„Stranger Things“: Die Achtziger sind unheimlich und schön

Lucas, Mike, Eleven und Dustin suchen in ''Stranger Things'' nach dem verschwundenen Will
Lucas, Mike, Eleven und Dustin suchen in ''Stranger Things'' nach dem verschwundenen Will(c) Courtesy of Netflix
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„Stranger Things“ ist eine gut komponierte Serie, die Mystery, Horror und Stephen King vereint. Die zwölfjährige Millie Bobby Brown brilliert. Nur Winona Ryder nervt.

Keine Spoiler – die kommen erst unten NACH der Spoilerwarnung.

Es gibt Dinge, die mich beruhigen und irgendwie sentimental werden lassen. Buchgeschäfte, der Geruch von frisch gemähtem Gras, selbstgemachter Holundersaft. Sie führen mich in meine Kindheit zurück, in eine Zeit der Sicherheit. Dieses Gefühl löst auch die neue Netflix-Serie „Stranger Things“ aus, zumindest in Ansätzen. In den Kritiken zum Achtteiler wird gerne auf Stephen King und Steven Spielberg verwiesen. Wie in Stephen Kings „Es“ steht eine Gruppe Kinder an der Schwelle zur Pubertät im Zentrum der Geschichte, alles Buben bis auf ein einziges Mädchen. Wie bei Kings „Stand By Me“, von Rob Reiner sensibel verfilmt, geht es auch um den (möglichen) Tod (eines Gleichaltrigen), der diese Kindheitsidylle plötzlich stört. Wie in fast allen Geschichten Kings zieht das Grauen in die ach so beschauliche Vorstadt ein. Und wie in Spielbergs „E.T.“ ist es die kindliche Fantasie, die am Ende den Unterschied machen wird.

Es herbstelt, als in der fiktiven Kleinstadt Hawkins im US-Bundesstaat Indiana der 12-jährige Will (Noah Schnapp) nach einem Spieleabend mit seinen Freunden Mike (Finn Wolfhard), Dustin (Gaten Matarazzo) und Lucas (Caleb McLaughlin) spurlos verschwindet. Am nächsten Tag taucht ebendort das mysteriöse Mädchen Eleven (Millie Bobby Brown) auf, das man ob ihrer streichholzkurzen Haare erst für einen Jungen hält. Nicht nur die drei Buben heften sich – gemeinsam mit Eleven – an die Spur von Will, auch seine Mutter Joyce (Winona Ryder) und der Sheriff (Jim Hooper (David Harbour) suchen ohne Unterlass nach dem Kind. Aber Will scheint wie vom Erdboden verschluckt – und vielleicht wurde er das auch. Denn in Hawkins gehen mysteriöse Dinge vor sich.

Auch Joyce (Winona Ryder), ihr Sohn Jonathan (Charlie Heaton) und Schulkollegin Nancy (Natalia Dyer) wollen Will finden
Auch Joyce (Winona Ryder), ihr Sohn Jonathan (Charlie Heaton) und Schulkollegin Nancy (Natalia Dyer) wollen Will finden(c) Curtis Baker/Netflix

Eine Serie für die Generation 30 plus

Man kann neben King und Spielberg weitere dutzende Einflüsse auf „Stranger Things“ nennen, von John Carpenter bis Guillermo del Toro. Die Buben selbst verweisen ständig auf das, was sie lesen („Hobbit“ etc.) und sehen („Star Wars“ etc.), da hängen Poster von Filmen an der Wand, und aus den Boxen (und bei Überblendungen) erklingt Achtziger-Jahre-Pop sowie Punk ... Trotz dieses Teppichs an Referenzen wirkt die Serie nicht postmodern. Zwar ist „Stranger Things“ auf Nostalgie getrimmt – und soll für Netflix sicher die finanzkräftige Generation 30 plus ansprechen –, aber sie ist keine Ausstattungs- und Kostümorgie, die Geschichte verheddert sich nicht im Zitatgeflecht.

Vielmehr merkt man, dass die „Brothers Duffer“, die Autoren und Regisseure Matt und Ross Duffer, viel Liebe in ihre Story gesteckt haben. Darum hat man tatsächlich oft das Gefühl, eine Serie aus der Vergangenheit zu sehen. Dieses Achtziger-Jahre-Kindheits-Gefühl einzufangen, gelang zuletzt J.J. Abrams mit „Super 8“.

Hauptfiguren, Haupthandlung

Was auch zu diesem Kunststück beiträgt: „Stranger Things“ ist ungewohnt geradlinig erzählt. Es gibt ein paar zentrale Figuren, und ihre Wege kreuzen sich immer wieder. Die Suche nach Will bleibt immer der zentrale Handlungsstrang, drumherum gibt es nicht viele Subgeschichten, höchstens ein paar Rückblenden, die den Figuren Tiefe geben.

Die Duffer-Brüder verzichten auf einige gängige Tricks zum Spannungsaufbau: wie oft ist es in Serien so, dass eine Figur über die Information verfügt, die eine andere dringendst benötigt. Auch in „Stranger Things“ weiß die eine Figur oft mehr als die andere. Aber – Überraschung! – sie sprechen miteinander. Mehrfach habe ich den Fernseher angeschrien: „Sag es ihm!“ oder „Glaub ihr endlich!“ Entgegen meinen Erwartungen wurde ich gehört.

Millie Bobby Brown stiehlt die Show

Die Spannung schöpft sich mehr aus den Mystery-Elementen – und da gibt es durchaus Anleihen aus dem Horrorfach, bei denen man sich erschreckt. Auf emotionaler Ebene fangen einen klarerweise gleich die Kinder ein. Die vier bzw. drei (Will verschwindet ja) Buben sind an sich schon sehr liebenswert, aber dann kommt noch Eleven dazu. Alle Kinderdarsteller sind toll, aber Eleven-Darstellerin Millie Bobby Brown muss man noch einmal hervorheben: Sie spricht wenig, aber das macht gar nichts, sie sagt alles mit ihrer Mimik. Ich bin schwer beeindruckt von der erst Zwölfjährigen.

Millie Bobby Brown ist super als Eleven
Millie Bobby Brown ist super als Eleven(c) Courtesy of Netflix

Im Gegensatz zu ihr kann der eigentliche Star der Serie, Winona Ryder, kaum Sympathien für ihre Figur erwecken. Und das liegt nicht an der Figur. Ryder ist zu aufgedreht-hysterisch. In ihrer ersten TV-Hauptrolle tappt sie leider in die Overacting-Falle. Weit besser ist David Harbour als vom Leben gebeutelter Sheriff, und auch die Darsteller der Teenager, Natalia Dyer (die leider erschreckend dünn ist) und Charlie Heaton (der Blick erinnert mich ein wenig an River Phoenix), fand ich gut.

Alles in allem halte ich „Stranger Things“ für eine der besten Serien, die bisher heuer erschienen ist. Da bin ich nicht alleine, der Hype ist groß. Staffel zwei ist folglich schon in Planung.

ACHTUNG, SPOILER für Staffel eins:

Winona Ryder spielt leider nicht besonders gut
Winona Ryder spielt leider nicht besonders gut(c) Courtesy of Netflix


Offene Fragen:

  • Ist das Essen, das Hooper in die Kiste im Wald gibt, für Eleven?
  • Ist Eleven auch das Monster? (Süßes Mädchen in der „normalen“ Welt; ein Monster in „The Upside Down“)?
  • Hat das augenlose Monster mit dem „Blütenmund“ (einen herzlichen Gruß an Guillermo de Toro an dieser Stelle!) genistet?
  • Was zur Hölle ist mit Will los?
  • Warum hatte Winona Ryder ihre erste gute Szene erst eine Folge vor dem Finale?
  • Wieso ist die letzte Stephen-King-Verfilmung, die das Niveau von „Stranger Things“ erreichte, schon 30 Jahre her?
  • Wann kommt Staffel zwei?

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Man erkennt sie kaum wieder: Winona Ryder (l.) spielt in „Stranger Things“ Mutter Joyce, die mit ihrem älteren Sohn (Mitte) den zwölfjährigen Will sucht.
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