Liebeskummer als Killer

Ich glaube, ich kann mich nie wieder für einen anderen Mann interessieren.“ M. ist Anfang 20. Sie hat bereits die psychologische Studentenberatung – ein kostenloses Service des Wissenschaftsministeriums – und eine Psychotherapeutin aufgesucht. M. hat krankhaften Liebeskummer, wie sie selbst sagt. „Auch unter Leuten habe ich mich immer einsam gefühlt. Ich habe oft gespürt, ich muss weg, muss allein sein, heulen – und das ein Jahr lang.“

Doch die Studentenberatung konnte ihr auch nach einem halben Jahr wöchentlicher Sitzungen nicht wirklich entscheidend helfen. Und auch wenn ihre Eltern die darauffolgende Psychotherapie mitfinanzierten: Die 60 Euro (statt 80), die sie trotz des Krankenkassenzuschusses pro Sitzung zahlte, wurden ihr allmählich zu teuer. Nach 18 Sitzungen war auch damit Schluss.

Seitdem ist sie allein mit ihrem Problem: Sie ist unglücklich in einen Mann verliebt, den sie im Internet kennengelernt und nur dreimal in ihrem Leben gesehen hat. Den sie aber als ihren „Seelenverwandten“ sieht. „Ich weiß, es klingt völlig verrückt, und es ist für andere nicht nachvollziehbar.“

Fetisch, heulen – alles erlaubt. „Wir sind nicht da, um zu bewerten. Hier dürfen Fetisch, Fantasien, aber auch Weinen, Schreien und Schweigen sein.“ Die Psychologin Birgit Maurer betreibt seit einem Jahr mit der Lebens- und Sozialberaterin Auguste Storkan zwei Liebeskummerpraxen in Wien sowie eine in Graz.

Schätzungsweise 100 Klienten aus allen Altersgruppen, vom Arbeiter bis zur Managerin, haben sich seitdem hier ausgesprochen. Der Patient wird in dem Stadium abgeholt, in dem er sich gerade befindet. „Wir geben Perspektiven, stabilisieren. Wir wenden etwa Autogenes Training, Familienaufstellung oder auch Muskelentspannung an.“

Manche Liebespatienten kommen nur einmal, andere sind schon ein halbes Jahr dabei. Und das bei einem Preis von 70 Euro für 50 Minuten. „Es gibt so viele Menschen, die 100 Euro für das Fitnesscenter hinblättern, aber nie hingehen. Und viele, die rauchen. Aber hier tue ich wirklich etwas für mich“, so Maurer.

Herzeleid ist nicht salonfähig. Weshalb die beiden Frauen nie Zweifel hatten, ob sie mit dem Herzschmerz anderer ihr Geld verdienen sollten. Außerdem: „Liebeskummer kann ernste Krankheitsbilder mit sich bringen“, sagt Storkan. Migräne, Essstörungen, Atembeschwerden, Nackenschmerzen, Schwindel, extreme Erschöpfung. Das wiederum könne Probleme am Arbeitsplatz schaffen.

„Liebeskummer kann bis zur Obdachlosigkeit führen“, so Maurer. „Und bis zum Suizid“, ergänzt Storkan. „Burn-out und vielleicht auch Depressionen werden heute akzeptiert. Aber wie ernst wird ein Chef genommen, der vor lauter Liebeskummer nicht arbeiten kann? Das ist einfach nicht salonfähig“, sagt Maurer.

Die Kosten der Liebeskummertherapie durch die Krankenkassen zumindest teilweise zu ersetzen, ist natürlich ein großes Thema, sagt Maurer. „Aber es ist eine andere Motivation, wenn ich 70 Euro zahle und nicht einfach einen Schein hinlege.“ Besser akzeptiert würde die Behandlung deshalb auch nicht.

Für die, die sich das nicht leisten können, gibt es auch kostenlose – oder zumindest kostengünstige – Beratung etwa seitens der Caritas, der Frauen- und Männergesundheitszentren diverser Krankenhäuser oder gleich Psychotherapie auf Krankenschein.

Der Marktwert der Liebe. „Die Liebe findet eben auf einem Markt statt. Wie beim Aktienkauf können meine Wertpapiere, also mein Erfolg beim Partner, steigen oder fallen. Und ich kann mich betrogen fühlen. Die Verbindung zum Leistungsdruck wird damit offensichtlich“, meint die Kultursoziologin Brigitte Brandstötter.

Sie befasst sich schon lange mit dem Thema Liebeskummer. Und veranstaltet seit sechs Jahren gemeinsam mit der Psychotherapeutin Lilli Holzschuh Segelkurse für Liebeskranke – mit fast ausschließlich weiblichen Teilnehmern.

Für 995 Euro geht es für sechs Nächte in ein Viersternehotel am Mondsee. Vormittags findet der Segelkurs statt, denn „Segeln ist wohltuend für die Seele“. Ab 19 Uhr gibt es dann zwei Stunden lang Therapiegespräche mit Holzschuh. „Am Ende der Woche sind die Frauen ganz entspannt“, sagt Brandstötter. Auf ihre Heilungsbilanz ist sie sehr stolz – bisher musste niemand ein zweites Mal kommen.

Kann man Liebeskummer also einfach „wegtherapieren“? „Nein, wir können diese Menschen nicht heilen – wer das behauptet, ist mit Vorsicht zu genießen“, sagt Brandstötter. „Es gibt mehrere Phasen des Liebeskummers, die man einfach durchlaufen muss.“

Soziologische Studien und Erfahrungswerte sagen sogar voraus, wie lange der gesamte Trauerprozess speziell nach einer Trennung wahrscheinlich dauern wird: nämlich 15 Prozent der Beziehungsdauer. Brandstötters Aufgabe beschränkt sich auf die Unterstützung in dieser Phase: „Wir können immerhin die Selbstheilungskräfte verstärken.“

Aber auch die Liebeskummerpraxis verschweigt nicht, wann sie an ihre Grenzen stößt: „Wenn der Fall zu heftig wird, gebe ich ihn an die Ärzte ab. Ich hatte etwa eine suizidgefährdete Patientin, die stationär aufgenommen werden musste.“

Der bohrende, ja teils vernichtende Herzschmerz kann also theoretisch zumindest vermindert werden. Warum aber geht es M. dann noch immer so schlecht wie vor eineinhalb Jahren? „Die Psychotherapie hilft einem vielleicht klarzumachen, was man ändern sollte, und herauszufinden, was man will. Im Endeffekt liegt aber alles bei dem betroffenen Menschen: Kann er sich verändern? Und vor allem: Will er das überhaupt?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2009)

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