Strasser und das Land der Unterwürfigen

Das Urteil für Ex-Innenminister Ernst Strasser soll laut OGH "generalpräventiv wirken". Dieser Anspruch wird wohl ins Leere gehen.

Nach der Bestätigung der Verurteilung von Ex-Innenminister Ernst Strasser (ÖVP) durch den OGH am Montag stellt sich für viele politisch Interessierte vor allem eine Frage: Wie konnte jemand, der sich erst vermeintlichen Lobbyisten gegenüber und dann bei seiner Verteidigung so einfältig, um nicht zu sagen: dumm, benommen hat wie Strasser 12 Jahre Spitzenpolitik betreiben und als EU-Spitzenkandidat gewählt werden?

Die eine Antwort wäre: Politische Pfiffigkeit hat eben mit Denkvermögen, um nicht zu sagen: Intelligenz, nichts zu tun. Acht Jahre war Strasser eben Erwin Prölls Mann fürs Grobe in Niederösterreich bevor er von Wolfgang Schüssel als Innenminister in die Regierung geholt wurde. Da konnte es schon sein, dass gewisse Defizite nicht so sehr ins Gewicht gefallen sind.

Eine andere Antwort wäre: Ehemalige Spitzenpolitiker bemühen sich oft in ihrem Leben nach der Politik, so richtig gut zu verdienen, um nicht zu sagen: abzukassieren. Dieses Phänomen ist auf keine Partei beschränkt. Im Gegenteil: Es zeigte sich in den letzten Jahren, dass Sozialdemokraten wie Alfred Gusenbauer oder Gerhard Schröder in Deutschland oder das Ehepaar Clinton von den Demokraten in den USA oder Joschka Fischer von den Grünen in Deutschland darin weit geschickter sind als die meisten Vertreter auf der anderen Seite des politischen Spektrums. Ernst Strasser hat es halt besonders ungeschickt angestellt – wie auch das ganze Hin und Her und all die fraglichen und nicht-deklarierten Geschäfte in der Zeit zwischen Ausscheiden aus der Schüssel-Regierung und der EU-Kandidatur zeigen, über die in den Medien oft berichtet wurde.

Eine weitere Antwort aber findet sich in einem Interview Henry Kissingers mit der italienischen Journalistin Oriana Fallaci: „If you have power in your hands and have been holding it for a long time, you end up thinking of it as something that is due to you.“ (Wenn Sie Macht haben und das für eine lange Zeit, dann glauben Sie am Ende, sie steht Ihnen einfach zu).

Das scheint der springende Punkt zu sein: In Niederösterreich hatte Strasser die von Pröll abgeleitete absolute Macht, als Innenminister die von der Regierung abgeleitete. In beiden Bereichen hatte er wahrscheinlich kein Korrektiv, denn Beamte und Bürger pflegen angesichts von Machtträgern keinen aufrechten Gang. Sie richten sich zwar zunehmend auf, aber wie reden hier von der Zeit 1992 bis 2004.

Würde Kissinger die Unterwürfigkeit in Österreich kennen, wäre seine Analyse wahrscheinlich noch schonungsloser.  Denn in einem Klima des vorauseilenden Gehorsams kann jemand wie Strasser (oder Karl Heinz Grasser genau so) schnell auf den Gedanken kommen, Gesetze oder Normen hätten für ihn keine Gültigkeit, die Macht, sie zu ignorieren, stünde ihm einfach zu. Und die devote Umgebung bestärkte ihn sicher noch.

Was aber ist mit dem Urteil und seiner Begründung anzufangen? Drei Jahre unbedingt mit Recht auf Fußfesseln nach sechs Monaten ist sicher nicht geeignet, den Anspruch des Gerichts, generalpräventiv zu wirken, gerecht zu werden. Nicht vom Ausmaß der Haftstrafe her, aber von der Möglichkeit, bei Strafnachlass von einem Drittel wegen guter Führung genau 18 Monate die Unannehmlichkeit der Fußfesseln auf sich nehmen zu müssen. Das ist sicher nicht geeignet, vorbeugend abschreckend zu wirken und das Vertrauen in die Justiz wieder herzustellen.

Man sehe sich auch den Fall von Hannes Kartnig in Graz an: Der ehemalige Präsident von Sturm Graz wurde wegen schweren Betrugs und Steuerhinterziehung zu 15 Monaten unbedingter Haft verurteilt, trat sie nicht an, sondern trägt seit Mitte September Fußfesseln. Bis dahin haben nach dem Urteil die diversen Spitzen der österreichischen Gesellschaft den Umgang mit dem rechtskräftig verurteiltem Betrüger bei Society-Events keineswegs gescheut.

Oder die Causa Bawag: Außer Ex-Generaldirektor Helmut Elsner hat keiner der Verurteilten die Haft angetreten. Die Medien kümmern sich auch nicht mehr darum.

Es ist dieses Gesamtumfeld, in dem Strasser Karriere und alle seine „Fehler“, wie er am Montag ohne besondere Selbstreflexion meinte, machen konnte. Der Fehler aus seiner Sicht war wohl, nicht raffiniert genug vorgegangen zu sein. Wen also, bitte, soll in einem solchen Umfeld dieses Urteil abschrecken?

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