Nicht Schlafmütze, sondern krank

Das Chamäleonhafte an dem Leiden erschwert die Diagnose von Narkolepsie, einer Krankheit mit »Schlummersucht«.

Und plötzlich sackt er in sich zusammen, fällt um, aus heiterem Himmel. Wenige Sekunden später ist wieder alles in bester Ordnung. „Die sogenannte Kataplexie, also der plötzliche Verlust der Muskelspannung, ist eines der vier Kardinalsymptome der Narkolepsie, im Volksmund auch Schlafkrankheit genannt“, erklärt Bruno Pramsohler, Vorstand der Neurologie der Privatklinik Villach. 90 Prozent der Betroffenen weisen diese Kataplexie auf, die meist durch emotionalen Stress ausgelöst wird und bei der die Muskeln plötzlich komplett erschlaffen. Es kann sein, dass das nur im Gesicht passiert und der Unterkiefer abnormal nach unten klappt. Sind aber die Beinmuskeln betroffen, kippt der Patient um.

Extrem beängstigend. Die Kataplexie sowie die im oberen Artikel geschilderten Schlafattacken und die Halluzinationen sind drei Leitsymptome der Narkolepsie. Ein viertes ist die Schlaflähmung, die etwa 40 Prozent der Patienten aufweisen. Vor allem, wenn es das erste oder zweite Mal passiert, ist die Schlaflähmung extrem beängstigend: Betroffene liegen schon wach im Bett, können sich plötzlich nicht mehr rühren, nur noch die Augen bewegen und über das Zwerchfell atmen. Diese Schlafparalyse hält normalerweise wenige Minuten an, kann aber auch länger dauern.

„Kaum ein Narkoleptiker leidet an allen vier Hauptsymptomen gleich stark. Manchmal ist das eine mehr ausgeprägt, beim nächsten Patienten das andere, andere wiederum weisen überhaupt nur zwei Kardinalsymptome auf. Dazu kommt noch, dass die einzelnen Symptome beim einzelnen Patienten in variabler Intensität auftreten können“, weiß Pramsohler. Dieses Chamäleonhafte an der Narkolepsie erschwert eine Diagnose, Ärzte stecken Patienten oft ins psychiatrische Eck, Freunde stempeln Betroffene als Schlafmützen ab, die Krankheit bleibt in den meisten Fällen unerkannt.

Schätzungsweise dürften in Österreich 4000 bis 5000 Menschen betroffen sein, diagnostiziert sind allenfalls 400. Und auch die haben allesamt eine lange Arztodyssee hinter sich. „Es ist noch kein einziger Patient zu uns gekommen, der nicht schon mindestens fünf bis acht Jahre an der Erkrankung gelitten hatte.“ Die Erkrankung aus der Gruppe der Schlafsüchte (Hypersomnie) beginnt meist zwischen dem 15. und 25. Lebensjahr, manifestiert sich dann und geht nicht mehr weg, ist unheilbar. Mit Medikamenten allerdings lässt sich die „Schlafkrankheit“ gut in den Griff kriegen.

Das Leid ist groß. Die Ursache der Narkolepsie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit ein genetischer Defekt, aber es könnte auch eine autoimmunologische Komponente geben. In jedem Fall wird im Hypothalamus kein oder zu wenig Orexin gebildet (Überträgersubstanz, die den Wach- und Schlafrhythmus kontrolliert). „Wenn einer der Elternteile erkrankt ist, erkranken auch dessen Kinder in 20 bis 40 Prozent der Fälle“, sagt Pramsohler und hofft, dass Narkolepsie endlich ihr medizinisches Stiefmütterchen-Dasein ablegen kann. „Damit Betroffene nicht mehr jahrelang leiden müssen, bis ihnen endlich geholfen wird.“ Und das Leid ist groß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2013)

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