf. Früher hätte sie während und nach langen Touren oft an einer Bronchitis gelitten, das komme heute und auch heuer trotz Hitzesommer und nach mehr als 50 Konzerten nicht mehr vor.

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Auf Einladung des "New Yorker" sprach Patti Smith an diesem Abend erstmals über und las aus ihrem zweiten Memoirenband "The M Train", der soeben erschienen ist. Der Name steht in diesem Fall nicht für die gleichnamige New Yorker U-Bahn-Linie, die von Queens nach Manhattan und zurück geht, sondern für "Mental" oder "Mind Train". Im ersten Memoiren-Band "Just Kids" schilderte Smith vor fünf Jahren die Beziehung zu ihrer ersten großen Liebe, dem Fotografen Robert Mapplethorpe (1946-1989). Im zweiten Band geht es um den Abschied von ihrem 1994 verstorbenen Ehemann Fred Smith und andere Verluste. "Dieses Buch ist nur über mich", sagte sie. In "Just Kids" seien auch die Briefe eingeflossen, die ihr Mapplethorpe geschrieben hatte. Bei der Entstehung dieses Buches nutzten ihr vor allem ihre eigenen, täglichen Aufzeichnungen, die sie seit Jahren macht. "Das sind keine emotionalen Dinge. Ich schreibe nur in kurzen Worten auf, was passiert. Also z.B.: Jimi Hendrix gestorben. Janis Joplin getroffen." Die emotionalen Dinge schreibe sie in ein eigenes Tagebuch.

Patti Smith sprach ausgiebig über ihre glückliche Kindheit als drittes Kind von nicht studierten, aber sehr belesenen Eltern. Über ihre Mutter, die zwar Zeugin Jehovas war, ihren Glauben aber nie richtig ausüben durfte. "Weil sie sich das Rauchen nicht abgewöhnen konnte". Sie sprach natürlich von Fred, dem Vater ihrer zwei Kinder und davon, wie sehr diese sie an ihn erinnern. Sie sprach über New York, die ersten Jahre in der Stadt und sie schimpfte ein wenig über das heutige, viel zu saubere, brave New York und erzählte von dem kleinen Haus, das sie vor zwei Jahren am Rockaway Beach im Westen Brooklyns gekauft hat. Zufall oder nicht, seit kurzem ist das einst sehr heruntergekommene Viertel zum beliebtesten Strand für Künstler und Hipster in der Stadt.

Das Gespräch verlief so angenehm und unaufgeregt als würde man mit der Künstlerin alleine bei einem Bier oder Glas Wein sitzen. Smith sprach auch über ihre frühen künstlerischen Ambitionen: "Ich wusste, dass ich eines Tages Bücher schreiben werde und den Nobelpreis gewinnen, aber ich hatte es nicht eilig damit." Robert sei da mit Anfang 20 schon viel selbstbewusster gewesen, habe gewusst, wer er war und was er kann. Sie wisse das heute auch, aber sie halte es mit dem Spruch: "When you start acting like you are hot shit, its time to step back."

Zum Abschluss des Abends sang Patti Smith ihr bis heute berühmtestes Lied "Because the Night" - und der Journalist David Remnick begleitete sie tapfer dazu an der E-Gitarre. Smith erzählte zudem, wie dieses Lied entstand, das eigenlich Bruce Springsteen komponiert hat: Wenn sie und Mapplethorpe nicht beisammen waren, weil einer von ihnen auf Reisen war, telefonierten sie zumindest einmal pro Woche. Eines Abends saß sie zur vereinbarten Zeit um halb acht vor dem Telefon ("Dressed and ready for the phone call.") - doch es tat sich nichts. Stunde um Stunde verging, sie griff zu einer Kassette mit Liedern von Springsteen und als Robert um Mitternacht anrief, hatte sie die Textzeilen über Vertrauen, Sehnsucht und Liebe zu dem Lied gedichtet.

Apropos, Schlange stehen: Am Ende des Abends durfte das Publikum Fragen an Patti Smith stellen. Und auch hier stellten sich die Gäste brav in Zweierreihen hinter dem bereit gestellten Mikrofon an. Wäre eigentlich eine Idee für die nächste Kinopremiere respektive Podiumsdiskussion in Österreich.

Adam Driver kam mit seiner Schwiegermutter 

Der Auftritt von Patti Smith war der Höhepunkt jenes Festivals, das der "New Yorker" heuer zum 16. Mal veranstaltete. Dabei werden Künstler und Künstlerinnen aus den Bereichen Literatur, Film, Musik, Theater von den wichtigsten Autoren des Magazins interviewt. Heuer waren das u.a. Schriftstellerin Toni Morrison, Sänger Billy Joel und Seriendarsteller Jeffrey Tambor (zuletzt: "Transparent") und Julianna Margulies ("The Good Wife").

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Ein bisschen weniger Glück als Patti Smith hatte Adam Driver mit seiner Interviewerin. Driver spielt in der HBO-Serie "Girls" die männliche Hauptfigur Adam Sackler und ist demnächst als Bösewicht Kylo Ren im neuen "Star Wars"-Film zu sehen. War das zu viel Ruhm für die Journalistin Lizzie Widdicombe? Verlegen und beinah schüchtern befragte sie den aufstrebenden Star. Der wand sich dementsprechend unentspannt, was auch an dem sichtlich unbequemen Regiesessel gelegen haben kann, in dem er sitzen musste. Einiges über seine Kindheit in Mishawaka, Indiana ("a quintessential american town", wie er sagte), seine schlechten Noten und seine Zeit bei den Marines war dann aber doch zu erfahren. Die meisten Fragen aus dem Publikum, das sich - erraten! - wieder brav hinter dem Mikro anstellte, kamen dann auch zu seiner Zeit als Soldat und seiner Einstellung zum Militär. Eine Verletzung zwang Driver dazu, den Militärdienst nach eineinhalb Jahren aufzugeben, dabei fühlte er sich dort unter seinen Kameraden sehr wohl, wie er sehr oft betonte. Mit einigen von ihnen hat er bis heute Kontakt, manche hätten erst vor kurzem, nach der letzten Emmy-Verleihung mitbekommen, dass er in einer ziemlich bekannten Serie mitspiele. Jetzt bekomme er ständig SMS und E-Mails von ehemaligen Marines-Kollegen. "Das spricht sich offenbar gerade unter ihnen herum."

Reaktionen auf seine Rolle in "Girls" habe er vor allem in der ersten Staffel bekommen. Da hätten ihm hie und da Menschen von der anderen Straßenseite zugerufen: "You are an asshole. - Und die Männer wollten gerne mit mir über ihr Sexleben sprechen." So wurde munter weitergeplänkelt. Ein Gast aus dem Publikum wollte wissen, mit wem Driver unbedingt drehen will: "Pedro Almodovar. Für ihn würde ich Spanisch lernen". Und eine offensichtlich besonders große Anhängerin fragte mit nervöser Stimme: "Are you really married?" Seine Antwort brachte den Saal zum Lachen: "Ja, das bin ich. Hier sitzt meine Schwiegermutter, die kann das bezeugen."

Der "New Yorker" veranstaltet sein jährliches "NYFest" freilich nicht gratis. Die Tickets kosten 40 bis 90 Euro und die Theatersäle sind bei fast allen Diskussionen ausverkauft. Das Selbstverständnis des Magazins, das in seinem 91. Lebensjahr eine Auflage von über einer Million Stück hat, aber wie viele Medien seit Jahren unter Anzeigenverlusten leidet, sieht man auch daran, dass an diesem Wochenende keine Hefte gratis verteilt wurden. Man geht offenbar davon aus, dass der Festivalbesucher ohnehin "New Yorker"-Abonnent ist. Diesen einen Jahresevent nutzt das zum Condé Nast-Verlag (wie "Vogue" und "Vanity Fair") gehörende Magazin gerne, um eine Botschaft zu vermitteln. Diesmal jene, dass man künftig - ähnlich wie die Lifestyle-Fibel "Monocle" - in Kooperation mit dem New Yorker NPR-Sender WNYC Radioprogramm anbieten und damit auf den durch "Serial" ausgelösten Podcast-Trend reagieren will. Zudem arbeitet Chefredakteur David Remnick mit Regisseur Alex Gibney für den Streaminganbieter Amazon an der TV-Doku-Serie "The New Yorker Presents", die 2016 online gehen soll. Der halbstündige Pilot zur Serie lief bereits Anfang des Jahres. Mehr dazu in diesem Kanal. 

Als Schlussbemerkung kommt jetzt noch ein Tipp und eine kleine Entschuldigung: Ich bitte die Qualität der Fotos zu entschuldigen, in den den düsteren Theatern waren leider keine besseren Bilder zu machen. Dafür gibts ab sofort sehr schön aufgelöste und kurze Videoclips vom "New Yorker Festival" hier. Die Seite wird in den kommenden Tagen nach und nach mit neuen Videos vom Wochenende befüllt.

Lesetipp:

>> Porträt des "New Yorker"-Chefs und Kaffee-Addicts David Remnick aus der "New York Times". Zwar schon 2010, aber immer noch lesenswert.

Mehr aus dem "American Times"-Blog:
>> Episode 1
>> Episode 2
>> Episode 4
>> Episode 5

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