Selbstmord im Umlaufverfahren der Gerüchte

Die ÖVP ist seit 1986 ohne Unterbrechung in der Regierung. Michael Spindelegger ist der achte Bundesparteiobmann in diesen Jahren. Also kann der unaufhaltsame Niedergang nicht an den unterschiedlichen Führungspersönlichkeiten liegen, sondern nur an der ÖVP in ihrer Gesamtheit. Gleichgültig wer an der Spitze steht, die Partei blieb und bleibt selbstmordgefährdet.

Am Vormittag erreichte mich der Anruf einer jungen Kollegin aus dem TV-Bereich. Sie wollte wissen, ob ich eine Ablöse Michael Spindeleggers als Spitzenkandidat der ÖVP für die Nationalratswahl 2013 für wahrscheinlich halte? Nein, war meine spontane Reaktion - auch weil ich nicht wüsste, wo es denn eine stimmenmaximierende Alternative in der ÖVP gebe. Finanzministerin Maria Fekter oder Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner, meinte die Kollegin. Eine Ministerin als "unguided missile", international mit wenig Vertrauen ausgestattet und mit verheerenden Umfragewerten? Ein wenig inspirierender Minister mit Hang zu nur mühsam unterdrückten cholerischen Phasen, der in der Gleichförmigkeit seiner Rede eher einschläfernd denn mitreißend wirkt?

Nach Ende des Gesprächs fiel mir allerdings auf, dass ich wahrscheinlich nicht genug Fantasie habe, um mir vorzustellen, dass die maßgeblichen Verantwortungsträger in der ÖVP tatsächlich zum xten Mal den gleichen Fehler des Obmannschlachtens begehen könnten. Zu wenig Fantasie, um mir jene Selbstzerstörungskräfte in der ÖVP auszumalen, die seit Jahrzehnten in Abständen immer wieder durchbrechen. Zu wenig Fantasie, um zu glauben, dass in dieser Partei ein und dieselbe Dummheit fortgesetzt wiederholt werden kann.

Es kann doch nicht sein, denke ich fantasieloses Wesen, dass jener "Todestrieb" in der ÖVP wieder zum Vorschein kommt,  den wir in Abständen in den neunziger Jahren - und nicht nur bei jedem Obmann-Massaker - diagnostiziert haben. Die Todestrieb-Schlagzeile war schon so abgedroschen und doch immer wieder zutreffend, dass Vorsicht geboten war. "Journalismus ist Wiederholung", pflegte der legendäre Chefredakteur und Herausgeber der "Presse", Otto Schulmeister, in seiner markanten Tonlage bis zum Überdruss durch die Gänge der Redaktion zu brüllen. Aber die immer wiederkehrenden Warnungen vor den Selbstmord-Absichten der ÖVP kann er damit nicht gemeint haben.

Der Zerstörungsmechanismus in der ÖVP ist seit Jahrzehnten der gleiche, weshalb man schon auch einen Mangel an Kreativität in der Partei beklagen muss: Erst wird ein Obmann fast einstimmig gekürt und mit Solidaritätsbekundungen überschüttet. Im politischen Alltag fallen dann bald die ersten Querschüsse, die ihn unweigerlich schwächen, worauf dann einige in der Partei - seit den frühen neunziger Jahren und so auch jetzt wieder hauptsächlich Erwin Pröll - zur Überzeugung gelangen, mit dem solcherart angeschlagenen Obmann könne man keine Wahl gewinnen, weshalb man es dann mit einer neuen Führung probieren will. Gewinnt diese dann die nächste Wahl nicht, ist sie auch wieder ablösereif. So war es mit Alois Mock, Josef Riegler, Erhard Busek und wäre es mit Wolfgang Schüssel gewesen, hätte dieser 1995 nicht nach nur einem Jahr eine Neuwahl provoziert und 1999 nicht von der dritten Position aus das Amt des Bundeskanzlers erreicht, was ihm 2002 zu einem fulminanten Sieg verholfen hat. So war es auch mit Wilhelm Molterer 2008.

Zwei Dinge sind unerklärlich. Erstens: Es müsste doch jemandem in der ÖVP auffallen, dass zwar die Obmänner wechseln, der Niedergang der Partei aber nicht aufzuhalten war. Ergo kann es nicht an dem jeweiligen Obmann gelegen sein. Die Partei in ihrer Gesamtheit hat unter den unterschiedlichsten Führungspersönlichkeiten konsequent an ihrem eigenen Niedergang weiter gearbeitet. Darüber müssten ihre Verantwortlichen nachdenken. Tun sie aber offenbar nicht. Wer also ist Schuld an Spindeleggers Schwäche? Er allein oder jene, die sich von ihm Wunder erwartet haben, wohl wissend, dass er dazu nicht der Mann ist, ihn dann bei jeder Gelegenheit schwach aussehen ließen und ihn jetzt ob eben dieser Schwäche wieder los werden wollen?

Zweitens: Warum Spindelegger nicht erkannt hat, dass er nur diese eine Chance 2013 hat. Er hätte auf nichts und niemanden in der Partei Rücksicht nehmen müssen. Er hätte den üblichen Verdächtigen von vornherein klar machen können: Ein Querschuss und ich trete zurück, schaut, wo ihr bleibt! Er hat von Anfang an parteiintern nichts zu verlieren gehabt, was er so und so verlieren würde. 

Spindelegger sollte nach Radlbrunn zu Erwin Pröll fahren und ihm das sagen, was andere dem Niederösterreicher auch schon sagen hätten sollen - in Abwandlung eines angeblichen Ausspruchs des Königs von Sachsen, Friedrich August III: "Mach Dir Deinen Dreck alleine".

Ich bin seit langem der Meinung, Erwin Pröll sollte den Mut haben, die Bundespartei selbst zu führen. Dann hätte dieses Theater, für das ich akut nicht genug Fanatasie aufgebracht habe, endlich ein Ende.

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