Die große Chance des Erwin Pröll - ÖVP sollte ihn zwangsverpflichten

Für Niederösterreichs Landeshauptmann sollte es jetzt eine Frage der Ehre sein, die ÖVP vorm totalen Absturz zu retten. Michael Spindelegger ist Respekt zu zollen. Es war ihm nicht zuzutrauen, dass ausgerechnet er seiner Partei die Grenzen aufzeigt.

Michael Spindelegger ist also „aus der Haut gefahren" nachdem ihm der „Kragen geplatzt" ist. Mit seinem Rücktritt hat er die Fragen beantwortet, die ihm Herbert Vytiska, Vertrauter von Alois Mock, in der Dienstagausgabe der „Presse" in einem Gastkommentar gestellt hat: „Warum platzt ihm endlich einmal der Kragen? Warum setzt er keinen Paukenschlag, um in der Partei und in der Regierung einen Zukunftskurs einzuschlagen?"
Der Paukenschlag ist da, der zweite Teil der Frage lässt sich leicht beantworten: Weil er weder die Kraft, noch die Vision dafür hatte. Der Aufforderung des ÖVP-Auskenners Vytiska, er solle endlich einmal aus der Haut fahren, ist Spindelegger nachgekommen - nur anders als es gemeint war. Die Aufforderung, „politische Gestaltungskraft zu zeigen", weil diese „ihm mehr bringen, sich nachhaltig in den Umfragen niederschlagen und wieder die Gefolgschaft bei den Wählern sichern würde", ist Makulatur.
Vytiska meinte, niemand würde es Spindelegger verdenken, wenn er den Hut draufhauen würde, nur wäre das auch „keine Lösung". Das mit dem „verdenken" werden die Landeshauptleute und andere in der ÖVP aktuell anders sehen. Die „Lösung" für die ÖVP drängt sich jetzt aber geradezu auf. Und damit ist nicht Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter gemeint, der sich in den Augen vieler, die seine Auftritte in letzter Zeit beobachtet haben, vor Selbstbewusstsein strotzend, als nächster ÖVP-Chef und Vizekanzler den Umstehenden geradezu aufgedrängt hat.
 Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll ist gemeint. Das ist jetzt seine große Chance zu beweisen, was er seit Jahrzehnten, also unter den letzten sechs ÖVP-Chefs, in und außerhalb der Partei vermittelt hat: Dass er es besser machen kann. Die Partei sollte ihn jetzt zwangsverpflichten. Pröll muss jetzt zeigen, wie er das Ruder herumreißen kann.

Erwin Pröll wird sich hüten? Wahrscheinlich! Wenn er aber wirklich so mächtig ist in der ÖVP wie alle behaupten, wenn er wirklich politisch so durchschlagskräftig ist und seine Macht zum Wohl der ÖVP einsetzen kann, wie er behauptet, dann wäre es eine Frage der Ehre, seine Partei jetzt vor dem Absturz zu retten.
Es ist allerdings zu befürchten, dass die ÖVP einen alten Fehler wiederholt: Nach der Schockstarre, ausgelöst durch Spindeleggers Rücktritt, wird sie rasch jemanden anderen in diese Funktion hieven, versichern, die beste Lösung gefunden zu haben, in voller Geschlossenheit hinter der neuen Führung zu stehen etc. Wichtig sei jetzt, so wird man hören, Einigkeit zu zeigen und rasch zu handeln. Das erinnert an Spindeleggers Ausspruch zum neuen, umstrittenen, Hypo-Gesetz: Es sei nicht wichtig, ob eine Entscheidung richtig oder falsch sei, sie müssen nur rasch getroffen werden.
A pros pos Hypo: Spindelegger hat dieses neue Hypo-Gesetz gegen alle Warnungen und Zweifel durchgesetzt. Wenn sich später herausstellen sollte, dass es tatsächlich die für den Steuerzahler teuerste Lösung war, wird er der fünfte Finanzminister der ÖVP sein, der für das Hypo-Desaster nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann und sich abputzt.
Irgendwie erinnert die ganze Situation in der ÖVP an das Jahr 1976: Die Wiener Reichsbrücke stürzt unter der Verantwortung eines SPÖ-Stadtrats ein - und die Wiener ÖVP wechselt den Obmann. Gerade war die SPÖ wegen des parteiinternen Unmuts rund um die Umbildung des Regierungsteams und die Frauenquote in ein Dilemma gestürzt, gerade hat ihr Zentralsekretär Norbert Darabos einen erstaunlich unprofessionellen ZIB 2 -Auftritt hingelegt, schon macht der Spindelegger-Rücktritt alles vergessen.
In der ÖVP wird der Schritt des Finanzministers wahrscheinlich als „Fahnenflucht" angesehen werden. In der Tat destabilisiert er die Regierung zu Beginn der politischen Herbstarbeit und in dieser wichtigen Zeit, was das Land eigentlich gar nicht brauchen kann. Allerdings standen die Zeichen in der ÖVP zuletzt auf wiederholtes und anhaltendes Obmann-Massaker, was das Land auch nicht brauchen kann.
Spindelegger selbst aber ist für seinen Schritt Respekt zu zollen. Dass er seiner Partei endlich Grenzen zeigt, war ihm eigentlich nicht zuzutrauen. Nach Hut drauf, also Hut ab!

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