Bluten aus Sehnsucht

Viele blieben ihm lange, etwa als Briefpartnerin, erhalten; manche teilten ihr ganzes Leben mit ihm; andere brachen den Kontakt ab. Frauen um Freud – ein Überblick.

Verschiedene Frauen beeinflussten Leben und Werk Sigmund Freuds. Viele blieben ihm lange, zum Bei spiel als Briefpartnerin, erhalten, manche teilten ihr ganzes Leben mit ihm, andere brachen den Kontakt ab. Außerhalb der Familie waren es vor allem Patientinnen, am Beginn standen die Hysterikerinnen - viele von ihnen gehörten der wohlhabenden Wiener jüdischen Oberschicht an und litten an dieser unerklärbaren "Krankheit der Nerven" mit mannigfaltigen Symptomen: Lähmungen, Sprachverlust, Husten- und Schwindelanfällen, aber auch unerwarteten Wutausbrüchen, Melancholie und Todessehnsucht. Ratlose Ärzte scheiterten mit den traditionellen Therapien.

Diese Frauen, in Sanatorien zur Kur versteckt oder in den gutbürgerlichen Familienverbänden Wiens als Exzentrikerinnen geduldet, verfügten meist über die geheime Macht, Drehscheibe ihrer Familien zu sein. Einige von ihnen gestalteten das kulturelle Leben Wiens in ihren gesellschaftlichen Zirkeln und Salons maßgeblich mit.

Freud, damals Anfang 40, konzentrierte sich auf das Phänomen seiner Zeit - die Hysterie. Enger Freund und Mentor war dabei Josef Breuer, ein angesehener Wiener Internist, der gerade versuchte, einen neuen Zugang zu finden: Er ließ seine Patientinnen einfach sprechen. Einer der ersten Fälle, als "Anna O." bekannt geworden, faszinierte Freud, und auch er wollte die geheimen Botschaften seiner Patientinnen verstehen. Eine der ersten Analysandinnen und "Lehrmeisterin im Freien Sprechen", wie er sie nannte, war Cäcilie M.

Hinter diesem Pseudonym verbirgt sich Anna von Lieben, geborene Todesco, zehn Jahre älter als Freud. Sie war mit Leopold von Lieben verheiratet, einem wohlhabenden Bankier - ihre Ehe verlief konventionell und unglücklich. Anna von Lieben galt als eine der reichsten Frauen Wiens und war Mutter von fünf Kindern. Hugo von Hofmannsthal beschrieb sie in den Entwürfen für den "Roman des inneren Lebens" als "tierisch", "sinnlich", "halbverrückt". Sie war hoch gebildet, liebte das Schachspiel und war mathematisch interessiert.

Ihr Hausarzt, Josef Breuer, vermittelte sie an Freud, der sie fünf Jahre lang mehrmals wöchentlich zu Hause besuchte. Ihre Symptome: anhaltende Schlaflosigkeit, Halluzinationen und unbestimmte Schmerzen, begleitet von "langen Deklamationen". Im Zuge des "Sprechens" mit Freud tauchten lange zurückliegende Erlebnisse auf, deren intensive "Besprechung" half, die Schmerzen zu beseitigen. Allerdings wurde ihr Zustand nie stabil, Freuds Bemühungen waren von zeitlich begrenztem Erfolg.

Anna von Lieben führte ein Analysetagebuch und schrieb Gedichte; ihr Sprachgebrauch eröffnete Freud eine neue Dimension: den Zugang zu unbewussten Erinnerungen. In der Folge wagte er, das Unaussprechliche zu formulieren: sexuelle Wünsche, unerfüllte Träume und Begehren als wahren Hintergrund der psychischen Erkrankungen. Breuer waren diese Ansichten zu gewagt, es kam zum Bruch zwischen den Freunden.

Die Besuche bei Anna von Lieben endeten 1895, und Freud konzentrierte sich auf eine andere Patientin: Emma Eckstein. An ihr, die unter unerklärlichem Nasenbluten litt, erprobte Freud seine neue Sprache. "Von der Eckstein weiß ich bis jetzt, dass sie aus Sehnsucht geblutet hat. Sie war von jeher eine Bluterin." Sein Berliner Freund Wilhelm Fliess operierte sie auf Freuds Anraten an der Nase, vergaß allerdings ein Stück Gaze im Nasenbereich, das auf Grund andauernder Blutungen zwei Wochen später von einem anderen Arzt entdeckt und entfernt wurde. Zehn Jahre jünger als Freud, entstammte auch sie einer angesehenen jüdischen Bürgerfamilie. Sie firmiert in einem Schlüsseltraum Freuds, Irmas Injektion, als zentrale Figur und wurde später eine der ersten Patientinnen Freuds, die als Nichtärztin selbst psychoanalytisch tätig wurde.

Zu diesem Zeitpunkt begann Freuds verstärkte Auseinandersetzungen mit Träumen: Wohl hatten Patientinnen ihre Träume im Rahmen der "Besprechungen" berichtet, aber erst auf Grund seiner Befassung mit den eigenen Träumen schenkte er diesem Alltagsphänomen zunehmend Beachtung. Zwei Träume und deren Analyse standen dann auch im Zentrum einer seiner prominentesten Fallgeschichten, dem Fall Dora. Freud hatte soeben seine Annahme über den Missbrauch seiner Patientinnen durch die Eltern, vornehmlich die Väter, modifiziert und die Hypothese erstellt, dass seine Patientinnen diese Verführungen fantasierten, und sie als unbewusste Wünsche definiert. Dora, Tochter einer wohlhabenden Familie, hatte den versuchten Missbrauch allerdings real erlebt: Ihr schwer kranker Vater hatte eine Geliebte, die ihn auch pflegte. Der Mann dieser Geliebten hatte sich Dora gegen ihren Willen sexuell genähert; als sie dies ihren Eltern erzählte, wurde sie wegen Depressionen zu Freud geschickt. Sie fühlte sich als Bauernopfer, legte ihm die Geschichte dar, und dieser deutete erstmals ihre Träume. Sie konnte in ihm jedoch keinen adäquaten Verbündeten finden, schon gar nicht, als sie ihre erotischen Gefühle gegenüber der Geliebten des Vaters formulierte - Freud sah sich in Gefahr, die eigenen homoerotischen Neigungen zu seinem Brieffreund Fliess eingestehen zu müssen, und beharrte auf seinen Deutungen - daraufhin brach Dora die Behandlung ab. Freud publizierte den Fall 1902 unter dem Titel "Bruchstück einer Hysterieanalyse".

Hinter dieser Fallgeschichte verbirgt sich Ida Bauer, die Schwester des großen sozialistischen Politikers der Zwischenkriegszeit Otto Bauer.

Eine zentrale Figur in Freuds Leben, die sich scheinbar ganz selbstverständlich Zugang zum bis dahin nur männlich besetzten Zentrum der Macht der psychoanalytischen Bewegung verschaffte, war Lou Andreas-Salom©. Lou war rund 50 Jahre alt, als sie in Freuds Leben trat, und nach einer Analyse bei ihm wurde sie selbst psychoanalytisch tätig. Sie war eine erfolgreiche, viel gelesene und beachtete Schriftstellerin, in jungen Jahren wurden ihr Verhältnisse mit Nietzsche, dem Schriftsteller Paul R©e und Rilke nachgesagt. Aus wohlhabendem russischem Hause stammend, war sie Freuds "Glückstier", er schätzte an ihr die sprachliche Ausdrucksfähigkeit und ihre literarischen Qualitäten ebenso wie ihre Warmherzigkeit und den positiven Zugang zu Lebenserfahrungen. Als Freud Lou Andreas-Salom© in Analyse nahm, beschäftigte er sich mit dem Phänomen des Narzissmus. Der Kontakt mit ihr beförderte diese Arbeit, wie er selbst notierte, entscheidend, verkörperte doch gerade sie diesen narzisstischen Frauentypus, den Freud in seiner Schrift "Zur Einführung des Narzissmus" formulierte und darstellte. Vor allem läutete sie die Epoche der selbstbewussten, emanzipierten Frauen ein, die aufgrund der Kenntnis seiner Schriften Kontakt mit Freud suchten und die Herausforderung annahmen, sich das Konzept der Psychoanalyse zu eigen zu machen.

Mit der Frau Sigmund Freuds verband sie eine tiefe und warmherzige Freundschaft, und sie vermittelte bisweilen bei häuslichen Unstimmigkeiten. Freud stand uneingeschränkt hinter Lou, wenngleich er bisweilen Zweifel formulierte, ob das, was sie praktiziere, wirklich Psychoanalyse nach seiner Vorstellung sei. Dennoch übernahm sie keine offiziellen Funktionen innerhalb der sich herausbildenden internationalen Organisationsstrukturen, diese Rolle sollte ab den Zwanzigerjahren Anna Freud, der jüngsten Tochter, vorbehalten bleiben.

"Wenn es ein Sohn gewesen wäre, hätte ich dir telegrafisch Nachricht gegeben. Da es ein Töchterchen namens Anna geworden ist, kommt es bei Euch verspätet zur Vorstellung", schrieb er anlässlich ihrer Geburt an seinen Freund Fliess.

Anna Freud setzte als einzige der drei Töchter eine abgeschlossene Ausbildung zur Volksschullehrerin durch, doch noch 1924 schrieb sie an Lou Andreas-Salom©: "Seit ich auf der psychiatrischen Klinik bin und die Einstellungen der Ärzte gegen Nichtärzte sehe, mache ich mir oft Gedanken darüber, ob ich mir nicht durch ein Medizinstudium viel zukünftige Schwierigkeiten hätte ersparen können. Papa meint noch immer, nein, und jetzt wäre es mir ja natürlich auch schon zu spät, um anzufangen." Freud nahm sie in Analyse, ein heute undenkbares Unterfangen, in der Zeit selbst allerdings nichts Außergewöhnliches. 1922 wurde sie Mitglied der Wiener psychoanalytischen Vereinigung. - In den Zwanzigerjahren veränderte die Ankunft der Amerikanerin Dorothy Burlingham, einer Tiffany-Erbin, in Wien Annas Leben. Burlingham suchte Hilfe für ihren ältesten Sohn Bob, die Familie wurde schnell in den inneren Kreis um die Freuds integriert. Die Kinder waren bei Anna in Analyse, Dorothy bei Freud. Mit Dorothy Burlingham verband Anna zunächst eine intensive Freundschaft, aus der eine lebenslange produktive Arbeits- und Lebensgemeinschaft werden sollte.

Abgesehen von diesem inneren Kreis um Freud, Anna und ihre Freundinnen gab es schon damals zahlreiche Frauen, die als Psychoanalytikerinnen praktizierten und selbstständig arbeiteten - wie zum Beispiel Helene Deutsch, die ein umfassendes Werk zur weiblichen Sexualität veröffentlichte, Editha Sterba, die den psychoanalytischen Verlag mit ihrem Mann, Richard Sterba, aufbaute, und Annie Reich, die an den von Wilhelm Reich und Marie Frischauf gegründeten sozialistischen Sexualberatungsstellen in Wien mitarbeitete. Bis 1938 war nahezu die Hälfte aller ordentlichen und außerordentlichen Mitglieder der Psychoanalytischen Vereinigung weiblich.

Ab den Zwanzigerjahren hatte Freud auch zunehmend internationale Analysandinnen, die sich bei ihm zu Analytikerinnen ausbilden ließen. Eine von ihnen sollte eine Schlüsselfunktion bei der Emigration der Familie Freud einnehmen: Marie Bonaparte, Prinzessin von Griechenland. Mit ihren politischen Verbindungen sorgte sie dafür, dass die Emigration der Freuds reibungslos verlief, und unterstützte die Familie finanziell, sodass Martha, Anna und Sigmund Freud Österreich am 4. Juni 1938 weitgehend unbehelligt verlassen konnten.

Bei der Ankunft in London gab Freud das einzige Interview seines Lebens, in dem er sein Lebenswerk zusammenfasste: "Unter dem Einfluss eines älteren Freundes und auf Grund meiner eigenen Anstrengungen entdeckte ich einige wichtige neue Tatsachen über das Unbewusste im psychischen Geschehen, die Rolle der triebhaften Zwänge und vieles mehr. Aus diesen Forschungsergebnissen entstand eine neue Wissenschaft, die Psychoanalyse, ein Teil der Psychologie und eine neue Methode zur Behandlung der Neurosen. Für dieses kleine bisschen Glück musste ich schwer bezahlen. Die Menschen glaubten nicht an meine Fakten und hielten meine Theorien für anstößig. Der Widerstand war groß und unerbittlich. Im Alter von 82 Jahren verließ ich in der Folge der deutschen Invasion mein Heim in Wien und kam nach England, wo ich mein Leben in Freiheit zu enden hoffe. Mein Name ist Sigmund Freud."

Eineinhalb Jahre später sollte er, der nahezu zwei Jahrzehnte an einem äußerst schmerzhaften Gaumen- und Kieferkrebs gelitten hatte, auf eigenen Wunsch sterben. Sein Hausarzt Max Schur löste ein altes Versprechen ein und verabreichte ihm die entsprechende Dosis Morphium. Freud bat ihn zum Schluss nur mehr um eines: "Sagen Sie es Anna."

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