Wiener Paradigmenwechsel

Hausgeschichte. Nach Büros und Flüchtlingen soll das Blaue Haus am Wiener Westbahnhof den ersten autofrei erreichbaren City-Ikea beherbergen. Über die Hintergründe einer Premiere.

Es war eine dann doch aufsehenerregende Meldung: Kurz vor Weihnachten verkündete der Möbelkonzern Ikea seine Absicht, in Wien am oberen Ende der Mariahilfer Straße, direkt neben dem Westbahnhof, eine Filiale zu eröffnen. Das passende Gebäude dazu hatte man ebenfalls erworben, das sogenannte Blaue Haus, Verkäufer waren die ÖBB. Bekanntheit erlangte das ehemalige Bürogebäude mit Läden im Erdgeschoß 2015, als dort eine Notunterkunft für auf dem Bahnhof ankommende Flüchtlinge eingerichtet war. Nun wird es zum Testobjekt.
Das Konzept für den Stadt-Ikea – durch den sich manche einen Aufschwung für das Einkaufszentrum am Westbahnhof erhoffen – umriss man bei der Gelegenheit ebenfalls: Kunden würden für den Einkauf kein Auto benötigen, die neue Filiale solle 100 Prozent öffitauglich sein. Die Ankündigung sorgte für Erstaunen. Verband man davor nicht den Einkauf im schwedischen Möbelmarkt mit samstäglichen Familienausflügen in die Vorstadt, dem in Anoraks gepackten, angegurteten, schreienden Nachwuchs, der erst wieder im Selbstbedienungsrestaurant mit einem Teller Fleischbällchen beruhigt werden konnte? Mit waghalsigen Beladungsaktionen, bei denen man Nagel- und Autolack in Mitleidenschaft zog?

„Die Richtung stimmt“

„Wir sehen, dass sich das Verhalten ändert: Die Kunden sehen es als Hindernis an, an den Stadtrand zu fahren“, sagt Rodolphe De Campos, Property Manager bei Ikea Österreich. Jenes Argument, das viele Menschen von einem Ikea-Einkauf abhielte, sei schlicht: „Es kostet zu viel Zeit hinzufahren.“
Ein dritter Standort in Wien sei schon länger anvisiert gewesen, ursprünglich in Auhof, doch die Stadt Wien zog nicht mit. Bei Gesprächen mit der grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou – Usus bei anvisierten Großprojekten, die potenziell einer (Um-)Widmung bedürfen, wie beide Seiten sagen – vor einigen Jahren hieß es dann: Ikea gern, aber mit einem Konzept, das zu den Planungen der Stadt passe. Man habe dabei besprochen, „was die Stadt verträgt“, heißt es aus dem Büro der Vizebürgermeisterin.
Zum Zeitpunkt des Gesprächs war bereits der erste City-Ikea in Planung: in Hamburg-Altona. Dem liegt allerdings noch das übliche Konzept mit Autoverkehr zugrunde. Die Hamburger nutzen den City-Ikea mittlerweile aber vor allem als Restaurant, Möbel werden dort vergleichsweise wenige verkauft. Der Gedanke, als Konzern in die Stadt zu gehen, war den Schweden also nicht mehr ganz fremd. Drei Jahre lang arbeiteten De Campos und sein Team schließlich an einem Grundkonzept mit Fokus auf den Westbahnhof: „Das Auto ist dabei überflüssig, es müssen keine Parkplätze gebaut werden. Die Infrastruktur des Gebiets der Mariahilfer Straße funktioniert ja.“ Die Forderung seitens der Stadt sei gewesen, zusätzlichen Verkehr bei null zu halten; der Standort sei ohnehin eine starke Achse. Was Wien wolle, sei klar dokumentiert – wie in dem Fall: stärkerer Fokus auf den öffentlichen Verkehr –, meint De Campos, „und diese Richtung stimmt“.

Weltpremiere ohne Detailplan

Für die Ikea-Gruppe ist ein autofreier Stadtmarkt ein Paradigmenwechsel. Und eine Weltpremiere. Doch die Detailpläne müssten erst entwickelt werden, sagt De Campos. Der Kauf des Blauen Hauses sei der erste Schritt in einem zweistufigen Verfahren gewesen, bei dem die Konzernleitung in Schweden erst nach einem vollumfänglichen Konzept das Okay gebe: Die tatsächliche Umsetzung ist also noch nicht zu 100 Prozent sicher. Sollte man eine interne Genehmigung erhalten, könnte der neue Standort in den frühen 2020er-Jahren eröffnen, schätzt De Campos.
Während es tatsächlich noch keine Pläne zu dem neuen Wiener Ikea außer jenem gibt, dass er autolos nutzbar sein soll, denkt man bei Ikea an, dort zwar das ganze Sortiment anzubieten, aber keine großen Möbel zu lagern – über Lieferservices soll das gelöst werden. Die berühmte Markthalle mit ihren Teelichterpackungen, Servietten und Kissenbezügen soll aber zur Gänze in das Blaue Haus einziehen. Das, im Übrigen, sicher keine „blaue Kiste“ werden soll, wie De Campos sagt: „Wir wollen uns hier architektonisch integrieren – und kein kontroversielles Projekt starten.“

Zum Standort

Das „Blaue Haus“ am Wiener Westbahnhof – ein historisches Gebäude mit zeitgemäßer Geschichte. Das ehemalige Bürohaus mit Ladenlokalen im Erdgeschoß wurde 2015 bekannt, als die ÖBB-Immobilie als Notunterkunft für ankommende Flüchtlinge diente. Die ÖBB verkauften das Objekt schließlich im Dezember 2016 an den Bestbieter: Ikea. Ikea hatte wohl auch den passenden Plan: Das Einkaufszentrum am Westbahnhof soll durch die geplante Filiale ebenfalls profitieren.

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