OGH lenkt ein: Viagra doch auf Kasse

Bei Depression. Trägt ein Potenzmittel zur Behandlung einer psychischen Erkrankung bei, muss die Kasse zahlen. Für einen Diabetiker hatte der Gerichtshof das zuletzt noch verneint.

WIEN. Gehört die Fähigkeit zum Geschlechtsverkehr zu jenen lebenswichtigen persönlichen Bedürfnissen, zu deren Befriedigung die Krankenkasse beitragen muss? Um diese Frage kreist eine neue Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH). Die Antwort vorweg: Führt eine Potenzstörung zu einem behandlungsbedürftigen psychischen Leiden und verspricht ein Potenzmittel Besserung, muss die Kasse es bezahlen.

Der heute 65-jährige Kläger leidet schon seit 20 Jahren an Erektionsstörungen. Er behilft sich mit einem Medikament namens "Caverject". Es wirkt ähnlich wie "Viagra" - oft sogar besser -, wird aber nicht oral eingenommen, sondern in das Problem-Organ injiziert.

Selbst nachdem dem Mann wegen eines Karzinoms die Prostata entfernt und ein für die Erektion notwendiges Nervenbündel durchtrennt werden musste, konnte er mittels Schwellkörper-Auto-Injektions-Therapie ("Skat") sein Bedürfnis nach sexueller Aktivität stillen. Die Kärntner Gebietskrankenkasse kam zwar zunächst für das Medikament auf, ab Februar 2005 verweigerte sie jedoch die Zahlung. Damit reagierte sie auf die erste Entscheidung des OGH zu diesem Thema, in Fachkreisen "Viagra I" genannt: Der Gerichtshof hatte darin entschieden, dass ein impotenter Diabetiker keinen Ersatzanspruch hat (10 ObS 227/03k). Eine erektile Dysfunktion solle nach dem gesellschaftlichen Grundverständnis nicht auf Kosten der Sozialversicherung behoben werden.

Im neuen Fall führte der Kläger aber ein zusätzliches Argument ins Treffen: Er stützte seinen Anspruch auch darauf, dass seine Impotenz bereits zu psychischen Leidenszuständen mit Krankheitswert (depressive Verstimmung) geführt geführt habe. Die Behandlung mit dem Medikament diene daher der Wiederherstellung, Festigung und Besserung seiner Gesundheit. Das stimmte den OGH um: "Da die erektile Dysfunktion im gegenständlichen Fall somit auch als Auslöser einer gesellschaftlich anerkannten psychischen Krankheit in Frage kommt, kann . . . die Verabreichung von Potenzmitteln auch als notwendige Krankenbehandlung der psychischen Probleme gesehen werden" (10 ObS 12/06x). Ob die vorliegen, muss noch die erste Instanz feststellen.

Für Prof. Bob Djavan, stellvertretender Klinikvorstand der Urologie am Wiener AKH, steht unabhängig von diesem Fall fest: "Gerade bei radikal Prostatektomierten verändert sich die gesamte Situation, nicht nur die Sexualität. Auch die psychische Konstellation und das Verhältnis zum Partner leiden darunter", so Djavan zur "Presse". Er hält es für "menschenunwürdig", einem Patienten, der altersmäßig noch zum Geschlechtsverkehr fähig wäre, den Kostenersatz vorzuenthalten. Er bringt auch ein finanzielles Argument: Ein psychisch zufriedener Krebspatient spreche wesentlich besser auf die onkologische Behandlung an, was deren Kosten reduziere.


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