Wunder für 20 Kreuzer

Zwischen Horn und Altenburg sollte sie liegen - und finanziert werden aus dem Erlös eines Syphilis-Heilmittels: die ideale "Stadt im Traume" von Leopold Paur. Eine Nachforschung im fantastischen 18.Jahrhundert.

Leopold Paur stand in seinem 48. Lebensjahr, als er sich am 15. August 1783 an niemand Geringeren als die Gesamtheit aller Bewohner des Erdkreises wandte: Ein "untrügliches Verwahrungsmittel wider die Lustseuche oder venerische Krankheit", also ein unfehlbares Heilmittel gegen die im 18. Jahrhundert wütende Syphilis, sei, so schreibt er in einer Regensburger Zeitung, in seine Hände gekommen. Er habe sich entschlossen, das Mittel der gesamten Menschheit zur Verfügung zu stellen, jedoch nicht unentgeltlich, er fordere "von jeglichem derselben, um sich und seine Nachkömmlinge von so grossem Uebel zu befreyen, zwanzig Kreuzer, und betrachte alle Völker, sie mögen unter dem Namen der Kaiserthümer, Königreiche, Fürstenthümer, oder Freystaaten bekannt seyn, durchgehends als meine Subskribenten". Ein in allen europäischen Sprachen gedrucktes Werk werde demnächst erscheinen, Auskunft über das Mittel geben, und es werde ihm ein Vergnügen sein, damit alle Kritiker und Zweifler zum Verstummen zu bringen.

Mit dieser geheimnisvollen Ankündigung ließ Paur vorerst sein, wie sich allerdings bald zeigte, wenig interessiertes Publikum, wieder allein, auch enthüllte er zu diesem Zeitpunkt nicht den zweiten Teil seines verwegenen Plans: Mit dem Erlös des Heilmittels sollte eine von ihm als "Stadt im Traume" bezeichnete neue Stadt - eine prächtige geometrische Idealstadt mit 856 Häusern, acht Kirchen, breiten Straßen und einem zentralen Platz - gebaut werden. Als Standort hatte er eine Ebene zwischen seinem Geburtsort Altenburg und der Stadt Horn in Niederösterreich bestimmt. Paur hatte sich ausgerechnet, dass die ganze Stadt 85.600.000 Gulden - 100.000 Gulden pro Haus - kosten würde. Diese gewaltige Summe könnte von allen Erdenbürgern, seiner Meinung nach waren es eine Milliarde, mit einem Beitrag von jeweils 20 Kreuzern ohne weiteres aufgebracht werden.

Am 15. Dezember 1783, nur wenige Monate nach seinem ersten Schritt in die Öffentlichkeit, der weder weitere Zeitungsmeldungen noch das Interesse von öffentlicher Seite nach sich gezogen hatte, kündigte Paur im "Wienerblättchen" den Grundriss der "Stadt im Traume" als Kupferstich an. Doch nicht Paur selbst wollte den Kupferstich anfertigen, nach seinem Wunsch sollte durch einen Architektenwettbewerb der beste Plan auserkoren werden: Derjenige unter allen "Bau- und Messkünstlern", der binnen 90 Tagen den besten Grundriss liefern würde, sollte einen Ehrenpreis von 1000 Souveraindors, die Paur aus Subskriptionsgeldern für sein Heilmittel gegen die Syphilis zu bezahlen gedachte, erhalten. Am 12. März 1784 würde der Kupferstich dann der Öffentlichkeit präsentiert werden.

Der Jurist Leopold Paur war nicht gerade von einnehmendem Äußeren: ein kurzer, plumper Körper, beinahe ohne Hals. Hohe Stirn, tiefe Augenhöhlen, ein etwas aufgedunsenes Gesicht, das vorgeschobene Kinn vermittelte den Eindruck von Verbissenheit. Bis ins Jahr 1783 deutete im Lebenslauf Paurs nichts darauf hin, dass er der Welt einst Großes zu schenken gedachte. Es schien vielmehr, als sei Paur zunächst einzig an der Etablierung eines bequemen und gesicherten Lebens interessiert gewesen. Im Jahre 1735 als Sohn eines Bauern zur Welt gekommen, besuchte er das Horner Gymnasium und begann 1754 das Studium an der Juridischen Fakultät Wien. In der kaiserlichen Residenzstadt nahm er sodann die Arbeit als Hof- und Gerichtsadvokat auf, heiratete 1770 die Wienerin Katharina Dekret, die als Wohnhausbesitzerin wohl als eine "gute Partie" bezeichnet werden konnte; zwei Kinder wurden geboren. Paurs Name tauchte in dieser Zeit weder als Verfasser philosophischer oder gar revolutionärer Schriften auf, noch weiß man von ihm als Teilnehmer intellektueller Zirkel.

Was bewog also Leopold Paur, den nicht mehr jungen Doktor der Rechte, Ehemann und Familienvater, im Jahre 1783 der Welt das fantastische Projekt einer Stadtgründung, finanziert mit Hilfe eines Heilmittels gegen die Syphilis, anzukündigen? Sollen wir die Geschichte glauben, die Paur selbst erzählt? Bereits im Alter von 16 Jahren habe er einen Traum gehabt: Es schien ihm, als würde er in Niederösterreich, im Viertel Obermanhartsberg, zwischen der Stadt Horn und seinem Geburtsort Altenburg, eine Stadt erbauen. Die Jahre vergingen jedoch, und erst 22 Jahre später, im Winter 1773, angeregt durch die Predigt eines Franziskanerpaters, erinnerte er sich seines Traums und beschloss, diesen zu verwirklichen. Falls das alles wirklich zutraf, warum wartete Paur dann nochmals zehn Jahre, bis er der Welt sein Projekt offenbarte? Wie kam es zur paradox anmutenden Verknüpfung eines Heilmittels gegen die "Lustseuche" mit dem Bau einer Idealstadt? Weil ihm tatsächlich ein Wunderheilmittel gegen die Syphilis in die Hände geriet, womit er nun eine Möglichkeit sah, den alten Traum zu verwirklichen?

Oder war Leopold Paur einfach nur einer "der typischen Projektemacher, die namentlich das 18. Jahrhundert so sehr bevölkerten und vielfach an Hochstapelei grenzten", wie der Historiker Gustav Gugitz befand, der sich im Jahre 1949 in einem Aufsatz als Erster mit dem bis dahin vergessenen Stadtutopisten beschäftigte. Die Aufklärung hatte im 18. Jahrhundert Dynamik in überkommene und erstarrte Formen gebracht, man träumte nicht nur den Traum von der besseren Welt, sondern wollte ihn auch realisieren. Die im 18. Jahrhundert entwickelten Gedanken trugen vielfach utopischen Charakter, unzählige Schriften beschäftigten sich mit der Reform von irgendeinem unhaltbaren Zustand. Und manche davon waren eben nur Kopfgeburten. War also Leopold Paur, den ein zeitgenössischer Kritiker als "über Lob und Tadel so muthig hinausgehenden Herrn Erfinder" bezeichnete, schlichtweg ein Aufschneider, ein Hochstapler, ein von stürmischen Zeiten Mitgerissener, der sein kleines banales Leben mit hochfahrenden Plänen füllen und am Rande des Größenwahns gleich die gesamte Menschheit beglücken wollte? Es ist möglich.

Doch wie erging es dem kühnen Projektemacher weiter? Wie Johann Rautenstrauch, scharfzüngiger Publizist und Zeitgenosse Paurs, berichtete, meldete sich während der von Paur anberaumten Frist kein Künstler, der sich der Planung der Stadt angenommen hätte, ebenso fanden sich nur wenige Interessenten, die bereit waren, für das angepriesene Wundermittel 20 Kreuzer im Voraus zu bezahlen. Doch Leopold Paur ließ sich nicht beirren, im August des Jahres 1784 ist im "Wienerblättchen" zu lesen, dass nun seit einigen Tagen Abbildungen des Grundrisses der "Stadt im Traume" käuflich zu erwerben seien, den Grundriss habe Leopold Paur "nach seiner eigenen Idee sehr mühsam entworfen, und auf seine Kosten in Kupfer stechen lassen".

Noch heute sind zumindest drei Exemplare des Kupferstichs erhalten - die Albertina in Wien, die Niederösterreichische Landesbibliothek in St. Pölten und das rührige Krahuletzmuseum in Eggenburg besitzen je einen Abdruck. Der Kupferstich zeigt den Grundriss der Stadt in Form eines Oktogons, das Porträt Leopold Paurs, Modelle eines Einheitshauses und der Kirchen, diverse Inschriften auf Lateinisch, Hebräisch und Griechisch, weiters eine Abbildung der Stadt Horn und des nahe gelegenen Benediktinerstiftes Altenburg. Im Zentrum des Grundrisses liegt das sogenannte "Forum Cretense", ein großzügig bemessener quadratischer Platz, davon in alle vier Himmelsrichtungen führend die breiten Hauptstraßen, weitere acht Plätze, ebenso acht Kirchen und regelmäßige Häuserreihen, die jeweils einen Achtelteil der Stadt bilden.

Die Namengebung der Plätze - "Forum Sinicum", "Forum Indicum", "Forum Aethiopicum", "Forum Abessinicum", "Forum Barbaricum", "Forum Hispanicum", "Forum Moscovicum" und "Forum Tartaricum" - und aller Häuser verweisen auf Paurs kosmopolitische Intentionen, wohl ein Dank an alle zahlungswilligen Erdbewohner: Länder- und Städtenamen aus aller Welt sind versammelt, von Sansibar bis Flensburg, von Peking, Samarkand bis Tunis, selbst den "Hottentots" ist ein Haus gewidmet. Das Einheitshaus, rechts außen auf dem Plan abgebildet, ist, ganz im Stil der josephinischen Ära, schlicht, kubisch, funktionell, das Modell der Kirche ähnelt der Karlskirche.

Für die Frage nach Paurs Absichten liefert uns der genannte Ankündigungstext im "Wienerblättchen" einen Hinweis: Den Käufern der Kupferstiche würde zusätzlich die "Innere Verfassung der Stadt im Traume" ausgehändigt werden. Diese "Innere Verfassung" dürfte zwar noch im Jahre 1784 in der Wiener "Realzeitung" veröffentlicht worden sein, der Text gilt jedoch als verschollen. Aber der Hinweis auf seine Existenz gibt der Vermutung Nahrung, dass Leopold Paur mehr als nur eine neue Prachtstadt gründen wollte, es sollte wohl auch ein strukturiertes Gemeinwesen geben.

Die "Innere Verfassung" fand jedoch keine Beachtung in den intellektuellen Kreisen, wurde nicht öffentlich diskutiert. Nachdem Paur das Geheimnis um sein Heilmittel nicht hatte enthüllen wollen, galt er mit dem Projekt der "Stadt im Traume" endgültig als Fantast, der nicht ernst zu nehmen war. "Sein Riß der Stadt im Traum fiel unvergleichlich aus, vergaß er gleich das nö-thige . . . das Narrenhaus", spottete 1785 ein anonymer Schreiber. Paur wiederum war sich der Sticheleien bewusst, auf dem Kupferstich lässt er die Inschrift "Contumelia non fregit eum sed erexit" vermerken: "Die schmachvolle Behandlung zerbrach ihn nicht, sondern richtete ihn auf." Was waren also Leopold Paurs Intentionen? Hatte er sich von utopischen Staatsromanen inspirieren lassen, die nach dem Vorbild von Platons Idealstaatsentwurf "Politeia" besonders im Gefolge von Thomas Mores "Utopia" (1516) und Thomas Campanellas "Sonnenstaat" (1602) zu neuer Blüte gelangt waren? Ist es nur ein Zufall, dass der Grundriss der "Stadt im Traume" verblüffend dem Plan des englischen Utopisten Samuel Gott ähnelt? Gotts visionäre Schrift "Novae Solymae libri sex" (1648) war nicht als Entdeckung einer bereits vorhandenen perfekten Welt angelegt - wie in frühen utopischen Schriften, etwa in "Nova Atlantis" von Francis Bacon (1627) -, sondern die bestehende Gesellschaft sollte radikal verändert werden, ohne die angestammte Welt verlassen zu müssen. Gotts Stadt "Nova Solyma" ist ebenfalls ein Achteck mit zentralem Marktplatz, geometrisch angeordneten Häuserreihen, Stadttoren, die sich in alle Himmelsrichtungen öffnen.

Die "Stadt im Traume" als Ausdruck toleranten oder gar revolutionären Denkens, Paur als Kritiker des aufgeklärten josephinischen Absolutismus, als Visionär, der von sozialer Harmonie, von einer organisierten idealen Gesellschaft träumte, dem die Schaffung eines "neuen Menschen" vorschwebte? Aber vielleicht war Paur nur von schlichtem Gemüte und hatte sich - aus welchen Gründen immer - in die Idee einer Stadtgründung verbissen. Als es dann absehbar war, dass ihm kein Architekt zu Hilfe kommen würde, hatte er, nach Inspiration suchend, utopische Romane durchblättert und dabei zufälligerweise Gefallen an Samuel Gotts Plan gefunden. Oder Paur orientierte sich an Idealstädten, die seit der Renaissance entworfen und nach strengen geometrischen Mustern ausgeführt wurden.

Wir wissen auch nicht, ob sich Leopold Paur über die Lebensfähigkeit einer neu gegründeten Stadt Gedanken gemacht hat. Wer sollte die "Stadt im Traume", die in die ländliche Abgeschiedenheit des Horner Beckens hineingeplant wurde, besiedeln? Immerhin entsprach die neue Stadt in ihren Ausmaßen etwa der inneren Stadt Wiens, und die geplante Häuserzahl von 856 übertraf die Zahl der Häuser der Stadt Horn - hier gab es Ende des 18. Jahrhunderts 165 Häuser - um ein Vielfaches.

Wie sollten sich die Bewohner der Stadt ernähren? Weder hatte Paur Flächen zur landwirtschaftlichen Nutzung vorgesehen, noch sind auf dem Plan innerstädtische Industrieanlagen ersichtlich. Bedeutet der Hinweis auf dem Grundriss "Hier ist der Ort, wo ich das vorsorglich schützende Heilmittel allen Völkern zum öffentlichen Gebrauch freigeben will", dass Paur die "Stadt im Traume" als Heilmittelproduktionsstätte vorsah und so die Bürger der Stadt zu ernähren hoffte?

Weitere Vermutungen über Paurs Absichten sind zulässig, weitere Inspirationsquellen nahe liegend. Sicher wusste er vom "Jesuitenstaat" in Paraguay, möglicherweise kannte er gar den Jesuitenpater Martin Dobrizhoffer, der sich nach der Vertreibung der Jesuiten aus Paraguay 1767 in Wien niedergelassen hatte, wo er 1791 starb. Und gewiss war Paur der um zwölf Jahre jüngere Jurist Franz Hebenstreit bekannt, der konsequenteste revolutionäre Kopf der Wiener Jakobiner, dessen gesellschaftspolitische Ideen von urkommunistischen Idealen des frühen Christentums und von der Sehnsucht nach einem glücklichen Naturzustand geprägt waren und der 1795 als Hauptverdächtiger der sogenannten "Jakobinerverschwörung" hingerichtet werden sollte.

Oder: War Leopold Paur Freimaurer, und gibt uns die Zahlensymbolik des Stadtplans einen Hinweis auf freimaurerisches Gedankengut, wie es der Historiker Andreas Kusternig in einem kürzlich erschienenen Essay vermutet?

Visionär, Fantast, Aufschneider, Scharlatan: was auch immer Leopold Paur war, mehr als Hohn und Spott erntete er von seinen kritischen Zeitgenossen nicht. Das Publikum lache Paur "als einen Universalträumer aus", schrieb Johann Pezzl noch im Jahre 1787. Paur enthüllte sein "Wundermittel" niemals, langsam wurde es still um ihn.

Finanziell ging es Paur gegen Ende seines Lebens wohl nicht gut, noch kurz vor seinem Tod am 17. September 1800 musste er seine goldene Uhr ins Versatzamt schicken, ebenso versetzte er Kleider und Leinwand unter falschem Namen. Nach Paurs Tod wurde sein weniger Besitz, Bücher und Kleider, die in keinem sehr guten Zustand waren, wie in den Verlassenschaftsakten vermerkt wird, versteigert. Die Erben - die zwei Kinder und die Ehefrau - behielten einen Kupferstich der "Stadt im Traume".

Die Welt hatte kein Heilmittel gegen die Syphilis, Niederösterreich keine neue Großstadt erhalten, geblieben sind drei Kupferstiche und reichlich Stoff für Fantasien. [*]

Edith Blaschitz, 1967 in Wolfsberg, Kärnten, geboren, Historikerin, Mag. phil., lebt in Nonndorf bei Gars/Kamp, Niederösterreich.

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