Gesunde Töne: Herz-Verjüngung mit dem „Medikament“ Musik

(c) EPA (Olaf Kraak)
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Musik beeinflusst einen wichtigen Parameter für unsere Gesundheit positiv: Die Herzfrequenz-Variabilität erhöht sich binnen vier Wochen, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Musik wirkt sich auch positiv auf den Herzschlag und unsere Fähigkeit zur Selbstregulation aus. „Das haben wir nun in einer Evidenz-basierten Studie herausgefunden“, freut sich Vera Brandes, Leiterin des musikmedizinischen Forschungsprogramms der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg. Wahrscheinlich ist geeignete Musik auch in der Lage, den Blutdruck signifikant und nachhaltig zu senken.

Erwiesen ist bereits: Die in der Studie eingesetzte Musik erhöht bereits innerhalb von vier Wochen die Herzfrequenz-Variabilität (Herzraten-Variabilität = HRV). Dazu kurz eine Anmerkung: Unser Herz ändert sein Tempo fast mit jedem Schlag, der Abstand zwischen den Schlägen ist niemals völlig gleich und wird als Herzfrequenz-Variabilität bezeichnet.

Indikator für Depression

Vor knapp 50 Jahren hat man erkannt: Eine variable Herzfrequenz deutet auf einen positiven Gesundheitszustand, je höher die Variabilität desto größer ist die Fähigkeit des Organismus, sich selbst zu regulieren. Ein zu gleichmäßiger Herzschlag aber stellt einen Risikofaktor dar, eine verringerte HRV ist unter anderem ein Indikator für Bluthochdruck und Depression.

Das Design erwähnter Studie, die von der österreichischen Nationalbank gefördert wurde und an der neben Vera Brandes auch Julian Thayer, Professor für Gesundheitspsychologie an der Ohio State University und einer der Pioniere der wissenschaftsbasierten Musikwirkungsforschung sowie Univ.-Prof. Dr. Joachim Fischer, Direktor des Mannheimer Instituts für Public Health und Inhaber des Lehrstuhls für Vorsorgemedizin an der Universität Heidelberg, beteiligt waren: 32 Patienten mit Bluthochdruck zwischen 30 und 78 Jahren und eine Kontrollgruppe von 29 Patienten, die an Schlaflosigkeit litten, hörten durch vier Wochen hindurch an fünf Werktagen täglich zu einer bestimmten Zeit Musik über einen Kopfhörer.



„Musik wirkt sich positiv auf den Herzschlag und die Fähigkeit zur Selbstregulation aus.“

Musikwirkungs-Forscherin Vera Brandes

Brandes: „Die Hochdruck-Patienten erhielten eine spezielle Hochdruck-Musik, die Schlaflosen eine andere, auf ihr Problem abgestimmte Melodie.“ Ergebnis nach vier Wochen: Bei den Probanden mit Bluthochdruck verbesserte, also erhöhte sich die Herzfrequenz-Variabilität und somit die körperliche Regulationsfähigkeit.

Bei einer weiteren Untersuchung, vier Wochen nach Studienende, zeigte sich, dass sich der positive Trend weiterhin fortgesetzt hatte. „Die Herzfrequenz-Variabilität hatte sich verdoppelt“, so Brandes, „das bedeutet, dass der Körper den Impuls der Musik aufgenommen und selbstständig weitergeführt hat.“ So wie es bei einer effektiven Regulationstherapie sein soll, hat in diesem Fall das „Medikament“ Musik dem Organismus Hilfe zur Selbsthilfe bereitgestellt.

Herz um zehn Jahre jünger

Julian Thayer vergleicht die Daten mit den Ergebnissen seiner Forschungen am amerikanischen nationalen Institut für Altersforschung: „Die Steigerung der Herzfrequenz-Variabilität durch Musiktherapie entspricht dem Wert, den ein gesunder Mensch in einem Lebensjahrzehnt verliert. Man könnte also sagen, durch diese Musik wird das Herz zehn Jahre jünger.“

Zur Verdoppelung der HRV meint der Präventivmediziner Fischer: „Damit ist der Effekt der Musiktherapie nur etwas geringer als jener, der nach einer gewissen Zeit regelmäßiger sportlicher Betätigung eintritt, also ein ganz ordentlicher.“

Melodisch gegen Bluthochdruck

Fest steht: Je höher die Herzfrequenz-Variabilität, desto besser ist der Körper selbst in der Lage, den Blutdruck in Schach und in gesundem Rahmen zu halten. Dennoch war die Datenlage hinsichtlich Blutdruck-Senkung bei der österreichischen Studie nicht so eindeutig – dafür war die Studie zu kurz.Brandes: „Wie viele Wochen ein Hypertoniker Musik hören muss, bis sich die Therapie auf den Blutdruck auswirkt, hängt sicher auch davon ab, wie lange der Hochdruck bereits besteht.“ Um das statistisch nachzuweisen, will ihr Team eine länger dauernde Studie in Angriff nehmen. „Im Prinzip könnten wir sofort mit einer Folgestudie beginnen.“ Vorerst müssen jedoch noch die nötigen Mittel dafür aufgebracht werden.

Sehr viel Grundlagenforschung

Und wie erging es der „schlaflosen“ Kontrollgruppe in der Studie? Die Schlafqualität verbesserte sich, hinsichtlich Herzfrequenz-Variabilität zeigten sich jedoch keinerlei Verbesserungen. Prof. Fischer: „Das bedeutet, dass die Steigerung der HRV in den Blutdruck-Gruppen tatsächlich auf das konkrete Musikstück zurückzuführen ist.“ Durch die Wahl bestimmter musikalischer Strukturen könnten physiologische Parameter also offensichtlich ganz gezielt angesteuert werden.

„Wir arbeiten grundsätzlich nur mit Musikstücken, die wir selbst komponieren und produzieren“, detailliert Brandes. Einer der Gründe: Hört ein Betroffener eine ihm bekannte Melodie, reagiert er physiologisch und psychologisch völlig anders. Emotional besetzte Erinnerungen, die mit dem Musikstück verbunden sind, können eine therapeutische Wirkung aufheben.Damit sich bei der Herzfrequenz-Variabilität etwas tut, braucht man eine andere Komposition als bei Schlafstörungen. Brandes: „Wir haben sehr viel Grundlagenforschung gemacht, ehe wir wussten, wie die Wirkebene der Musik beschaffen sein muss, damit sie bei diesem oder jenem Leiden effizient ist.“

Ein Lohn dafür: Auf dem Kongress der renommierten American Psychosomatic Society wurde die neue HRV-Studie prämiert und in der Fachzeitschrift „Psychosomatic Medicine“ veröffentlicht. „Die Weltelite der Psychophysiologen ist da auf mich zugeströmt und wollte mehr und Näheres über unsere Studie wissen“, betont Vera Brandes nicht ohne Stolz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.06.2008)

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