Gute Zeiten für Politiker, schlechte Zeiten für Experten

"Unwissenheit schützt vor Strafe nicht". Dieser Satz gilt offenbar nur für den normalen Bürger. Für Politiker gilt das Gegenteil. Für Unwissenheit gibt es Freisprüche. Eine ganz neue Rechtssprechung mit viel Potential für Politiker.

Sollten die Freisprüche für den Linzer Finanzstadtrat Johann Mayr (SPÖ) und den ehemaligen Finanzdirektor Werner Penn im Prozess um den Swap-Deal der Stadt Linz und der Bawag „halten", dann brechen für Politiker so richtig gute Zeiten aus. Denn im Grunde laufen diese Freisprüche auf folgendes hinaus: Sie haben den Deal nicht verstanden, nicht als hoch riskant erkannt und sich auf die Experten verlassen. Nicht schuldig!


Ähnlich hat auch der inzwischen zurückgetretene Linzer Bürgermeister Franz Dobusch in der selben Causa, die einen Schaden von etwa 500 Millionen Euro für Linz ergeben hat, vor Gericht in Wien argumentiert. Er habe keine Ahnung gehabt, was er da unterschreibe.
Wunderbar! Das erinnert an den Freispruch für Gerhard Dörfler in Sachen Ortstafeln. Nachdem er diese zusammen mit Jörg Haider verrückt hatte, hat ihn das Gericht in Klagenfurt freigesprochen, weil er die „rechtliche Tragweite" seines Handelns nicht erkennen konnte.


Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten etwa für Karl Heinz Grasser. In den Ermittlungen gegen ihn wegen Steuerhinterziehung hat der ehemalige Finanzminister ja öffentlich einbekannt, er sei in Steuerangelegenheiten unbelegt, also nicht wissend, gewesen. Für einen Finanzminister mit sechsjähriger Amtszeit zwar eine entlarvende und kühne Behauptung, aber Grassers Ruf war ohnehin schon ruiniert, das spielte Unwissenheit des obersten Steuereintreibers auch schon keine Rolle mehr. Das Argument hat großes Potential.  Wie kann man jemanden, der sich in Steuerangelegenheiten nicht auskennt, für Steuerhinterziehung verurteilen? Geht eigentlich nach der neuen (siehe oben) Rechtssprechung gar nicht. Zur Untermauerung seiner Verteidigung hat Grasser ohnehin seinen Steuerberater geklagt.
Das Dörfler-Urteil wiederum wäre eins zu eins für Ernst Strasser ins Treffen zu führen. Dieser habe halt die strafrechtliche Tragweite seines Handelns gar nicht erkannt, als er die Unterhaltung über Geld gegen Gegenleistung im EU-Parlament geführt hat.


Noch mehr gibt aber die Begründung im Linzer Prozess her, wonach sich die beiden Angeklagten keinesfalls der Untreue schuldig gemacht haben könne, denn diese setzt einen „Vorsatz" voraus. Also, vorsätzlich kann jemand nicht handeln, wenn er sich a) gar nicht auskennt und nicht weiß, was er da veranlasst, genehmigt oder unterschreibt und b) sich ihm die rechtliche Relevanz seines Handelns mangels Auffassungsgabe gar nicht erschließt. Beides schließt den Vorsatz aus und somit den Verdacht der Untreue aus.
Wie sich die Rechtsauffassung des Linzer - und des Klagenfurter - Gerichts aber mit der Regel für normale Bürger - „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht" - vereinbaren lässt, bleibt das Geheimnis der österreichischen Realverfassung.

Mit einiger Fantasie könnten Politiker in Hinkunft mit der Umkehr dieses Satzes („Unwissenheit schützt vor Strafe") jede Konsequenz ihres Handelns vermeiden und diese auf Experten abwälzen. Gute Zeiten brechen für sie an, denn  sie haben jetzt einen Freibrief in der Hand. Im angelsächsischen Rechtssystem hätten sie ihn auf alle Fälle, denn dieses baut ganz auf Präzendenzfällen auf.

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