Krebsforschung: Gib der Abwehr Zucker

(c) Michaela Bruckberger
  • Drucken

Tumorzellen sind höchst raffiniert. Die Wissenschaft versucht, sie mit immer ausgeklügelteren Medikamenten zu ködern. "Krebs ist komplizierter, als wir gedacht haben“, sagt Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant.

Die Zeiten der chemischen Keulen im Kampf gegen den Krebs sind endgültig vorbei– jene Zeiten, in denen der Krankheit nur mit unspezifisch wirkenden Mitteln zu Leibe gerückt werden konnte, die alle schnell wachsenden Zellen vernichteten, mit unerwünschten Nebeneffekten wie starker Übelkeit und Haarausfall. Heute lautet das Zauberwort: molekulare Onkologie. Das war eines der zentralen Ergebnisse des größten und wichtigsten Krebskongresses der Welt, dem ASCO der American Society of Clinical Oncology bei dem sich 30.000Krebsexperten in Chicago trafen.

Neu entwickelte Wirkstoffe erkennen die für die Krebszellen typischen Veränderungen und greifen sie gezielt an. Sie blockieren Proteine, die Wachstumssignale an die Tumorzellen aussenden, oder sie verhindern die Bildung neuer Blutgefäße und hungern den Krebs so aus.

„Krebs ist komplizierter, als wir gedacht haben“, sagt Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, Chirurg an der Medizinischen Universität Wien und Präsident der Österreichischen Brust- und Darmkrebs-Studiengruppe ABCSG. „Krebszellen haben einen evolutionsbiologischen Vorteil. Sie sind programmiert, alles zu überleben. Wir entdecken einen Wachstumsfaktor, schalten ihn aus, doch die Zelle lacht uns nur aus und schaltet fünf weitere Wachstumsfaktoren ein.“

Therapien nach Maß

Diagnostische Tests und Biomarker sollen in Zukunft maßgeschneiderte Therapien ermöglichen und so verhindern, dass teure Medikamente nach dem Gießkannenprinzip verordnet werden. Ein Beispiel: Für das Brustkrebsmedikament Herceptin gibt es einen Test, der schon vor Behandlungsbeginn zeigt, bei welchen Patientinnen es wirkt. Die neueste Generation von Medikamenten setzt auf immer raffiniertere Mechanismen. So wird der Antikörper Herceptin jetzt mit einer zellgiftigen Substanz „aufgerüstet“, die im Tumor freigesetzt wird und ihn von innen zerstören soll.

Eine andere Strategie ist, Antikörper mit Zuckerstoffen zu umhüllen und so Abwehrzellen zur Tumorzelle zu locken, die sie gezielt zerstören. Allein der Schweizer Pharmakonzern Roche, der weltweit größte Hersteller von Krebsmedikamenten, hat 22 neue Moleküle in der Testphase. Für fünf erwartet der Konzern bis 2013 die Zulassung.

Diskussion über Kostennutzen

Der ASCO war auch ein Kongress intensiver Diskussionen über Kosten und Nutzen der meist sehr teuren Therapien. Studien zufolge lässt manche vielversprechende Substanz die Tumoren zwar vorübergehend schrumpfen, verlängert aber im Vergleich zum Placebo die Überlebenszeit oft nur um wenige Wochen oder auch gar nicht. Immer häufiger wird Kritik laut, dass mit gigantischem finanziellen Aufwand bei unheilbar kranken Menschen der Tod nur ein paar Monate hinausgezögert wird. Doch Ärzte, die täglich kranke Menschen behandeln, widersprechen: Die Durchschnittszahlen sagen wenig aus, wie sehr der einzelne Krebspatient tatsächlich von einer Therapie profitiert.

Ein Beispiel: Vor 15 Jahren überlebten Patienten mit fortgeschrittenem Dickdarmkrebs durchschnittlich neun Monate. Heute, wenn die Chemotherapie mit einem biologischen Medikament ergänzt wird, sind es zwanzig Monate, mehr als doppelt so lang. „Für den Betroffenen ist das viel“, betont Dr. Georg Tatzreiter, Internist und Onkologe am Wiener Donauspital. Er versteht freilich die Kritik mancher an den Pharmafirmen, die Entwicklungskosten pro Medikament von 800 Millionen bis eine Milliarde Euro schnell einspielen wollen. „Doch der Betroffene klammert sich an jede Hoffnung“, sagt der Onkologe.

Tatzreiter nennt ein anderes Beispiel, das auch beim ASCO ein großes Thema war: das Glioblastom, der bösartigste Hirntumor. Früher war diese Diagnose ein fast garantiertes Todesurteil. Heute leben dank einer neuen Chemotherapie nach zwei Jahren immerhin noch zwanzig Prozent der Betroffenen. Und diese Menschen wollen, dass dieses Leben auch lebenswert ist. Dabei helfen biologische Medikamente wie Avastin, das zwar die Überlebenszeit nicht weiter verlängert, aber verhindert, dass sich die Tumore weiter ausbreiten und wichtige Gehirnfunktionen beeinträchtigen.

Pharmafirmen als Geldgeber

„Bei aller Kritik an der aggressiven Preispolitik der Pharmafirmen: Sie sind die Geldgeber für die Forschung und so die einzige Chance für Fortschritt“, betont Univ.-Prof. Dr.Hellmut Samonigg von der Medizinischen Universität Graz.

Das trifft vor allem auf Österreich zu. Hier sind fast vierzig Prozent aller Brustkrebspatientinnen in klinische Studien eingegliedert. Denn nur so kann auch ein kleines Land wie Österreich, das kein profitabler Markt für die Pharmaindustrie ist, vielversprechende neue Substanzen frühzeitig bekommen. Zudem werden Studienteilnehmer wesentlich besser kontrolliert und konsequenter nachbetreut, haben daher also eine deutlich bessere Lebensqualität und leben auch länger.

Die österreichischen Onkologen beklagen, dass sie fast völlig auf die Unterstützung der Pharmaindustrie angewiesen seien, weil es fast keine öffentliche Förderung für klinische Krebsstudien gibt. „Während in den USA mehr als fünfzig Prozent der klinischen Studien durch öffentliche Gelder finanziert werden, ist es bei uns gerade ein Prozent“, kritisiert Gnant.

„Fast jede Brustkrebspatientin will etwas zur Stärkung ihres Immunsystems machen“, berichtet der Gynäkologe Dr.Christian Marth von der Medizinischen Universität Innsbruck. Doch eine ungezielte Anregung der Abwehr kann die Krebszellen erst so richtig wild machen. Oder bringt im besten Fall gar nichts. So wurde beim ASCO eine amerikanische Studie über Selen präsentiert. Sie zeigte, dass der Versuch, Patienten, die einen Lungenkrebs überlebt haben, durch die regelmäßige Gabe von Selen vor einem Rückschlag zu schützen, gescheitert ist. Eine andere Studie mit 1500Patienten, die Selen mit frühem Lungenkrebs untersucht hatte, wurde sogar vorzeitig abgebrochen, da die Substanz eher schadet als nützt.

Übergewicht schadet

Schädlich ist auch Übergewicht, es erhöht das Brust- und Darmkrebsrisiko. Dr.Georg Pfeiler von der Klinischen Abteilung für Spezielle Gynäkologie der Medizinischen Universität Wien untersuchte den Zusammenhang zwischen Body-Mass-Index und der Wirkung einer Antihormontherapie bei Brustkrebspatientinnen: Bei übergewichtigen Frauen ist der Therapieeffekt deutlich geringer. Bei ihnen tritt der Krebs früher wieder auf, sie sterben auch früher.

TUMORTRICKS

Neue, gezielte Therapienblockieren Proteine, die Wachstumssignale an Tumorzellen aussenden, verhindern die Bildung von Blutgefäßen und hungern so den Krebs aus oder locken Abwehrzellen mit Zucker an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.07.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.