Ist das christliche Politik?

Späte Abtreibung: Ärzte im Dilemma, 21. Juli
In einem Interview mit der "Presse" im Mai sagte Bundeskanzler Schüssel, Christen mögen sich stärker zu Wort melden und sich nicht in der Sakristei verstecken - "wenn schon, dann das ganze Christentum". Als katholischer Lebensschützer sprechen mich diese Aussagen an:

Einerseits werden bei uns behinderte Menschen unterstützt und gefördert und gleichzeitig auf Verdacht abgetrieben. Grundlage für das aktuell diskutierte Schandurteil des OGH ist ein "Trojanisches Pferd" in unserem Rechtsstaat, die Fristenregelung. Ein perverses Gesetz, das Tötungen Ungeborener fördert statt sie zu beschützen, aber nach Aussagen der ÖVP "nicht zur Debatte steht". Ist das christliche Sozialpolitik?

Seit über 30 Jahren spielen sich Bischöfe und ÖVP gegenseitig den Ball zu: Die ÖVP solle das Gesetz der Fristenregelung flankierend ergänzen - die Bischofskonferenz einstimmig eine entsprechende Gesetzesänderung verlangen. Opfer dieses unseligen Ränkespiels sind rd. 360.000 getötete Ungeborene allein in den letzten 6 Regierungsjahren. Ist das christliche Familienpolitik?

Egal ob politikkritische ORF-Journalisten, impfkritische Ärzte oder abtreibungskritische Lebensschützer, sie alle müssen heute mit Repressalien rechnen, wenn sie sich öffentlich zu Wort melden. Die willkürliche, kurzfristige Absage einer rechtmäßig angemeldeten Veranstaltung auf der Uni Wien im Juni ist da nur ein Beispiel von vielen. Wenn Bürgerrechte wie Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit immer wieder mit Füßen getreten werden, ist das die "Bürgergesellschaft" der ÖVP?

Die Fortschritte in Umweltpolitik und Tierschutz in Ehren, aber warum werden seltene Blumen und Tiere geschützt, schwangere Frauen aber nicht? Gerade in der Schwangerschaft, wenn Mütter des Schutzes des Vaters und der Gesellschaft in besonderem Maße bedürfen, werden sie dem freien Spiel der Kräfte überlassen, obwohl der Druck so groß ist, dass fast jedes 2. ungeborene Kind getötet wird. Ist das christliche Frauenpolitik?

Dass die Tötung Ungeborener ein weltweites Multi-Billion-Business geworden und Österreich dabei führend ist, ist bekannt. Über 60.000 operative Eingriffe pro Jahr zur Abtreibung Ungeborener schaffen "heimische Arbeitsplätze", aber müssen diese Tötungen teilweise mit unseren Steuergeldern finanziert auch in öffentlichen Einrichtungen erfolgen und wie in Wien unter Polizeischutz gestellt werden? Ist das christliche Wirtschaftspolitik?

Bei der Abtreibung stehen wir m. E. vor einem Versagen des gesamten gesellschaftspolitischen und kirchlichen Establishments in unserem Land. Wer sich an der Aufarbeitung dieser Tragödie beteiligen will, wird zuerst seine Glaubwürdigkeit wiederherstellen müssen. Nach über 30 Jahren gibt es schon so viele betroffene Menschen, und es ist so viel Schuld entstanden, dass niemand mehr weiß, wie diese abgetragen werden kann.

DI Andreas Kirchmair

8572 Piberegg

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