Boom: Alternative Heilmethoden heilen auch Geldnöte der Ärzte

Hilft's nichts, schadet's nichts. Irrtum! Auch - falsch angewandte - homöopathische Mittel können tödlich sein. Die Licht- und Schattenseiten der Alternativmedizin.

Ein dokumentierter Fall: Eine Wienerin starb an einer Arsenvergiftung - ausgelöst durch ein homöopathisches Mittel, das die Frau zu lange eingenommen hatte. Mit dem Boom der Alternativmedizin nehmen weltweit auch die negativen Nebenwirkungen zu. So sehr, dass die WHO bereits davor gewarnt hat und um neue Richtlinien zum Schutz der Verbraucher bemüht ist. Denn mit der Nachfrage steigt nicht nur das Angebot, sondern auch die Zahl der Scharlatane und unseriöser Machenschaften.

"Gerade bei der Homöopathie wird zu 90 bis 95 Prozent unseriös gearbeitet", beklagt Michael Frass, Internist an der Wiener Universitätsklinik für Innere Medizin I, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Homöopathie und Vizepräsident des Dachverbandes österreichischer Ärzte für Ganzheitsmedizin.

Unseriös heißt in diesem Fall: Der Großteil der homöopathischen Mittel geht über die Ladentische der Apotheken, wird unkontrolliert gekauft und nicht auf den Patienten zugeschnitten. "Das bringt wenig und kann schaden, sogar sehr", sagt Frass. Leider, denn an und für sich ist Homöopathie, die bereits von jedem zweiten Österreicher genutzt wird, eine wertvolle Bereicherung der Schulmedizin. Eine "Zwei-Klassen-Medizin" im anderen Sinn des Wortes.

Am AKH Wien gibt es beispielsweise eine hoch seriöse Spezialambulanz für Homöopathie bei malignen Erkrankungen (ein ausführlicher Bericht dazu auf der Gesundheitsseite 20). Frass: "Auf der anderen Seite besteht die große Gefahr, dass selbst ernannte Therapeuten ihr Unwesen treiben, denn Homöopathie ist kein geschützter Bereich."

Aber ein Bereich - wie andere komplementäre Methoden auch -, in dem auch immer mehr Schulmediziner Fuß fassen. 1997 hatten in Wien 32 Ärzte ein Homöopathie-Diplom der österreichischen Ärztekammer (ÖÄK), im Jahr 2004 sind es bereits 99. Die Zahl der "manuellen Mediziner" hat sich von 26 auf 127 erhöht, jene der F. X. Mayr-Ärzte von 25 auf 65. Am stärksten zugenommen hat die Zahl der ÖAK-Diplome für Akupunktur: von 69 im Jahr 1997 auf heute 326. "Die Zunahme in den Bundesländern wird ähnlich sein", sagt Christian Adensamer, Referent für Komplementärmedizin in der Wiener Ärztekammer.

Die Gründe für den "Höhenflug" der alternativen Schiene sind zum einen immer mehr (wissenschaftliche) Beweise für die Wirkung komplementärer Maßnahmen. "Die große Stärke der Alternativmedizin liegt bei der effektiven Therapie von chronischen und psychischen Leiden, wo die Schulmedizin oft keinen Zugang hat, weil sie anders orientiert ist", weiß Alexander Meng, Neurologe, Leiter der Schmerzambulanz mit -Akupunktur und traditionell chinesischer Medizin im Krankenhaus Lainz sowie neuerdings Landesleiter des Kneippverbandes Wien.

Freilich plädiert Meng in jedem Fall für eine "schulmedizinische Diagnose". Sei eine solche vorhanden, könne die Komplementärmedizin sehr wohl dazu beitragen, chemische Medikamente und Spitalsaufenthalte zu reduzieren sowie die Lebensqualität zu verbessern.

Der Boom der "sanften Medizin" beruht aber auch auf der steigenden Nachfrage seitens der Patienten, die von Apparate-und 5-Minuten-Medizin die Nase voll haben. Und last und bei weitem nicht least: Komplementäre Heilmethoden heilen auch Geldnöte. "Allein in Wien warten 1200 Ärzte auf einen Kassenvertrag. Die müssen von etwas leben, daher bieten sie immer öfter Komplementärmedizin an. Das vermehrte alternative Angebot bei Ärzten ist also auch eine Überlebensfrage", konstatiert Adensamer, der übrigens sehr viel von der tibetischen Kräutermedizin hält.

Mit Naturheilkunde lässt sich eben ganz gut Geld verdienen. Auf gut zwei Milliarden Euro schätzt Adensamer diesen Markt. "Doch hier tummeln sich nicht in erster Linie Schulmediziner und Kassenärzte, sondern zweifelhafte Therapeuten, die Lebensberatung anbieten, Energieausgleich, Sterndeutung, Kinesiologie und ähnliches. Rund 7000 haben in Österreich eine Gewerbeberechtigung dafür. Das ist genau das, was in Deutschland die Heilpraktiker sind und was man bei uns verbieten wollte."

Gegen ein solches Verbot wehrte und wehrt sich freilich die immer größer werdende Gruppe der Heiler und Heilpraktiker. "Wir wollen den Beruf des Heilers gesetzlich etablieren und aus dem Graubereich herausbringen", betont der Grazer Energetiker Peter Hofer, der für Dezember den Kongress "Die Kunst des Heilens" organisiert hat. Der Kongress soll Schul- und Alternativmedizin in der Stadthalle Graz zusammenbringen, im Endeffekt aber geht es Hofer um die Schaffung einer gesetzlichen Basis für die Tätigkeit der "Energetiker" in Österreich.

Adensamer ist sicher, dass sich die Alternativmedizin weiterhin ausbreiten wird und fürchtet, dass der Markt in fünf Jahren von Laientherapeuten beherrscht sein wird. "Und wir werden dann bestimmt riskanter leben als bisher."

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