Tiere sind die besseren Therapeuten

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Kinder und Greise profitieren von der Anwesenheit von Hund und Katze. Studien belegen, dass Tiere die Lebensqualität des Menschen verbessern. Sie sind wahre Tausendsassa für körperliche und seelische Gesundheit.

Romana ist vier. Sie ist Autistin, hat größte Probleme, mit der Umwelt zu kommunizieren, redet mit niemandem. Erst Hirtenhund Becsi bricht das Eis. „Wo ist Becsi?“, fragt das Mädchen nach einem halben Jahr tiergestützter Therapie. Es ist der allererste ganze Satz, den Romana in ihrem Leben ausgesprochen hat.
Autistische Kinder profitieren enorm von Tieren. Das erlebte auch der amerikanische Kinderpsychotherapeut Boris Levinson in den 1960er-Jahren. Seit Monaten verweigerte das von ihm behandelte Kind jedweden Kontakt. Einmal kam der Bub etwas zu früh, Levinsons Hund war noch in der Praxis. Mit dem Tier trat der kleine Patient in der Sekunde in Kontakt. „Man muss damit leben, dass Hunde die besseren Therapeuten sind“, meinte der Psychotherapeut. Schon Sigmund Freud und Carl Gustav Jung hatten bei schwierigen Patienten meist ihre Hunde in der Praxis mit dabei.

„Das Ergebnis dieser Studie hat mich und andere Wissenschaftler verblüfft.“

Tierforscher Kurt Kotrschal

Erstaunliches erlebte der bekannte österreichische Tierforscher Kurt Kotrschal, Präsident von IEMT (Institut für interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung) bei einem Projekt in einer ersten Klasse an der Europa-Volksschule in Wien. „Das für mich und andere Wissenschaftler verblüffende Ergebnis der Studie: Allein die Anwesenheit von einem Hund minderte das Aggressionspotenzial der Schüler signifikant und steigerte deren Aufmerksamkeit. Zudem verbesserte sich das Klassenklima, die Kinder entwickelten mehr Fähigkeit zur Empathie.“

Weniger Beruhigungsmittel

Auch bei Pflegeheimbewohnern, die ob des Alltagstrotts in einer solchen Anstalt und der fehlenden Ansprache oft abstumpfen, erhöht die Beschäftigung mit Vierbeinern wieder die Empathiefähigkeit. „Tiergestützte Therapie ist in der Geriatrie vor allem deshalb so wichtig, weil Tiere Lebewesen sind, die den Menschen vorbehaltlos annehmen. Runzeln stören sie sich nicht, und sie spotten nicht wegen einer Behinderung. Außerdem ist erwiesen, dass Pflegeheimbewohner in Gegenwart von Tieren ruhiger werden und weniger Beruhigungsmittel brauchen“, weiß Katharina Pils, Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie und Primaria am SMZ Sophienspital in Wien, wo seit Jahren Therapie mit Tieren geboten wird.

Tiere als sozialer Katalysator

Anfang der 1960er-Jahren begann die systematische wissenschaftliche Untersuchung des Einsatzes von Tieren zu therapeutischen Zwecken. Für die gesundheitliche Wirkung von Katze und Co. spielt unter anderem die Biophilie-Hypothese (der Mensch hat ein instinktives Interesse an Tieren) eine Rolle, ebenso die Du-Evidenz (Öffnung gegenüber dem tierischen Du) oder der Anthropomorphismus (teilweise Vermenschlichung von Tieren). Mittlerweile belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien weltweit, dass Haustiere deutlich zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen beitragen.

Tierkontakt, so Pils, habe sich auch bei Schlaganfallpatienten bewährt, bei denen durch Streicheln von Samtpfote und Spaniel Sensibilität sowie Fein- und Grobmotorik gefördert werden. Gefördert werde intensiv auch die Kommunikation: „Leute, die sonst wenig bis nichts reden, sprechen plötzlich wieder miteinander.“
Das bemerkt auch Forscher Kotrschal immer wieder. „Wenn ich in Wien allein unterwegs bin, spricht mich niemand an, aber wenn ich mit meinem Hund spazieren gehe, werde ich sehr oft angeredet.“ Das bekannte Phänomen des Tieres als sozialer Katalysator, als Eisbrecher und Förderer neuer Kontakte werde nun auf internationaler Ebene durchleuchtet: „Man schaut sich wissenschaftlich an, inwieweit Tiere direkt dazu beitragen, nachbarschaftliche Beziehungen und Kommunikation zu verbessern.“

„Tiere fungieren als soziale Schmiermittel, sie fördern den Zusammenhalt unter Menschen“, weiß die klinische Psychologin Birgit Ursula Stetina, die sich an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien mit Anthrozoologie (Mensch-Tier-Beziehung) auseinandersetzt. „Die Forschung hat bewiesen, dass ein Tier im Raum das Stresslevel sinken lässt, auch die Atemfrequenz verbessert sich.“

Weitere messbare Positiva der Mensch-Tier-Beziehung sind unter anderem: Blutdrucknormalisierung, Cholesterinsenkung, Minderung von Ängsten und Depression, Schmerzlinderung. Durch Lachen und Spielen mit Tieren werden biochemische Prozesse und neuroendokrine Vorgänge ausgelöst, die zum Beispiel durch Ausschüttung von Beta-Endorphinen das Schmerzempfinden verringern.

US-Studien zufolge können Tiere bei Alzheimerpatienten die Gedächtnisleistung verbessern. „Ist die Krankheit noch nicht zu weit fortgeschritten, führt die Anwesenheit eines Tieres bei Betroffenen zu Emotionalisierung und Aktivierung, das Fortschreiten der Symptomatik wird nachweislich verzögert“, sekundiert Kotrschal. Etlichen Studien zufolge verbessert der Tierkontakt bei dementen Menschen die Orientierungsleistung und die Eigenaktivität.
Das Berühren eines Hundefells beispielsweise baut zudem bei gleichzeitiger Steigerung der Wachheit Ängste ab. Und wenn Demenzkranke eine Aufgabe bekommen, etwa das Bürsten eines Tieres, erleben sie Anerkennung, erfahren sich selbst als kompetent und integriert – Ängste und Aggressionen schwinden, ebenso das beklemmende Gefühl der Hilflosigkeit, des Abhängigseins. „Das spricht man Alzheimerkranken leider sehr oft ab, aber sie leiden sehr wohl darunter“, wissen Experten.

„Die gefährlichen Keime machen sich die Krankenhäuser schon selbst.“

Kurt Kotrschal


Experten berichteten unlängst bei einem Symposium des National Institut of Health in Washington: Kinder, die mit Hunden aufwachsen, profitieren hinsichtlich ihrer geistigen, sozialen und körperlichen Entwicklung. Eine Studie am Institut für Psychologie der Universität Wien kommt zu dem Schluss: Kinder, die mit Tieren aufwachsen, lernen Körpersprache besser zu deuten, sind bei nonverbaler Kommunikation gegenüber „tierlosen“ Altersgenossen eindeutig im Vorteil.

Freilich, so Kotrschal, seien Hunde keine Babysitter, und es gingen schon auch Gefahren für die Kleinen von den Vierbeinern aus. „Vor allem, wenn Kinder nicht auf den richtigen Umgang mit Tieren vorbereitet und wenn Hunde falsch gehalten werden.“

Falsch sei seinen Erfahrungen nach auch die Angst, dass Tiere gefährliche Keime in Spitäler einschleppen, „die machen sich die Krankenhäuser schon selbst“. Helga Widder, seit 1988 beim Verein „Tiere als Therapie“: „Ich kenne keinen einzigen Zwischenfall, den es mit Therapietieren der 250 aktiven Teams, die in österreichischen Spitälern, Behinderteneinrichtungen, Kindertagesheimen und Schulen eingesetzt sind, gegeben hat.“ Auch Eva Fuchswans, leitende Direktorin am Geriatriezentrum am Wiener Wald, wo es seit mehr als 25 Jahren derartige Therapiestunden gibt, kann von keinem negativen Zwischenfall berichten. Im Gegenteil: „Patienten, die sonst gar nicht mehr aufstehen, sich nicht mehr anziehen, tun das plötzlich wieder. Die Motivation, sich zu bewegen, ist viel größer. Daher setzen wir die Tiere auch zur Physiotherapie ein.“

Und das Leben hat wieder Sinn

In dem streng geregelten Tagesablauf einer Geriatrie erführen Patienten eher wenig psychische Zuwendung, sie verfielen oft in soziale Isolation, finden keinen Sinn mehr im Leben. „Ich habe x-mal erlebt, dass Tiere diese traurigen Menschen da herausreißen; plötzlich hat das Leben wieder Sinn.“ Tiere geben Senioren etwas, das ihnen viele Menschen versagen: das Gefühl, noch gebraucht, vorbehaltlos geliebt zu werden. Die Anwesenheit von Katz und Co. schlägt sich erwiesenermaßen auch auf den Appetit nieder, „alte Menschen essen um etwa 20 Prozent mehr, wenn ein Tier im Raum ist“.

„Es gibt auch Evidenz dafür, dass Hunde bei kardiologischen, neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen das Wohlbefinden fördern“, weiß Claudia Stöllberger, Kardiologin im Wiener Krankenhaus Rudolfstiftung. Zudem, so die Ärztin, gebe es Berichte, dass Hunde früher als Menschen Hypoglykämien erkennen können und damit als „Frühwarnsystem“ bei Diabetikern einsetzbar sind.

Die vierbeinigen Begleiter sind also wahre Tausendsassa in Sachen körperlicher und seelischer Gesundheit für uns Menschen. Man sollte es ihnen danken und nicht verantwortungslos und ohne Überlegungen zu Weihnachten ein Tier schenken. Denn wer ein Tier verschenkt, verschenkt Leben.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER
www.tierealstherapie.org
www.iemt.at

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