Denkmalschutz mit Brechstange

Nur noch dort investieren, wo es dem Patienten direkt zugute kommt, heißt die Sparmaxime im Krankenhauswesen. Daß es sich dabei lohnt, das Geld in guter Architektur an-zulegen, zeigt der Umbau eines Pavillons im "Otto-Wagner-Spital" durch Runser/Prantl.

Die Landes-Heil- und Pflege-Anstalten für Geistes- und Nervenkranke "Am Steinhof" in Wien waren zu ihrer Zeit die größte derartige Anlage der Welt. Auf einem Areal von fast einer Million Quadratmetern entstanden zwischen 1905 und 1907 Pavillons mit rund 2000 Betten, gegliedert in ein Sanatorium für Adel und Großbürgertum und einen doppelt so großen Teil für die weniger begüterten Kranken. Der Lageplan für die Anlage stammt von Otto Wagner, der auch die Anstaltskirche "Am Steinhof" entwarf, eines der bedeutendsten Bauwerke des Wiener Jugendstils.

In seinem Lageplan versinnbildlicht Wagner, was seine Zeit unter einer vernünftigen Ordnung versteht. Die Anlage ist streng symmetrisch beiderseits einer Hauptachse, die vom schloßartigen Verwaltungsbau am Eingang bis zur Kirche führt, angeordnet, eine "weiße Stadt, überragt von der goldenen Kuppel einer weißmarmornen Kirche", wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Die Rationalität der Anlage verfolgt therapeutische Absichten, ähnlich wie das auf ein Minimum reduzierte Ornament in Josef Hoffmanns Sanatorium Purkersdorf zur Heilung der dort behandelten Hysteriker beitragen sollte.

Wagner hat stets das "peinlich genaue Erfüllen des Zwecks" als eine Hauptaufgabe der Architektur dargestellt. "Sola artis domina necessitas" - nur einen Herrn kennt die Kunst, das Bedürfnis - lautete das auf Gottfried Semper zurückgehende Motto, das er auf seinem Wohnhaus anbringen ließ. Daß er die Forderung nach maximaler Vernunft gerade in einer Irrenanstalt exemplarisch umsetzen durfte, ist weniger irritierend als die Tatsache, wie viele seiner Überlegungen zur Disziplinierung jeder Unordnung sich auch in den "normalen" städtebaulichen Konzepten Wagners wiederfinden - etwa im Entwurf für den 22. Wiener Gemeindebezirk als Teil einer unbegrenzten Großstadt - und von dort ihren Weg in die klassische Moderne gefunden haben, die dazu tendiert, alles Dunkle und Irrationale zu verdrängen. Ähnliches gilt für manche Details in den (nicht von Wagner entworfenen) Pavillons am Steinhof, etwa die abgeschrägten Fensterbänke, die das "unordentliche" Abstellen von Gegenständen verhindern sollten und sich heute etwa in Werkstätten und Schulen wiederfinden.

Etwas überspitzt ließe sich behaupten, daß die weiße Stadt "Am Steinhof" den Charakter eines Irrenhauses deshalb nie ganz abschütteln kann, weil sie durch und durch vernünftig angelegt ist. Nachdem die Psychiatrie zu großen Teilen abgesiedelt und durch geriatrische und neurologische Stationen ersetzt worden war, konnte das Spital immerhin seinen Namen ändern und wird derzeit als "Sozialmedizinisches Zentrum Baumgartner Höhe - Otto-Wagner-Spital" saniert. Für den Umbau der großteils unter Denkmalschutz stehenden Pavillons wurde 1997 ein Wettbewerb veranstaltet, aus dem drei Büros - Beneder/Fischer, Runser/Prantl und Sarnitz/Silber/Soyka - als Sieger hervorgingen. Sie sollten an ausgewählten Pavillons unterschied- liche Konzepte erproben, die alte Substanz auf zeitgemäßen Stand zu bringen.

Als erster Pavillon wurde nun jener von Christa Prantl und Alexander Runser fertiggestellt. Die Architekten haben sich der Aufgabe mit einem Rationalismus genähert, der dem Wagnerschen nicht nachsteht. Die Grundidee ihres Entwurfs besteht im wesentlichen darin, dem Gebäude Masse zu entziehen, indem die Mittelmauern entfernt werden. Rational argumentiert, bedeutet diese Maßnahme einen Flächengewinn, der es erleichtert, den Zimmern die notwendigen Bäder zuzuordnen. Viel wesentlicher ist jedoch der Gewinn an Transparenz durch Lichtbänder über den Bädern, die Licht von der Südseite in den Gang bringen und diesen größer erscheinen lassen. An den Enden des langgestreckten Pavillons weitet sich der Gang zu je einem Tagraum, was ebenfalls erst durch die Entfernung der Mittelmauern in den Quertrakten möglich wird. Da es sich um eine geriatrische Station handelt, ist die Qualität dieser inneren Straße, die zwischen den Tagräumen hin und her führt, von großer Bedeutung
für das Wohlbefinden der Patienten.

Das alles klingt wenig spektakulär. Aber wie so oft, wenn das Ergebnis besonders schlüssig und selbstverständlich aussieht, stehen dahinter eiserne Konsequenz in der Planung und die Bereitschaft, eine Idee gegen jeden Widerstand zu verteidigen. Das Denkmalamt ließ sich erst durch Sachargumente wie die Wendekreise von Rollstühlen davon überzeugen, dem Abriß der Mittelmauern zuzustimmen. Und als die Bewilligung von dieser Seite vorlag, war der Tragwerksplaner gefordert, eine konstruktive Lösung für die Unterfangungen zu finden, die auch ästhetisch Sinn hat. Oskar Graf schlug dafür eine Mischbauweise aus schlanken Ortbetonstützen und Stahlträgern vor. Während diese Konstruktion eingebracht und das Mauerwerk entfernt wurde, mußten alle Deckenlasten über eine Stützkonstruktion in die Fundamente abgetragen werden - ein sehr labiler Zustand, der aber sogar ein leichtes Erdbeben überstand, das sich genau in dieser kritischen Phase ereignete.

Der Aufwand hat sich gelohnt. Trotz geringer Gesamt-errichtungskosten von 20.500 Schilling (1490 Euro) pro Quadratmeter Bruttogeschoßfläche haben die Stationen eine Detailqualität, die für das Wohlbefinden älterer, in ihrer Wahrnehmung teilweise eingeschränkter Patienten entscheidend ist. Die scheinbar luxuriöse Ausführung von Mobiliar, Licht und Oberflächen - etwa die durchgängigen Ulmenholzfurniere - ist deshalb kein Luxus, sondern Zeichen von Respekt vor den Patienten. Dasselbe gilt für das kleine Glashaus, das die Architekten als Eingangsfoyer an den Pavillon gesetzt haben. Auch hier ist ein Detail symptomatisch: Um den wuchtigen Ramm- schutz zu vermeiden, der in ähnlichen Situationen zum Schutz gegen Transportwagen eingesetzt wird, verwenden die Architekten vorgespannte Stahlseile.

Zu Recht hat das Projekt beim jüngsten Staatspreis für Consulting eine lobende Erwähnung erhalten: So viel unspektakuläre Intelligenz dürfte nicht nur im Wiener Krankenhausbau eine Seltenheit sein. [*]

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