Was ist an den populären Aussagen über die Globalisierung wirklich dran? Und was ist Mythos?
"Die Globalisierung ist ein junges Phänomen"
Was daran stimmt: Erst seit den Neunzigerjahren ist der Begriff allgemein gebräuchlich und in inflationärer Verwendung. Aber das täuscht darüber hinweg, dass die weltweite Verflechtung durch freien Handel und Austausch schon viel länger im Schwange ist. Ihre Ursprünge reichen bis ins Mittelalter zurück, als das ökonomische Zentrum der Erde noch im Fernen Osten lag. Historiker sehen die Globalisierung auch nicht als eine kontinuierliche Entwicklung, sondern sprechen von Wellenbewegungen, mit Anläufen und Rückschlägen. Sehr stark integriert war die Weltwirtschaft schon in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg: 1913 hatten die europäischen Staaten Exportquoten, die sie erst in den 1970er-Jahren wieder erreicht haben. Sogar Globalisierungsgegner gab es schon: 1894 versuchte eine anarchistische Gruppe das Observatorium in Greenwich in die Luft zu jagen – weil dort die Weltzeit gemessen wurde, ein Symbol für den enger zusammenrückenden Planeten. Aber die Große Depression, der grassierende Protektionismus der 30er-Jahre und schließlich die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs brachten den Welthandel fast zum Erliegen. Erst in der Nachkriegszeit nahm er wieder langsam Fahrt auf. Den Rahmen dafür bildeten (anfangs) das System von Bretton Woods, IWF und Weltbank sowie das GATT-Abkommen, aus dem später die Welthandelsorganisation entstand. Mit dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus beschleunigte sich der Prozess. Gewachsen ist dabei auch die Rolle von global agierenden Konzernen, die heute oft mehr Wirtschaftskraft haben als ganze Staaten. Aber am Prinzip hat sich wenig geändert, seit im späten Mittelalter die ersten europäischen Händler in China ihr Silber tauschten - gegen Gewürze, Porzellan und Tee.