"Danke, Österreich!" - von Univ.-Prof. DDr. Antal Festetics

Im Oktober 1956 hatten die Magyaren in einem heroischen Kampf versucht, ihre kommunistischen Peiniger loszuwerden, was auch gelungen wäre, hätten nicht russische Truppen den Aufstand blutig niedergeschlagen. Und hätten nicht die Westmächte mit Versprechungen und Durchhalteparolen des Senders "Free Europe" die Freiheitskämpfer zuerst ermutigt, um sie dann durch ihr Suez-Kanal-Abenteuer im Stich zu lassen. Der UN-Sicherheitsrat setzte in bewährter Manier auf Zeit und verzögerte seine "Resolution" bis zur totalen Wirkungslosigkeit.

Inzwischen verbluteten tausende junge Ungarn auf Budapests Straßen im Kampf gegen die sowjetische Tyrannei in Europa. Tausende Magyaren mussten schließlich unter Lebensgefahr aus ihrem Heimatland flüchten, aber sie hatten das Glück im Unglück, in einem Land von großer Hilfsbereitschaft und Herzenswärme zu landen: in Österreich! Die Lehre aus dem Aufstand gegen die Sowjetdiktatur, der Kampf David gegen Goliath, war, dass auf Großmächte kein Verlass ist, aber kleine Nachbarvölker sich in der Not helfen (können). Und wie das geht, hat Österreich nach der blutigen Niederschlagung des ungarischen Freiheitskampfes 1956 der ganzen Welt in beispielhafter Weise gezeigt. Die Besatzungsmächte selbst erst 1955 losgeworden, die Landesverteidigung gerade erst aus der Taufe gehoben, war die kleine Alpenrepublik plötzlich mit 180.000 Flüchtlingen konfrontiert, aber auch mit Sowjetpanzern, die in Richtung Österreich ratterten.

Ich hatte mich beim Ausbruch des Volksaufstandes den Freiheitskämpfern angeschlossen, bekam Waffe, Munition, eine Armbinde in Rot-Weiß-Grün und einen Polizeiausweis mit dem Befehl, die verhassten AVO-Geheimpolizisten festzunehmen, die - als Flüchtlinge getarnt - sich vor dem Volkszorn nach Österreich absetzen wollten.

Der Auftrag war riskant, denn ich hatte diesbezüglich keine Erfahrung, war aber beseelt vom heroischen Kampf der Studenten, Arbeiter und Deserteure der Volksarmee gegen die kommunistische Diktatur. Wir hatten zum Glück ohne Schusswechsel einige dieser feigen Folterknechte der AVO unschädlich machen können, ich hatte dabei aber auch eine Begegnung der besonderen Art. Bei der nächtlichen Fahrzeugkontrolle auf der Margaretenbrücke in Budapest fiel mir ein waschechter US-Senator aus dem Weißen Haus buchstäblich in die Hände. In einem Auto mit Wiener Kennzeichen saß Clayborn Pell, Senator vom State Rhode Island. Er wollte sich erst ausweisen, als ich meine Waffe entsicherte.

Wir kamen ins Gespräch und er bat mich, ihn am nächsten Morgen zu Kardinal Mindszenty zu begleiten, der - gerade erst aus dem Kerker befreit - von Aufständischen mit Panzergeleit ins Erzbischöfliche Palais eskortiert wurde. Der mutige Kirchenfürst war 1948 zusammen mit meinem Onkel, Fürst Paul Esterh¡zy, vom kommunistischen "Volksgerichtshof" in einem schauerlichen Schauprozess zur lebenslangen Haft verurteilt worden.

Da ich bewaffnet war und Polizeibefugnisse hatte, konnte ich den amerikanischen Senator in der dicht gedrängten Menschenansammlung um den eben befreiten Fürstprimas von Ungarn mühelos durchschleusen und wir waren fasziniert von seiner ungebrochenen Lebenskraft nach der so langen Isolationsfolter in kommunistischen Zuchthäusern.

Der österreichische Rundfunk war dabei und filmte Mindszentys erste Ansprache (es war die Geburtsstunde des Schwarz-Weiß-Fernsehens), ich war der Übersetzer zwischen dem US-Senator und dem Kardinal. Detonationen von den Kampfhandlungen unten am Budapester Donaukai lieferten die Hintergrundmusik dazu. Es war für mich ein unerwartetes Wiedersehen, denn Kardinal Mindszenty hat mich bereits 1948, noch vor seiner Verhaftung in Budapest, gefirmt. Und nun stand ich da, acht Jahre später, als bewaffneter "Revoluzzer" und war sein Dolmetscher - für mich ein bewegender Augenblick.

Senator Clayborn Pell hat den Fürstprimar eine Kiste voll Medikamente überreicht und versichert, die USA würde die ungarischen Freiheitskämpfer nie im Stich lassen. Wie das zu verstehen war, haben wir bald danach schmerzlich erfahren müssen.

Der Senator aus dem Weißen Haus nahm mich anschließend in seinem Wagen nach Wien mit; ich sollte eine zweite, größere Ladung von Medikamenten nach Budapest bringen. Bei einer rasch einberufenen Pressekonferenz im Hotel Sacher musste ich einer internationalen Journalistenrunde über den Stand des Freiheitskampfes in Budapest Rede und Antwort stehen. Die Fragen der amerikanischen Reporter waren zum Teil naiv, zum Teil tendenziös bis aggressiv. Die anwesenden Chefredakteure der Wiener Zeitungen waren sehr fair.

Als ich zwei Tage später mit einem Transport voll von Medikamenten, Lebensmitteln, Kleidung und anderen Hilfsgütern nach Budapest zurückfahren wollte, kam ich nicht mehr sehr weit. Bei Györ (Raab) hatten russische Panzer bereits die Straße versperrt. Ich musste umkehren.

Die Sowjetarmee hat den Freiheitskampf der Ungarn brutal niedergeschlagen und die verhasste Geheimpolizei AVO wieder eingesetzt. Tausende tote Freiheitskämpfer blieben auf der Strecke, mit ihnen aber auch der Ruf des roten Imperiums. Es waren zehn Tage, die die Welt erschütterten, allen voran die Welt des Kommunismus. Und es war der Anfang vom Ende der Sowjetdiktatur; denn seinen 1989 erfolgten Zusammenbruch hat bereits die ungarische Revolution 1956 vorprogrammiert. Die tapferen Magyaren haben als Erste gewagt, ein ganzes Weltsystem der Tyrannei zu erschüttern, und ihr Sieg war damals, vor 50 Jahren, zum Greifen nahe - hätten die Westmächte sie nicht bloß angefeuert, sondern ihnen auch geholfen. Kreml-Chef Nikita Chruschtschow zögerte bekanntlich mit dem Einmarschbefehl, er wollte lieber keine Rotarmisten auf das "sozialistische Brudervolk" in Ungarn schießen lassen. Das zeitgleich stattgefundene Suez-Abenteuer der Westmächte gegen Ägyptens Kanalsperre gab ihm dann aber "moralisch" freie Hand für das Blutbad in Budapest. US-Präsident Dwight Eisenhower hat schließlich der Sowjetunion 1956 praktisch grünes Licht für die Niederschlagung des ungarischen Freiheitskampfes gegeben. Zum 50. Jahrestag dieser welthistorisch beschämenden Tatsache hat sein Nachfolger George W. Bush von kurzem in Budapest eine Rede gehalten, die er sich besser hätte erspart haben sollen. Bush hat den "Freiheitsdrang" der Ungarn als Bestätigung seiner Irakpolitik gedeutet. Den Hinweis auf das US-Folterlager Guant¡namo durch den Gastgeber-Präsidenten L¡szl³ S³lyom hat er freilich "überhört".

So sehr die großen Weltmächte Ungarn im Stich gelassen haben, so sehr hat der kleine Nachbar geholfen. Rund 180.000 Ungarn flüchteten damals nach Österreich und fanden hier eine herzliche Aufnahme, die weltweit einmalig war. Der Bogen spannte sich von der materiellen Hilfe über den emotionalen Beistand bis zur Solidaritätskundgebung. Ich persönlich begegnete zum Beispiel damals, vor 50 Jahren, einem Gleichaltrigen, der in Wien mit der Tafel "Freiheit für Ungarn" eine Demonstration angeführt und auch im Flüchtlingslager Traiskirchen Hilfe geleistet hat. Er hieß Heinz Fischer.

Ungarn wird das nie vergessen. Danke, Österreich!

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