Intersex: Als Bub geboren, als Mädchen erzogen

Als "Frau" raste sie auf Skiern mehrmals in den Sieg, als Mann zeugte er ein Kind: Erik(A) Schinegger im Film, Intersexualität im Gespräch.

"I hob jo domols schon gedocht, dass mit dem Madl was nit stimmt, denn die Erika wor jo so gscheit, und Madln sein sunst nit so gscheit." Das sagt die 88-jährige Erika Schinegger, Mutter von Erik Schinegger in dem Film "Erik(A)", der derzeit Österreichs Kinolandschaft bereichert. Thema: Leben und Werdegang der ehemaligen Skiweltmeisterin Erika Schinegger, die heute ein Mann und Vater der 27-jährigen Claire ist.

"Durch den Film habe ich vieles erst jetzt verarbeitet", sagt Erik Schinegger im Gespräch mit der "Presse". Vorher hätte er mit seiner Mutter nie so offen über die Sache gesprochen wie in dem Film. Die "Sache": Erik(A) wurde am 19. Juni 1948 am elterlichen Bauernhof in Agsdorf, Kärnten, von einer Hebamme zur Welt gebracht, wuchs als Mädchen auf, heimste als Skifahrerin etliche Medaillen ein, wurde vor 37 Jahren zum Mann "operiert"."

Was man 1948 nicht erkannte: Erik hatte schon als Bub das Licht der Welt erblickt. "Bei dem Baby waren nur die äußeren Genitalien missgebildet und daher wurde er für ein Mädchen gehalten", sagt Univ.-Prof. Dr. Ludwig Wildt, Experte für Intersexualität an der Innsbrucker Universitätsklinik, wo Erik behandelt worden war.

Intersexualität darf nicht mit Transsexualität verwechselt werden. Während ein Transsexueller mit normal ausgebildeten äußeren Genitalen auf die Welt kommt und sich in seinem Geschlecht nicht wohl fühlt (und daher eine chirurgische Geschlechtsumwandlung anstrebt), handelt es sich bei Intersexen um Babys, deren Geschlecht bei der Geburt von den äußeren Genitalien her nicht eindeutig zuzuordnen ist.

"Von den 80.000 Kindern, die in Österreich jährlich geboren werden, betrifft das etwa 25", weiß Univ.-Prof. Dr. Christian Radmayr, Leiter der Abteilung für KinderUrologie an der Innsbrucker Medizin-Universität. Intersexualtität hat mehrere Gesichter: Da gibt es beispielsweise Buben (sehr wohl mit XY Chromosomen), bei denen sich der Hoden vielleicht im Bauchraum befindet, der Hodensack ausschaut wie große Schamlippen und der Penis sehr, sehr klein und eingewachsen ist und mit einer vergrößerten Klitoris verwechselt werden könnte. Schuld daran kann ein Enzymdefekt sein, auf Grund dessen Betroffene bis zur Pubertät zu wenig wirksames Testosteron bilden. "Ab der Pubertät aber wird das männliche Hormon über längere Zeit ausreichend gebildet, es findet eine Vermännlichung statt."

Es gibt aber auch Intersexen, die genetisch Männer sind, wohl auch Hoden haben, aber keinen Penis, dafür einen wohlgeformten weiblichen Busen, aber keine Gebärmutter (testikuläre Feminisierung). Wildt: "Diese Menschen empfinden weiblich, die Hoden produzieren auch Testosteron, aber das ist nicht wirksam."

Dann gibt es Mädchen (mit XX-Chromosomen), die mit einem in männliche Richtung entwickeltem äußeren Genital geboren werden. Radmayr: "Dabei handelt es sich um einen angeborenen Enzymdefekt in den Nebennieren, der auch zu einem Salzverlust führt, der tödlich enden kann."

Daher sei rechtzeitige Diagnose und Therapie in diesen Fällen sogar lebensrettend. Aber auch wo keine Lebensgefahr besteht, ist eine Therapie ungeheuer wichtig: "Denn es ist schon sehr, sehr schlimm, wenn man als Bub geboren und als Mädchen großgezogen wird." Wie es bei Erik(A) passiert ist. Was heute kaum mehr passiert: dass intersexuelle Kinder nicht erkannt werden.

Die Therapie reicht von hormoneller Behandlung bis zu chirurgischen Wiederherstellung. "Chirurgisch ist man heute in der Lage, ein primär nicht vollkommen entwickeltes äußeres Genitale in die männliche oder weibliche Richtung zu rekonstruieren", schildert Radmayr. Moderne molekularbiologische Methoden machen es zudem möglich, mit großer Wahrscheinlichkeit vorherzusagen, ob sich ein Genitale, das operativ korrigiert wurde, in der Pubertät auch tatsächlich als männlich oder weiblich entwickelt.

"Sehr wichtig ist auch", so Radmayr, "dass Intersexen von erfahrenen Spezialistenteams betreut werden. Dazu gehören Pädiater, Kinder-Endokrinologen, Genetiker, Kinder-Urologen, -chirurgen, -psychologen, -gynäkologen, Sexualmediziner und andere."

Kann ein Mann wie Schinegger nach erfolgter Behandlung Kinder zeugen: "Freilich", sagt Wildt, "er ist ja ein ganz normaler Mann." Ein Mann, der Kärntens größte Ski- und Snowboardschule für Kinder auf die Beine gestellt hat, der eine Pension in Agsdorf und am Urbansee das Strandbad betreibt. Und der sich freut, dass der Film Erik(A) auf so großes Interesse stößt und dass bei der Premiere in Innsbruck (25. Februar) zahlreiche Skigrößen aus und von seiner Zeit anwesend sein sollen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.