Chronische Schmerzen: Was hilft?

Chronische Schmerzen hilft
Chronische Schmerzen hilft(c) Erwin Wodicka - wodicka@aon.at (Erwin Wodicka - wodicka@aon.at)
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1,7 Millionen Österreicher leiden an chronischen Schmerzen. Das bedeutet für viele den Verlust von Lebensqualität und Job. Eine Auswahl von möglichen Maßnahmen gegen die Dauerqual.

Jetzt sind wir mittendrin, im ersten europäischen Jahr gegen den Schmerz. Allein das Sprechen über den Schmerz kann das Schmerzgedächtnis alarmieren und aktivieren und so den Schmerz verstärken. Rund 100 Millionen erwachsene EU-Bürger, davon 1,7 Millionen Österreicher, leiden an chronischem Schmerz. Was dagegen tun? Was hilft? Die Anti-Schmerz-Palette ist überaus bunt und reicht von Medikamenten, Physiotherapie, Pflaster mit brennendem Chili-Extrakt und eingebautem Schmerzschrittmacher über Akupunktur und Infiltrationen bis zu Rotlicht und Essen. Ein Überblick ohne Gewähr auf Vollständigkeit, denn die würde Bücher füllen.

Medikamente

Schmerzmittel gibt es viele, zum Schlucken, zum Spritzen, als Pflaster oder Creme. Aus der Vielzahl der Möglichkeiten seien hier die nichtsteroidalen Antirheumatika vor den Vorhang geholt (NSAR, bekannte Vertreter dieser Gruppe sind etwa Ibuprofen, Voltaren, Parkemed) – weil sie hierzulande gern und sehr oft verschrieben und verwendet werden, weil sie den Schmerz sehr rasch und effektiv beseitigen und obendrein entzündungshemmend wirken, weil sie also attraktive und quasi unverzichtbare Medikamente sind und weil sie – last, but not least – auch ziemlich gefährlich sind: NSAR stehen an erster Stelle bei Spitalseinweisungen wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen. Vor allem bei längerer Einnahme verursachen NSAR Blutungen, in erster Linie im Magen-Darm-Trakt, aber auch in Gehirn und Leber. „Zusammen mit Antidepressiva der Kategorie SSRI eingenommen, können sie schnell tödlich sein“, warnte der renommierte Grazer Pharmakologe Eckhard Beubler unlängst auf einer Fortbildungsveranstaltung der österreichischen Apothekerkammer in Saalfelden.

Fisch und Topfen

Schmerzen nach einem Schnitzel, das in Sonnenblumenöl herausgebacken wurde? Oder nach einem Salat mit Kürbiskernöl? Davor braucht sich niemand wirklich zu fürchten, jedoch haben „erwähnte Öle sowie viele Fette von Landtieren viel Omega-6-Fettsäuren, und die sind potenziell entzündungsfördernd“, weiß Harald Stossier, ärztlicher Leiter von Viva, einem Kärntner Zentrum für Moderne Mayr Medizin. Entzündungshemmend sind hingegen Omega-3-Fette und damit Hering, Makrele, Thunfisch, Lachs und andere fette Meeresfische. „Auch gutes, kalt gepresstes Leinöl leistet gute Dienste“, erwähnt Stossier und rät: „Wer an chronischer Entzündung leidet, sollte Omega-6-Fette generell reduzieren und Omega-3-Fette in seinem Speiseplan erhöhen.“ Auch Vitamin E darf und soll in hohen Dosen konsumiert werden. Besser gehen wird es einem auch mit einem Hausrezept, dem Topfenwickel. Was unsere Altvorderen aus Erfahrung wussten, hat nun auch die hehre Wissenschaft bestätigt: Bei der Herstellung von Topfen entsteht Milchsäure. Und Milchsäurebakterien sind es, die dafür sorgen, dass unsere Hautporen geöffnet werden. „Entzündungsstoffe werden dann durch die saure Substanz abgeleitet und im Topfen gespeichert“, sagt Johannes Kirchheimer, Primar der Sonderkrankenanstalt für medizinische Rehabilitation Thermenhof in Warmbad-Villach. Solchermaßen helfen kalte Topfenwickel bei akuten Entzündungen, Schwellungen, Prellungen.

(Laser-)Akupunktur

Akupunktur ist bei vielen Arten von chronischem Schmerz sehr hilfreich, manchmal reicht allein die Stechkur, häufig kann sie herkömmliche Schmerzmedikamente reduzieren. „Oft stellt sich schon nach drei, vier Behandlungen Erleichterung ein, zehn Sitzungen sollten es aber auf alle Fälle sein“, weiß Experte Alexander Meng, Neurologe, Österreicher mit chinesischen Wurzeln, TCM-Arzt und Vizepräsident der österreichischen Gesellschaft für Akupunktur. Zusätzlich könne die Nadelei Laune, Befindlichkeit und Schlafqualität bessern. Einer der Wirkmechanismen hinter dieser chinesischen Therapievariante: Sie aktiviert körpereigene Substanzen (Adenosin), die zu schmerzlindernden Veränderungen im Hirn und Rückenmark führen. Das konnten Forscher der Universität von Rochester nachweisen, womit Kritikern, die immer wieder vom Placeboeffekt sprechen, ein wenig der Wind aus den Segeln genommen wird. Zudem erhöht die Nadelung auch die Schmerzschwelle und lässt den Körper vermehrt Endorphine ausschütten – die sind nicht nur als Gute-Laune-Hormone bekannt, sondern auch wunderbare Helfer gegen den Schmerz. Tut das Stechen selbst weh? Normalerweise nicht, außer es macht jemand, der es nicht gut kann (was leider gar nicht so selten vorkommt) – dann sind auch kleinere Verletzungen möglich.

Angst vor Nadeln? Da bietet sich die stechfreie Laser-Akupunktur an. „Auch hier sind zehn Behandlungen erforderlich“, sagt Maximilian Wiesner-Zechmeister, Präsident des Europäischen Forums für Lasertherapie und fraktale Medizin und Arzt in Ried im Innkreis. Er hat beste Erfahrungen bei Migräne, Rückenschmerzen und Arthrose. „Bei Sprunggelenks- und Knie-Arthrose wirkt's sehr gut, bei der Hüfte weniger.“

Mesotherapie

Weniger tief als bei der Akupunktur werden die Nadeln bei der Mesotherapie gesetzt, einer Art Brückenschlag zwischen Schulmedizin und alternativen Heilmethoden. Menschen mit Nadelphobie seien vorweg beruhigt: „Oft fragen mich Patienten, ob ich schon angefangen habe, so wenig spürt man“, erzählt Sabine Wied-Baumgartner, Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Mesotherapie. Mit Mininadeln von vier bis zwölf Millimetern Länge werden Schmerzmittel in Minidosen – Medikamente, Pflanzenpräparate oder Vitamine – nach einem bestimmten Stichmuster genau dorthin gespritzt, wo es weh tut, bei einer Knie-Arthrose also ins Knie, bei verspanntem Nacken ebendort. „Mesotherapie nimmt nicht nur den Schmerz, sie regeneriert auch“, betont die Ärztin. Der Vorteil: Leber und Niere werden nicht belastet, auch bei langjährigen chronischen Schmerzen werden häufig Erfolge erzielt. Eventueller Nachteil: Die Behandlung – sie kostet zwischen 40 und 50 Euro pro Sitzung – muss in schweren Fällen regelmäßig wiederholt werden. „Achillessehnenerkrankungen hingegen können wir in drei bis vier Wochen heilen.“

Traditionell europäische Medizin

Wie die Schulmedizin arbeitet auch die traditionell europäische Medizin(TEM) mitphysikalischen Anwendungen, allerdings ohne Geräte, ohne Strom – etwa eher mit Wasseranwendungen oder Wickeltechniken. „Ansonsten besteht aber ein gewaltiger Unterschied zur Schulmedizin“, erläutert Martin Spinka, Sportarzt und kurärztlicher Leiter im weltweit ersten TEM-Zentrum in Bad Kreuzen. „Wir verteilen nicht einfach Tabletten, wir wollen herausfinden, warum dieser oder jener Patient Schmerzen hat, es gibt nicht ein Kraut für alle.“ Fast für alle passe hingegen sanfte Ausdauerbewegung, – „sie verbessert Stoffwechsel und Immunsystem und fördert so die innere Schmerzbekämpfung“ – sowie Schonkost – „die ist bei jeder Art von Schmerz angebracht, wenig bis kein Fleisch und möglichst keine Rohkost“. Darüber hinaus aber kennt diese traditionelle Medizin im Prinzip keine starren Therapien, sondern richtet sich bei der Behandlung auch nach der körperlichen Konstitution und Situation des Einzelnen. „Da gibt es dann typgerechte Kräuter gegen Schmerzen, typgerechte Massagen oder Güsse“, vermerkt Spinka.

Hypnose und Eis

In Trance versetzt und der Schmerz ist weg? Wer das verspricht, ist ein Scharlatan, dem sollte man ehestmöglich aus dem Weg gehen. Medizinische Hypnose, kein Hokuspokus übrigens, sondern eine wissenschaftlich anerkannte Methode, kann jedoch viel erreichen. Allerdings muss der Patient aktiv mitarbeiten, „denn er ist in diesem Fall genauso wichtig wie der Therapeut“, sagt Henriette Walter, Professorin am AKH Wien und eine der profiliertesten Hypnose-Wissenschaftlerinnen Österreichs. Hypnose kann erreichen, dass man den Schmerz anders wahrnimmt, anders damit umgeht und es auf diese Weise zu einer Schmerzlinderung kommt. „Völlige Schmerzfreiheit erzielt man bei jahrelangen starken Schmerzen selten, Schmerzreduktion sehr, sehr oft“, weiß Walter aus langjähriger Erfahrung. Nur etwa fünf Prozent der Menschen seien gar nicht hypnotisierbar, maximal 20 Prozent etwas weniger gut, „die sind zu stark kognitiv orientiert, die sogenannten Kopfmenschen“.

Stichwort Kopf: Eis gegen Kopfweh? Das haben sicher schon viele versucht, Kopfweh, verstauchten Knöchel, schmerzenden Bienenstich mit Eiswürfel oder Kältepackung zu lindern. Gelingt auch gut, denn Kälte nimmt dem Schmerz die Spitze. Was für viele vielleicht weniger gut vorstellbar ist: für Minuten in die Kältekammer, bei bis zu minus 110 Grad, halb nackt, nur Füße, Hände und Kopf sind geschützt. Diese Eiseskälte, im Medizinerjargon Kryotherapie genannt, hat schon vielen chronischen Schmerzpatienten große Erleichterung gebracht – vor allem bei entzündlichen Wirbelsäulen- und rheumatischen Erkrankungen. Die Therapie mit „Arktis-Feeling“ blockiert Schmerzrezeptoren und entlockt dem Körper Glückshormone. Und entzündungshemmend ist sie obendrein.

Licht: Kaltes Rot, warmes Blau

Infrarotlicht wird schon seit Langem gegen Entzündungen und Schmerzen eingesetzt. Seit wenigen Jahren kommt auch kalt pulsierendes Rotlicht zum schmerzlindernden Einsatz. Das Licht mit einer Wellenlänge von 632 Nanometern, abgegeben über den medizinischen Tiefenstrahler Repuls, spaltet Entzündungsmediatoren, die Spaltprodukte werden über den Blutkreislauf abtransportiert, die Entzündung klingt ab, Schmerzen werden gelindert oder verschwinden ganz. Reinhard Weinstabl, Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie in Wien: „Eigentlich ist es ja mein Job zu operieren, aber mit Repuls habe ich schon etlichen Patienten eine Operation erspart, zum Beispiel beim chronischen Tennisarm.“ Christian Gäbler, Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie in Wien hat mit dem Gerät bei akuten Entzündungen eine Erfolgsrate von 80 bis 90 Prozent und bei chronischen um die 50 Prozent. Nebenwirkungen konnten bislang keine beobachtet werden. Mit Repuls kann man sich entweder beim Arzt behandeln lassen, das Gerät mieten oder um 3490 Euro kaufen.

Auf blaues LED-Licht mit einer Wellenlänge von 453 Nanometern setzt hingegen BlueTouch, ein neues Medizingerät von Philips, das vor allem für milde bis moderate chronische Rückenschmerzen konzipiert wurde. Das blaue Licht setzt nicht nur Wärme frei, sondern auch körpereigenes Stickstoffmonoxid – und das bewirkt einiges: Das betroffene Areal wird besser durchblutet, der schmerzende Muskel wieder besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt, schmerzauslösende Substanzen werden besser abtransportiert und Entzündungen gelindert. BlueTouch ist in Apotheken um rund 250 Euro erhältlich.

Ultraschall

Auch Ultraschall, in der Physiotherapie schon länger angewandt, erweist sich als potenter Schmerzbekämpfer. „Er verbessert die Durchblutung, wirkt positiv auf Schmerzrezeptoren und hat auch guten Einfluss auf Muskeln“, erklärt der deutsche Internist Helmut Christ. Ein Tüpfelchen auf dem i sei es, wenn man zum Ultraschall noch verschiedene biologische Gels einbringen kann. „Das passiert beispielsweise bei der neuen Sqoom-Methode. Mit einem speziellen Gerät wird ein Schmerzgel mit Weihrauch, das bekanntlich entzündungshemmend und stark schmerzlindernd ist, viel tiefer in das Gewebe eingebracht als es reines Schmieren jemals kann.“ 800.000 bis 2,5 Millionen Schwingungen pro Sekunde helfen dabei. Hilfreich, so Christ, sei Sqoom etwa bei Tennisellbogen, Sehnenscheidenentzündung oder leichten Arthrosen. Auch dieses Gerät kann man für den Hausgebrauch kaufen, und zwar ausschließlich in Apotheken. Der Preis: 411 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.03.2013)

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