Tagein, tagaus ein Bild des Nichtgenügens

Querschnittgelähmt: Andreas Nastl über seine Jugend.

W er Literatur für Minderheiten schreibt, hat es schwer. Zum einen werden die Texte mehr als Sachbuch denn als literarische Arbeit gelesen, zum anderen vermeinen viele, hier schreibe sich bloß jemand die Frustration über Demütigungen vom Leib. Zwar sind die Abwehr einer verletzenden Welt und die Selbstbehauptung des Individuums bei vielen bedeutenden Autorinnen und Autoren immer vorhanden, ja sie werden als Beweis von Authentizität genommen; bei Angehörigen von Minderheiten gilt das jedoch nicht. Was den einen als Vorzug zugemessen wird, schlägt bei den anderen als Malus zu Buche. Vom Verdikt der Betroffenheitsliteratur bis zum Kitschvorwurf ist es dann nicht mehr weit. Literatur von behinderten Menschen steht solcherart von vornherein unter Generalverdacht.

Texte, die ein realistisches Bild vom Leben behinderter Menschen zeichnen, müssen schon besonders gut sein, wollen sie sich gegen diese Stereotypien behaupten. Umso erfreulicher, wenn man auf eine dieser Arbeiten stößt. Die Aufzeichnungen Andreas Nastls über eine "Jugend mit Querschnittlähmung" stellen einen solchen Glücksfall dar. Die Lektüre des 340 Seiten starken Bandes macht von der ersten bis zur letzten Seite große Freude.

Dafür gibt es einen Grund: Nastl kann wunderbar erzählen. Er beherrscht die Kunst der Lakonie, der weisen Verknappung; er kann andererseits auch mit Augenzwinkern schwadronieren, er hat Witz und er berührt. So ist diese Autobiografie eines 1965 auf dem Land geborenen Nachzüglers, der infolge eines Tumors querschnittgelähmt ist, eine seltene Gelegenheit, die Lebensumstände eines schwerbehinderten Menschen in den Jahren des Wirtschaftswunders nachzuverfolgen.

In den Sechzigerjahren stand das mechanistische Denken bei Medizinern hoch im Kurs. Körperbehinderte Menschen wurden für Monate in Gips gelegt, in Stützschienen gesteckt, in Gestelle gepfercht - der schiefe Körper sollte gefälligst wieder gerade werden.

Angstfrei anders sein zu können, war unmöglich. Es waren diese Praktiken, welche vielen behinderten Menschen die Jugend vergällten. In der Doppelmühle von Aussonderung und Zwangsintegration schlugen sie sich durchs junge Leben, monatelang von Familie und Freunden getrennt. Drei Jahre lang versucht der berühmte Mediziner Rett, den querschnittgelähmten Buben zum Gehen zu bringen, das Kind muss schmerzhafte Schienen tragen, liegt ein Jahr im Spital und bekommt tagein, tagaus ein Bild des Nichtgenügens vermittelt. Andere Psychen wären daran zerbrochen. Nicht so die des Autors.

Er reagiert mit Subversion und List. Autoritäten durchschaut er früh, Trostsprüchlein der Religion empfindet er als Betrug. Lieber befasst er sich mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens: Initiationsriten und Mädchen. Er macht einige großartige und viele bittere Erfahrungen und reift zum Mann. Wenn es Zeit und Geld erlauben, reist er oder sucht bei der Krankenkasse um einen Kuraufenthalt im All an. "Denn das Hauptproblem meiner Wirbelsäule ist die Schwerkraft. Die Aufhebung derselben würde meine Beschwerden beseitigen." Wie die Kasse reagiert hat? Nachlesen! Unbedingt bei Nastl nachlesen! [*]

Andreas Nastl Wie kommt die Kuhscheiße aufs Dach
360 S., geb., € 25 (Bibliothek der Provinz, Weitra)

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