Reality Show mit Tunnelblick im Nationalrat

Ob ein FPÖ-Mandatar "gegrapscht" hat oder nicht; wer nun beim gescheiterten Spekulationsverbotsgesetz die "Unwahrheit" sagt und wer nicht - das alles dürfte sich den anwesenden Schülern bei der Nationalratssitzung am Mittwoch nicht wirklich erschlossen haben. Den Vertretern der Parteien war das ganz offensichtlich egal.

An und für sich ist die Dauersendung der Übertragung einer Sitzung des Nationalrats wie sie in ORF III seit einiger Zeit ausgestrahlt wird, ein Dienst an der Demokratie. Ob ein guter oder schlechter ist Ansichtssache. Man sollte sich für den "guten Dienst" entscheiden.  Die Information ist da, ob und wie sie der Bürger „abholt", ist seine Sache und seine Verantwortung.
Sollte es eine Studie darüber geben, wie sich die stundenlangen Live-Übertragungen der Parlamentsdebatten, zuerst und noch immer bis 13 Uhr auch auf ORF 2 und danach weiter auf ORF III, auf die Diskussionskultur im Plenum ausgewirkt haben, ob und wie die einzelnen Abgeordneten dem live stream ihrer Auftritte in irgendeiner Form Rechnung tragen, so dürfte sie unter dem Radar der öffentlichen Aufmerksamkeit erschienen sein.

Von der Beobachtung her dürfte sich der Mäßigungs- und Intelligenzeffekt in Grenzen halten.
Gut, auf die TV-Kameras kann man in der Hitze des Gefechts oder in den Tiefen niveaufreier Debatten schon vergessen. Wenn aber Mandatare von den Klubchefs abwärts übersehen, dass die Zuschauergalerie voll besetzt mit Schülern ist und sie trotzdem ein parteipolitisches Schauspiel nach dem anderen abziehen - ungeachtet des Themas - kann das nur an ihrem Tunnelblick am Rednerpult zusammenhängen. Sie sehen nichts anderes als die parteitaktische Notwendigkeit der gegenseitigen Anwürfe und schaffen es nicht einmal, den Blick nach oben zu richten. Eine solche Missachtung der anwesenden Zuhörer dürfte ein Zeichen parteipolitischen Narzissmus sein.
So geschehen am Mittwoch Vormittag zwischen 10 Uhr und 11.30 Uhr. Während es in einer Aktuellen Stunde um das Mann/Frau-Thema ging, erregten sich Mandatare aller Parteien - in Angriff und Verteidigung - lautstark über die Frage, ob ein Bericht der Stadtzeitung „Falter" über die angeblichen sexuellen Übergriffe des FPÖ-Abgeordneten Christian Lausch, eines Justizwachebeamten und Spitzenfunktionär der Gewerkschaft AUF, zutreffen oder nicht. Die Zeitung brachte Vorwürfe und Zeugenaussagen im Detail. Von belastenden Emails war die Rede, von Pornobildern und Vertuschung. Was sich die Jungen auf der Galerie, die sicher nicht gewusst haben, wovon hier die Rede ist, wohl gedacht haben? Eigentlich hätte man erwarten können, dass die jeweiligen Redner auf die Anwesenheit der Schüler Bedacht nehmen - nicht wegen der Details, sondern wegen des Null-Informationswert für die Schüler.
Auch beim Thema „Spekulationsverbot", das auf Antrag der Regierung wieder von der Tagesordnung gestrichen worden war, weil die FPÖ in letzter Minute ihre Zustimmung zur Verfasungsmehrheit zurückgezogen hatte, ging es nicht anders zu. Die Begriffe Budgetierung, Detaillierung, Fristlegung, Haushaltsrecht (hat ja nichts mit dem Haushalt zu tun wie die Schüler vielleicht glaubten) stiegen bis zur Galerie des Plenums, wo sie wahrscheinlich auf taube Ohren trafen. Viel haben die jungen Menschen ohnehin nicht versäumt, denn es ging hauptsächlich wieder um Parteipolitik. ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf höhnte in Richtung FPÖ, dass ihr Parteiobmann Strache nicht nur Wahlen verliere, sondern auch noch sein Gesicht. Er tat es ausführlich und sichtlich mit Genuss. Andere Abgeordnete - und nicht nur Strache selbst - hyperventilierten ebenfalls am Rednerpult. Von den jungen Menschen in den Zuschauerrängen konnte niemand erwarten, dass sie auch nur annähernd mitbekamen, um was es auch hier eigentlich ging, so sehr drehte sich die Debatte um Vorwürfe und Gegenvorwürfe.
Warum aber soll ein Besuch von Schulklassen im Nationalrat mehr Schaden anrichten, als die Liveübertragungen im ORF? Ganz einfach, jedes Fernseh-Gerät hat eine Ausschalttaste. Vor Ort aber mussten die Jungen ausharren bis die „Unterrichtszeit" vorüber war.
Dass TV-Sendungen der parlamentarischen Vorgänge aber sehr wohl a) ein guter Dienst an der Demokratie sein und b) Information bieten und c) aufklären können (oder könnten) beweist der Sender C-Span in den USA. Seit 1979 berichtet er als öffentlich-rechtlichen Dienst an der amerikanischen Gesellschaft über die Debatten im Congress, nicht nur, aber auch und vor allem - als erste politische Reality Show sozusagen. Er überträgt aber auch alle öffentlichen Sitzungen von Untersuchungsausschüssen und Anhörungen von Regierungsmitgliedern.
Keine Parlamentsdebatte in Österreich ließ je den Wunsch nach einer solchen Reality Show aufkommen. Aber die Direktübertragung eines Untersuchungsausschusses (wie auch in Deutschland) hätte schon was!

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