Kann man sich mit dünner Kleidung gegen Kälte abhärten?

Eisige Temperaturen zu ertragen, lässt sich trainieren, bringt aber nichts. Es stresst den Körper und hat keinen Effekt auf das Immunsystem.

Die Briten scheinen es zu glauben, meint unsere Leserin. Nämlich dass sich der Körper mit spärlichem Gewand bei Eiseskälte abhärtet. „Es ist tatsächlich möglich, sich mit Training an extreme Kälte zu gewöhnen“,sagt Winfried Graninger, Leiter der klinischen Abteilung für Rheumatologie und Immunologie der Med-Uni Graz. Er verweist etwa auf Langstreckenschwimmer, die den kühlen Ärmelkanal durchqueren. Die Skandinavier hacken sich sogar Löcher ins Eis, um dort ihr Winterbad zu nehmen. „Diese Leute gewöhnen sich die Schmerzen ab, die man sonst bei extremer Kälte empfindet.“

Dass es möglich sei, bedeute aber nicht, dass es deswegen gesund ist, mahnt Graninger. Bei Tieren löst frieren Kältestress aus, das zeigen auch Versuche an Ratten. Beim Menschen ist das ähnlich: Mehrstündige Kältebäder stimulieren den Sympathikus, einen Teil des vegetativen Nervensystems, das stresst den Körper. Kälteexperimente bringen auch sonst keinen Vorteil: Man könne sich zwar angewöhnen „nackt auf einer Eisscholle zu sitzen oder im T-Shirt durch den sibirischen Schnee zu stapfen“: Der trainierte Körper halte die Kältereize auch nicht besser aus als der Untrainierte, lediglich das subjektive Kälteempfinden ändere sich.

Drittgrößter Energieverbraucher

Absichtlich erduldetes Frieren bringt auch nicht mehr Abwehrkraft gegen Infekte und Verkühlungen. Sowohl klinische Studien als auch Laborstudien hätten gezeigt, dass sich immunologischen Größen dabei nicht verändern. Ein Stück weit hilft sich das Immunsystem bei Kälte aber selbst: Frostige Temperaturen aktivieren die Makrophagen, Immunzellen, die Keime und Krankheitserreger vernichten, das immunstimulierende Interferon IL-4, ein Vermittler zwischen den Zellen, sorgt für zusätzliche Wärmeproduktion.

Insgesamt braucht das Immunsystem sehr viel Energie, es ist nach Herz und Hirn der drittgrößte Energieverbraucher des Körpers. Daher sollte man es auch pfleglich behandeln. Und sich auch sonst warmhalten: Kühlt etwa das Gehirn zu stark aus, schläft man ein, der Erfrierungstod droht. Kälteanwendungen seien nur in der physikalische Therapie medizinisch sinnvoll: etwa um ein geschwollenes Gelenk mit Eis zu behandeln.

Aber nicht nur niedrige Temperaturen, auch die fehlende Sonne machen dem Körper im Winter zu schaffen. Er braucht ihr UV-Licht, um über die Haut Vitamin D zu bilden. Studien an der Grazer Med-Uni haben gezeigt, dass es das Immunsystem stärkt, wenn man größere Mengen Vitamin D zu sich nimmt. Scheint die Sonne im Winter weniger bzw. sind die Menschen weniger im Freien, verstärkt das den – ohnehin weit verbreiten – Vitamin-D-Mangel. Daher rät Graninger, im Winter ausreichend Vitamin D zu sich zu nehmen: Es kommt einerseits in fetten Speisefischen wie Lachs, Makrele oder Thunfisch vor, kann aber auch über Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke zugeführt werden.

Der Fokus von Graningers Forschung liegt u. a. auf Immunerkrankungen, die sich gegen den eigenen Körper richten sowie rheumatologischen Erkrankungen. Mit seinem Team arbeitete er etwa an den Weltleitlinien für die Polymyalgia rheumatica mit. Untersucht wird aber auch die Abnützung von Gelenksknorpeln: U. a. entdeckten die Forscher einen körpereigenen Schutzmechanismus gegen Arthrose.

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(Print-Ausgabe, 26.11.2016)

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