Niemand zu Hause?

Statt Einheit und Reinheit und Sicherheit und Gewissheit: das "Einströmen kulturell fremder Menschen". Statt Binnenkultur: Fremdheit, Babylon, Differenz! Kulturelle Vielfalt: das Risiko.

In Ulrich Becks Buch von der "Risikogesellschaft" (1986) ging es um die theoretische Bewältigung von Tschernobyl, um eine ökologisch durchtränkte Kritik an einem Zustand der Gesellschaft, der als untragbar eingestuft wurde. Im Mittelpunkt stand die Diagnose, dass das Risiko unabsehbar, uneinschätzbar, unsichtbar geworden sei. "In der Risikogesellschaft entsteht so in kleinen und in großen Schüben - im Smog-Alarm, im Giftunfall und so weiter - das politische Potenzial von Katastrophen. Deren Abwehr und Handhabung kann eine Reorganisation von Macht und Zuständigkeit einschließen. Die Risikogesellschaft ist eine katastrophale Gesellschaft. In ihr droht der Ausnahmezustand zum Normalzustand zu werden."

Auch wenn die ökologischen Endzeit-Szenarien infolge von symbolischer Übernutzung, aber auch von handfester Verdrängung mittlerweile in die Ferne gerückt sind und nicht einmal im Alltagsvokabular grüner Parteien oder Gruppierungen anzutreffen sind, ist der strukturelle Schrecken des Ausnahmezustands plötzlich in einem anderen Bereich zutage getreten. Untergang droht uns unseren heutigen kollektiven Fantasien zufolge weniger von der Natur; zum Risikofaktor geworden ist, was einst als ihr Gegenbegriff galt: Kultur. Längst hat diese Horrorvision Politik, Medien, Wissenschaft und Film erreicht: das Bild von Menschen aus gekränkten, gedemütigten Kulturen - vornehm: muslimischen Fundamentalisten -, die sich auf dem Schwarzmarkt mit Plutonium versorgen, um die Welt in die Luft zu sprengen.

Dass es, entgegen der Freudschen Engführung von Kultur und Sicherheit, eine moderne Kultur des Risikos gibt, schließt ein, dass Kultur ein Risiko darstellen kann sowie dass es riskante Kulturen gibt. Der Inbesitznahme Außereuropas folgte die postkoloniale Immigration von verzweifelten, aber auch sozial aufstrebenden Menschen - von Nachfahren der Kolonisierten und Verlierern der Globalisierung -, in die westlichen Zentren von Macht und Wohlstand. Wir sind heute Zeugen dieser Gegenbewegung, die Europa mit dem Bau einer unsichtbaren Mauer von Schikanen und polizeilichen Maßnahmen beantwortet, weil eben das Einströmen kulturell Fremder weiten Kreisen der ansässigen Bevölkerung als bedrohlich, gefährlich, eben riskant erscheint und die Gefahr von rassistischen Reaktionen heraufbeschwört, die sich politische Gruppierungen am Rand (und auch jenseits) des demokratischen Spektrums zunutze machen und damit die traditionellen Machteliten in Bedrängnis bringen. Kulturell riskant sind selbstredend stets die Kulturen des und der anderen. Damit wird das unübersehbare Risiko mit unabsehbaren Folgen, das in der Begegnung von Kulturen besteht, auf die jeweils andere Kultur abgewälzt.

Es ist also sinnvoll, von der Kultur als ei- nem Risiko zu sprechen, ganz entgegen der noch immer weit verbreiteten Angewohnheit, Kultur als etwas "Höheres", "Feineres" zu bestimmen, wo der Mensch sich im Lichtgewand des ihm Möglichen zeigt. Dass kulturelle Vielfalt - allem Lob des Multikulturalismus zum Trotz - unter der Hand als politisches, soziales und kulturelles Risiko angesehen wird, ist selbst das widersprüchliche Ergebnis der modernen Kultur. Ironischerweise empfinden sowohl der klassische Nationalismus als auch der neuzeitliche Universalismus die Vielfalt der Kulturen als bedrohlich und ärgerlich. Pointiert und vermutlich auch vereinfacht lässt sich behaupten, dass die moderne westliche Kultur sich selbst als ein Risiko erscheinen lässt, das sie die außereuropäischen Kulturen spüren lässt.

Im Fall des universalistischen Diskurses diverser Kosmopolitiken wird die Vielfalt als etwas angesehen, was die vermeintliche Einheit bedroht. Die Vielfalt erscheint hier nicht als bunter Luxus, sondern als ein Hindernis für die Verständigung und die Gleichheit der Menschen, als ökonomisch kostspieliger Überfluss. Vielfalt ist zudem ein Stigma der Rückschrittlichkeit; sie erschwert Kommunikation und erzeugt Missverständnisse, ist ökonomisch dysfunktional, kurzum eigentlich das größte Ärgernis für den modernen neoliberalistischen Markt-Rationalisten und -Fetischisten.

Der Aufstieg des Englischen und die Entstehung des "Denglischen" hat entschieden mit dem untheoretischen Universalismus unserer Tage zu tun. Die Extremvariante von Aufklärung wäre eine Welt ohne kulturelle Unterschiede: ein Esperanto nicht nur der Sprache, sondern auch der Lebenskultur, des politischen Lebens, der Imagination. Die Zwiespältigkeit, die viele Europäer seit hundert Jahren schon dem american way of life entgegenbringen, hat weniger mit der amerikanischen Kultur als mit unseren eigenen kollektiven symbolischen Kastrationsängsten zu tun. Der wirkliche oder auch nur aus tagespolitischen Gründen behauptete Antiamerikanismus ließe sich als die negative Seite des "Denglischen" beschreiben, das einem das unverschämte Gefühl beschert, ein Mann oder eine Frau zu sein, der oder die in der Mitte der Welt von heute Platz genommen hat. Was uns systematisch entgeht, ist der Umstand, dass das "Denglische", dieser beredt gewordene Sehnsuchtsjargon, und das antiamerikanische Ressentiment zwei Seiten derselben Medaille sind. Die universale Welt, hinter der die eigene symbolische Welt als provinziell zurücktreten muss, wird eindeutig als amerikanisch dekodierbar erfahren. Kultur im eigentlichen Sinn ist konventionell, wandelbar und zufällig, wie die Sprache. Verschwände sie, träte an ihre Stelle eine Kultur, die sozial funktional wäre wie eine Kücheneinrichtung oder der Eiskasten. Aber genau diese schwache Form symbolischer Sinngebung, diese "Unkultur", löst jene Panik aus, aus der sich einigermaßen ungut der Antiamerikanismus unserer Tage speist, der nicht mit einer Kritik an bestimmten Aspekten des amerikanischen politischen, sozioökonomischen und kulturellen Lebens verwechselt werden darf.

Für den Universalisten stellt die schiere Existenz der Kulturen eine lästige Barriere dar, die politisch und ökonomisch die Weltgesellschaft und die eine ökonomische Megamaschine verhindert. Umgekehrt wird von den Kulturalisten jene Kultur als Bedrohung angesehen, die im Augenblick auf allen Ebenen dominiert. Aber damit räumt der Kulturalismus, wenn auch unfreiwillig, ein, dass Kultur eine gefährliche Angelegenheit ist und dass sie die fatale Eigenschaft hat, andere zu unterminieren.

Was Kosmopolitismus und Nationalismus, bei allen Unterschieden, vereint, ist der Umstand, dass sie kulturelle Vielfalt als bedrohlich für ihre historischen Projekte ansehen. Was der Nationalist auf paradoxe Weise für die eigene Ethnie reklamiert, die Einheit in einer staatlichen organisierten Nation, das verweigert er wiederum jenen Ethnien, die sich auf dem Territorium des vermeintlichen ethnisch reinen Staates befinden. Demgegenüber möchte der Kosmopolit von den kulturellen Differenzen gerne absehen und sie gering schätzen: wodurch er Gefahr läuft, Kultur überhaupt - auch im Hinblick auf ihre brisanten politischen Folgen - gering zu schätzen.

Kulturelle Vielfalt ist seit der Romantik irritierend und stimulierend zugleich, ein Abenteuer im Kopf und ein Aufruhr des Leibes, Risiko der imaginären wie der realen Begegnung mit dem Fremden, dem kulturell anders Markierten. Um das praktische Risiko kultureller Begegnung einzudämmen, das sich aus diesem Visavis ergibt, hat es stets eingespielte, ritualisierte Umgangsformen gegeben: Gastfreundschaft, Diplomatie, herrschaftliche Toleranzedikte, Quotenregelungen, Ausgleichs-, Proporz- und Korrektheitsregeln. Bis zu einem gewissen Grad sind all jene theoretischen Konzepte, die sich mit dem Phänomen befassen, dass Kultur stets Differenz, Abstand, Wertung Ausgrenzung und so Vielfalt produziert, als Teil dieser kollektiver symbolischer Sicherheitsbemühungen zu sehen. Sofern sie nicht einem atavistischen Rassismus und Nationalismus folgen, geht es in den Begegnungen mit dem Fremden stets darum, die vulkanischen Momente zu kalmieren, abzukühlen, einzudämmen.

Oder, um noch einmal Freuds Formel zu adaptieren: Im Zentrum steht die Kanalisierung kollektiver Leidenschaften zugunsten einer Sicherheit, die uns vor ihren negativen Aspekten schützt. Das heutige Unbehagen wäre demnach ein doppeltes: das Unbehagen an unübersichtlichen kulturellen Differenzen, die eindeutiges Handeln mindestens erschweren, wenn nicht unmöglich machen (das illustrativste Beispiel dafür ist der Alltag der Europäischen Union), sowie das Unbehagen an einer kalten Globalisierung, die alle kulturelle Differenz in einer Art von sanftem Totalitarismus ausschaltet und die Dignität vieler Kulturen, insbesondere der außereuropäischen, mit Füßen tritt und die noch immer einer postkolonialen Logik zu folgen scheint: Ihr müsst froh sein, wenn wir euch zeigen, wie es richtig geht.

Die neue Situation kultureller Interaktion ist es, die das Unbehagen mobilisiert. Die Gewissheiten der eigenen Kultur beginnen schwankend zu werden, und die neuen Ungewissheiten zerstören eben das, was für Kultur bis dato so charakteristisch war: dass sie Unbewusstheit produziert und sich, gleichsam an den wiederum riskanten Klippen des Intellekts vorbei, in die Körper ihrer Mitglieder inkarniert. In einer Definition von Kultur, die auf T.  S. Eliot zurückgeht, stellt diese sich als blinder Lebensvollzug dar, dessen symbolische Dimension latent ist: Kultur erzeugt, internalisiert, verleiblicht symbolische Räume, die nicht in Frage gestellt werden, die außer Streit stehen. Jede Binnenkultur lässt sich als ein derartiger gemeinsamer symbolischer Fundus verstehen.

Freilich, schon in der Monarchie und erst recht im europäischen Kolonialismus bekommt er seinen historischen Auftritt und wird nicht selten zum Büttel oder zum Opfer des Rassismus: der Mischling. Seit der Postmoderne hat in den angelsächsischen Cultural Studies der kulturelle Mischtypus des Dritten, der weder der einen noch der anderen Gruppe angehört, der Hybride, seinen festen Platz in der theoretischen Rhetorik der Kulturwissenschaften. Er ist in Zwischenräumen angesiedelt: Schwelle, Stiegenhaus, Aufenthaltsraum. Heimatlosigkeit: Der Hybride ist einer, der nicht mehr weiß, wo er hingehört, wo er ist. Auch dieses Konzept versucht, das Risiko der "heißen" nationalen Kulturen zu verringern und deren gefährliche Antriebe einzudämmen. Im Vergleich zum klassischen humanistischen und nationalen Subjekt ist der Hybride symbolisch schwach markiert. Er taugt, scheinbar, nicht zur klassischen Identitätspolitik des Nationalismus, weil er dessen Prinzip der eindeutigen Zuordenbarkeit missachtet und so einen neuen kulturellen Typus hervorbringt, der transnational ist: weder in der Leere der ökonomischen Räume angesiedelt noch auf das symbolische Feld nationaler, von Kultur gespeister Identität hin orientiert. Der Hybride ist der Nowhereman der neuen Globalisierung, irgendwer und überall. Doch womöglich handelt es sich dabei um eine neuerliche romantische Projektion. Ernest Gellner hat darauf hingewiesen, wie viele Gründer und Frondeure des klassischen Nationalismus auf dem Territorium der Monarchie solche "Hybriden" waren. Differenz wird als unerträglich erfahren und kann unter bestimmten Bedingungen aggressive Abgrenzung hervorrufen, deren Energie sich aus der ethnischen Selbstverleugnung speist. In den Begriff des "Hybriden", des unfruchtbaren Mischlings aus dem "biologischen Diskurs", ist das Fremdbild des Rassismus ganz unfreiwillig eingeschrieben.

Mag die Überwindung des Phantasmas der Reinheit, des Anfangs und der Einheit einen wichtigen Schritt hin zu einer Öffnung des kulturellen Raumes darstellen, so liegt hier doch eine Gedankenfigur vor, die den Rassismus als radikales kulturelles Präferenzsystem des eigenen Selbst mit dem negativen jener vertauscht, die, ethnisch betrachtet, eine solche territoriale Identität durch Identitätspolitik überbieten. Der Mensch in der Diaspora - um ein anderes, weniger verfängliches Wort zu gebrauchen - verfügt tatsächlich über bestimmte Erfahrungen, die ihn im günstigen Fall in die Lage versetzen, Alterität (Andersheit) und Differenz in sich selbst zu akzeptieren. In gewisser Weise gehört er in die Typologie des waghalsigen Grenzüberschreiters, jenes modernen Archetyps, der imstande ist, gefährliche Klippen zu umschiffen.

Es ist symptomatisch, dass in der zunächst einnehmenden Gedankenfigur des Hybriden Differenz noch einmal ethnisch auf paradoxe Weise substanzialisiert wird. Gegenüber einer solchen "negativen Ethnisierung" und ihrer heimlichen Präferenz für den kulturellen Mischtypus nimmt sich das Plädoyer für eine Alterität, die keine ethnische Privilegierung kennt, als dynamisches Moment aus, das unter den Bedingungen der Moderne zum Tragen kommt. Kontingenz und Relativität ermöglichen ihrerseits einen offenen Zugang gegenüber dem Fremden, der das mögliche Eigene von morgen verkörpert. Die gebrochene und gespaltene Identität wird dabei zur Conditio sine qua non einer ungewissen, aber nicht als gefährlich verstandenen Begegnung mit anderen Kulturen innerhalb und außerhalb der eigenen Binnenkultur.

Derlei Konzeptionen sind anziehend, weil sie eine Ethik entfalten, die, salopp gesprochen, erotisch aufgeladen ist und somit die attraktive Seite des anderen akzentuiert. Erotik ist ohne die Kategorie der Andersheit, der Differenz, der Unerreichbarkeit nicht denkbar. Es handelt sich um eine Ethik, die nicht länger ein Teilgebiet philosophischer Anwendung ist, sondern gleichsam in die Ontologie menschlichen Seins unauslöschlich eingeschrieben ist. Ob ihre Durchsetzung indes nicht an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, an ökonomische, soziale und politische etwa, bleibt in dieser Perspektive ausgeblendet. Wer sich - zu Recht oder zu Unrecht - als Opfer undurchsichtiger ökonomischer Prozesse sieht oder wer aus alltäglich erlittener Unsicherheit und Benachteiligung unfähig ist, die Gespaltenheit seiner Identität anzuerkennen, die er stets verteidigen zu müssen glaubt, der kommt für eine solche Metapolitik der Alterität schwerlich in Frage, der wird fast automatisch diese undurchschaubaren, also beunruhigenden politisch-ökonomischen Prozesse als fremd, also feindselig erfahren und dementsprechend auf sie reagieren. - So beruht die Öffnung für den anderen, aller bekundeten Fragilität zum Trotz, auf einem kräftigen Selbstbewusstsein, das ganz offenkundig mit bestimmten sozialen und ökonomischen Bedingungen zu tun hat. Hermann Broch hat dies in seiner Massenwahntheorie, die die Erfahrungen der Zwischenkriegszeit ebenso verarbeitet hat wie jene der unmittelbaren Nachkriegszeit, herausgestellt: "Es entspricht dem Wesen unserer Epoche, dass die Angstbedrohung, die den modernen Menschen umgibt, eine vornehmlich ökonomische ist, und zwar die der ökonomischen Unerfasslichkeit. Der Durchschnittsmensch dieser Zeit ist unsichtbar unerfasslichen ökonomischen Gewalten unterworfen, sie heißen Konjunktur, Inflation, Arbeitslosigkeit, Unrentabilität, und sie können noch hundert andere Namen annehmen, aber immer sind sie in beinahe mythischer Weise übermächtig und so unentrinnbar, dass er sich ihnen als willenloser Spielball überantwortet fühlt." - In diesem ökonomischen wie symbolischen Notstand liegt es nahe, das "Unerfassliche" mit der Figur des Fremden zu identifizieren, der unter "normalen" Umständen als komisch eingestuft und symbolisch zum Inbegriff des "Bösen" aufgeladen wird. Dessen Vernichtung wird nun, wie Broch sarkastisch meint, zur "ethischen Pflicht".

Brochs Skeptizismus und die heutigen Metapolitiken von Differenz und Alterität markieren gleichsam das Spannungsfeld von Gefahren und Chancen im Hinblick auf das Risiko, das mit Kultur und Kulturen einhergeht. Broch beharrt auf der basalen Bedeutung von Politik und Ökonomie; für ihn ist überdies eine Kultur der Diffe-renz und der Selbstenteignung nur schwer denkbar.

Im postmodernen Nihilismus hingegen ist alles gleich wert, weil nichts etwas wert ist, aber das ist nicht unbedingt ein Grund zur politischen Freude: Ein Nationalismus, Terrorismus und Territorialismus ohne hinreichende Gründe und geschlossene Ideologie sind unter den gegenwärtigen Bedingungen wahrscheinlicher als die Metapolitiken des Hybriden und der Selbstenteignung zum Fremden hin.

Sicher, die Fähigkeit, an die Grenze zwischen Fremden und Eigenem zu gehen, bedeutet einen Verlust an Selbstverständlichkeit. Dass man - von allen handfesten sozialen, politischen und ökonomischen Konflikten ganz abgesehen - an dieser Grenze den Fremden trifft, setzt kulturpolitisch voraus, dass alle anderen Kulturen in dieser Welt sich selbst auch als eine zufällige Möglichkeit ansehen. Nur dann wäre jenes offene Gespräch, jenes dialogische Spiel des Fragens denkbar, das nicht auf a priori und einseitig bestimmten Vorgaben beruht und dessen Ausgang ungewiss und unsicher, riskant, das heißt spannend bleibt. Dann wäre Babylon eine Heimat, in der man sich orientieren und mit der man sich identifizieren kann. Ansonsten befindet sich der lässige, wohlmeinende Nihilist, der aus seinem Unglauben einen Vorteil zieht, noch immer im Schatten der eigenen Binnenkultur. In jedem Fall lässt sich behaupten, dass Kultur im Singular wie im Plural, ein Risiko bezeichnet, und zwar in der zweifachen Wertung des Wortes: eine produktive Unsicherheit, die Offenheit stiftet, und eine mögliche Katastrophe: Selbstverteidigung, Abwehr, Ethnisierung, Terror, symbolischen und realen Krieg.

Gerade das kulturelle Risiko macht deutlich, dass die heutige Welt durchaus Utopien beherbergt, keineswegs unbescheidene. Sie gipfeln in der Hoffnung, es könnte eine Vielfalt von Kulturen geben, die eine universale Struktur in sich tragen und die die klaren, wertenden, herrschaftsförmigen Diskriminierungen hinter sich lassen, eine Vielfalt von Kulturen, die gleich wertig und gleich gültig wären und in denen Alterität selbst und die sich daraus ergebende, niemals vor Missverständnissen gefeite unreine, keineswegs logozentrische Kommunikation selbst zu einem universalen Wert avancierten, eine Welt, in der die ethnischen, sozialen und sexuellen Differenzen sich verflüssigten oder gleichsam verdampften beziehungsweise "egal" würden und nicht länger als Diskriminierungen wirksam wären. [*]

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