Homöopathie - der sinnlose Glaubenskrieg

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Bessere Medizin oder Scharlatanerie? Die Homöopathie wird mit Vorliebe von konventionellen Medizinern vorgeführt. Die Einzigen, die diese Kritik seit Jahren völlig kalt lässt, sind die Patienten.

Die Geschichte von Beatrice ist eine jener Art, wie sie Homöopathen am liebsten erzählen. Beatrice fing sich vor sechs Jahren im Sommer eine Blasenentzündung ein, ging irgendwann – zugegebenermaßen etwas spät – zur Hausärztin, schluckte die ersten Antibiotika. Alles war gut, doch nach kurzer Zeit kamen die Beschwerden wieder. Und wieder. Und wieder. Acht Monate lang pendelte Beatrice zwischen Ärzten und der Toilette, zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Bis eine Freundin ihr eine Homöopathin empfahl. Das Ergebnis nach der ersten Behandlung war gleich null. Nach der zweiten gab es eine leichte Besserung. Und nach der dritten war Beatrices chronische Blasenentzündung Geschichte.

Eine von denen, wie sie Homöopathen wirklich gern erzählen. Und genau so eine, wie sie die Gegner der Homöopathie zur Weißglut bringt. Diese stehen auf dem Standpunkt, dass homöopathische Globuli nichts anderes seien als gepresstes Zuckerwasser und ihre Wirkung auf einer Mischung aus Placeboeffekt, Autosuggestion der Patienten und Selbstheilungskräften des Körpers beruht. Im besten Fall harmlos, im schlimmsten Fall lebensgefährlich: dann nämlich, wenn bei ernsten Krankheiten konventionelle Heilmethoden ignoriert werden – und wertvolle Zeit verrinnt.

Die Einzigen, die diese Kritik an der Homöopathie völlig kalt lässt, sind die, die es am meisten betrifft: die Patienten. Noch nie war die Zahl der Leute höher, die bei komplementärmedizinischen Behandlungsmethoden Zuflucht suchen – und irgendwann auch bei der Homöopathie landen. 2008 etwa griff fast die Hälfte aller Österreicher (48 Prozent) auch zu homöopathischen Mitteln – vor allem im Zusammenhang mit harmloseren Leiden wie grippalen Infekten, Schnupfen, Husten, Schmerzen und zur Stärkung der Abwehrkräfte. Das ergab die jüngste jener Studien, die Österreichs Marktführer in Sachen Homöopathie, die Dr. Peithner KG, alle fünf Jahre in Auftrag gibt.

Dass die Warnungen der Wissenschaft seit Jahren hartnäckig ungehört verhallen, legt den Schluss nahe, dass der Glaubensstreit rund um die Homöopathie möglicherweise ein völlig sinnloser ist. Dass man die Patienten, die offenbar nicht von diesem Heilsweg abzubringen sind, besser schützen könnte, indem man klare Richtlinien aufstellt, was die Homöopathie darf und was nicht. Denn chronische Blasenentzündungen sind eine Sache, Krebs etwa ist eine völlig andere.

Die naturwissenschaftliche Nachweisbarkeit der homöopathischen Wirksamkeit ist einer der Streitpunkte, in die sich Feinde und Freunde verbissen haben. Die Argumente beider Seiten sind seit Jahren dieselben (derzeit wieder einmal nachzulesen in dem deutschen Magazin „Der Spiegel“): Die Kritiker der Homöopathie fordern den naturwissenschaftlichen Beweis der Wirksamkeit in Form von placebokontrollierten Doppelblind- oder evidenzbasierten Studien. Die Gegenseite beschwert sich, dass das unmöglich sei, da die Homöopathie eine Wissenschaft „sui generis“ sei, die sich der naturwissenschaftlichen Bewertung entziehe. Jeder Mensch werde für sich betrachtet und reagiere anders auf die Behandlung, daher seien einzelne Fälle nicht miteinander vergleichbar.


Es geht ums Geld. Der einzige neue Aspekt, der sich eingeschlichen hat, ist der finanzielle. Das gilt gerade für Staaten wie Großbritannien oder Deutschland. Dort übernehmen Krankenkassen einerseits die Kosten für homöopathische Behandlungen, andererseits wird in den Gesundheitssystemen das Geld immer knapper. In mageren Zeiten wie diesen, in denen Patienten monatelang auf Operationen warten müssen, sollte es Geld nur für Heilmethoden geben, deren Wirksamkeit wissenschaftlich bewiesen ist, lautet das Argument der konventionellen Medizin.

Das inspiriert auch zum einen oder anderen Stunt – wie zuletzt jenem der Skeptikergruppe 1023, deren Mitglieder sich im Rahmen der „Aktion Überdosis“ je ein Fläschchen Arsenicum album in den Mund leerten, um zu zeigen, was passieren würde. Der Effekt war null. Dieser Feldversuch habe aber auch gezeigt, ätzten Homöopathen, dass die Homöopathie keine schwerwiegenden Nebenwirkungen habe. Österreich bleibt von dieser Auseinandersetzung verschont – hier zahlen die Krankenkassen keine komplementärmedizinischen Behandlungen (mit Ausnahmen wie einer geringfügigen Rückerstattung für Akupunktur gegen Kreuzschmerzen). Geld kann man sich nur von privaten Gesundheitsversicherungen zurückholen, die auch die Komplementärmedizin abdecken – allerdings zu saftigen Tarifen.

In einem sind sich Freunde und Feinde der Homöopathie allerdings ausnahmsweise einig: in der Frage ämlich, warum die Sehnsucht nach alternativen Behandlungsmethoden offenbar so groß ist, dass Logik und Rationalität beim Ansturm in die Praxen der Alternativmediziner ignoriert werden. Schuld sei das Versagen der konventionellen Medizin, die vor allem Kassenpatienten sehr oft wie am Fließband abfertige und den menschlichen Faktor dabei völlig vergesse.

„Die Zuwendung und die Zeit, die der Arzt dem Patienten widmet, sind der Grund für die Beliebtheit der Homöopathie“, sagt etwa Edzard Ernst, Inhaber des ersten Lehrstuhls für Komplementärmedizin an der britischen Universität Exeter. Ernst ist ein erklärter Gegner der Homöopathie, die er für wirkungslose Scharlatanerie hält (siehe Interview), und unter Homöopathen entsprechend umstritten und unbeliebt. „Wir nehmen die Patienten eben ernst“, sagt auch Gloria Kozel, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin. „Zwei- bis dreimal die Woche höre ich von Patienten: ,Schon das Gespräch mit Ihnen hat mir geholfen.‘“


Krötengift und flüssiges Pech.
Kozels Patienten stört dabei nicht, dass homöopathische Mittel aus wissenschaftlicher Sicht kaum Wirkstoffe enthalten können. Die besonders beliebten Globuli gibt es in verschiedenen Potenzen, wobei die höchste Potenz (bis zu 1000) die stärkste Wirkung haben soll, bizarrerweise aber gleichzeitig auch die am stärksten verdünnte ist. Patienten stören auch die Inhaltsstoffe nicht, die in homöopathischen Mitteln verwendet werden. Das „Handbuch der homöopathischen Materia medica“ von William Boericke listet als Arzneimittel zum Beispiel flüssiges Pech, Krötengift oder den Speichel tollwütiger Hunde auf. Da ist es wohl ganz gut, dass von den Ingredienzien nicht viel übrig bleibt – außer der Schwingungsenergie, die Gloria Kozel für den Heilungserfolg homöopathischer Mittel verantwortlich macht.

Kozel gehört einer wachsenden Gruppe von Ärzten an, die sich nach der schulmedizinischen Ausbildung der Homöopathie verschrieben haben. Die Allgemeinmedizinerin behandelt chronische Krankheiten wie Neurodermitis oder Asthma, unterstützt aber auch Patienten mit Multipler Sklerose, Epilepsie oder Krebs, während diese federführend von Schulmedizinern betreut werden.

Mit diesem Ansatz liegt Kozel im Trend. Denn die dramatisch inszenierten Schlagabtäusche zwischen Gegnern und Anhängern der Homöopathie täuschen darüber hinweg, dass es in den letzten zehn Jahren eine Annäherung zwischen den beiden Lagern gegeben hat. Vor allem praktische oder Kinderärzte, die noch vor einer Dekade Globuli ins Klo geschüttet hätten, verschreiben heute durchaus homöopathische Medikamente – allerdings vor allem in leichteren Fällen, wo nichts auf dem Spiel steht, wo es um Vorbeugung oder Nachbehandlung geht, nicht aber um Leib und Leben des Patienten.

Michael Frass, Leiter der Spezialambulanz „Homöopathie bei malignen Erkrankungen“ im AKH Wien, glaubt, dass die heftigen Auseinandersetzungen um die Homöopathie oft „aus sportlichen Gründen“ geführt werden. Auch er vertritt die Position, dass eine Annäherung von konventioneller und homöopathischer Medizin Vorteile bringen kann: „Keine Seite kann den Anspruch auf Alleinseligmachung stellen.“

Wirkmechanismus ungeklärt. Frass ist Österreichs homöopathisches Aushängeschild. Hochrangiger Mediziner, Internist – und jemand, der freimütig zugibt: „Der Mechanismus der Wirkung der Homöopathie ist bis dato ungeklärt.“ Als klassischer Homöopath schneidert Frass seine Behandlung auf den Einzelnen zu. Deshalb sei es so schwierig, den wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit der Homöopathie in evidenzbasierten Studien zu erbringen: „Bei der Homöopathie darf man nicht glauben, sondern muss beobachten, ob sie funktioniert. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine große Zahl wissenschaftlicher Studien zu dem Thema. Zudem haben Meta-analysen (zusammenfassende Auswertung mehrerer Studien,Anm.) die Wirksamkeit der Homöopathie bestätigt. Gerade die oft zitierte Lancet–Studie 2005 hat bei wissenschaftlich exakter Auslegung den Nachweis der Wirksamkeit der Homöopathie erbracht.“

„Wir müssen reden“, fordert Frass daher. Zwar könnten Kritiker eine Annäherung zwischen der konventionellen Medizin und der Homöopathie als Zugeständnis an die normative Kraft des Faktischen verstehen (und ablehnen); das bedeutet aber nicht, dass so ein Schritt nicht auch sein Gutes hätte. Denn wenn schon kaum ein Weg an der Homöopathie vorbeiführt, sollte er wenigstens gut ausgeleuchtet sein.

Die Homöopathie, erfunden vom deutschen Arzt Samuel Hahnemann, sagt, dass „Ähnliches mit Ähnlichem“ geheilt werden könne. Krankheiten sollen somit durch die Gabe von entsprechend verdünnten Stoffen bekämpft werden, die im Körper des Patienten ebendiese Krankheitssymptome hervorrufen würden. Es gibt Globuli, Tropfen oder Salben. Die Homöopathie sieht sich entweder als Alternative zur Schulmedizin oder dazu komplementär.

Die klassische Homöopathie geht von der Unvergleichlichkeit des Einzelnen aus und stimmt ihre Medikamente nach ausführlichen Gesprächen auf den jeweiligen Patienten ab.Immer beliebter werden aber auch Komplexmittel, etwa gegen Husten, die mandirekt in der Apotheke erhält.

Die Konflikte ranken sich um die Wirkungsweise der Homöopathie und um deren Nachweisbarkeit. Schulmediziner glauben, dass diese vor allem auf Placeboeffekt und Autosuggestion der Patienten zurückgehe und nicht auf die Inhaltsstoffe, die chemisch kaum feststellbar sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2010)

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