Autisten und Arbeit: Kein Mensch ist eine Insel

Autisten Kein Mensch eine
Autisten Kein Mensch eine(c) Www.BilderBox.com
  • Drucken

Viele Autisten tun sich im modernen Arbeitsleben schwer. Dafür arbeiten sie genauer und fehlerfreier als andere. Eine spezielle Beraterfirma vermittelt Betroffene jetzt auch in Österreich.

Manchmal merkt man es den Kindern nicht auf den ersten Blick an. Und doch sind sie anders: Sie haben ihre eigenen Rituale, ziehen sich häufig zurück, wirken überfordert oder werden verhaltensauffällig. Eine Diagnose erfolgt oft spät, etwa nach dem Eintritt in die Schule. Thorkil Sonnes Sohn war drei Jahre alt. Lars habe Autismus, sagten die Ärzte. Autisten haben Schwierigkeiten, mit der Außenwelt zu kommunizieren und sozial zu interagieren. Weil es Lars immer schwerfallen würde, sich in andere Menschen hineinzufühlen, sagten die Ärzte, würde er ein isoliertes Leben führen. Und wohl auch nie einen normalen Job finden.

Kurz, nachdem feststand, dass sein Sohn autistisch ist, beschloss Sonne, vorausschauend zu handeln. Er gründete in Dänemark die Beraterfirma Specialisterne, die Autisten mit speziellen Begabungen an Firmen vermittelt. So können ihre sogenannten „Inselbegabungen“ genutzt werden. Mittlerweile gibt es Specialisterne in vielen Ländern Europas – und seit Kurzem auch in Österreich.

Die Idee, Specialisterne nach Österreich zu holen, hatte Stephan Dorfmeister. Im Herbst 2011 beschloss der Unternehmensberater, sich sozial zu engagieren. In der dänischen NGO fand er ein passendes Konzept. „In Österreich wird mit dem Thema Autismus ganz anders umgegangen als etwa in Dänemark. Dort sind geistige Behinderungen eine anerkannte Thematik.“ Bis zur Pflichtschule laufe das auch bei uns ganz gut, da gäbe es Möglichkeiten der Betreuung. „Aber mit 15 hört das auf, da gibt es gar nichts mehr.“

Die Liebe zur Monotonie. Deshalb fielen viele Autisten nach der Schule in ein schwarzes Loch. „Natürlich sind nicht alle Autisten hochintelligent“, sagt Dorfmeister. „Aber manche sind in vielen Dingen einfach besser als wir.“ Sie können sich besser konzentrieren, sind sehr genau, machen weniger Fehler. Autisten mögen Strukturen und wiederholte Abläufe, monotone Arbeitsprozesse sind für sie weniger belastend – Begabungen, die in der Telekommunikations- und IT-Branche eingesetzt werden können.

Autisten sind gut darin, Muster zu erkennen. Sonnes Sohn Lars kann Details einer Landkarte aus dem Gedächtnis originalgetreu nachzeichnen. „In der Beratungsleistung konzentrieren wir uns genau auf diese Begabungen“, sagt Dorfmeister. Auf dem normalen Arbeitsmarkt einen Job zu finden, sei für Autisten schwer. „Vorstellungsgespräche können nur im Fiasko enden“, sagt Dorfmeister. Heute gehe es vermehrt darum, teamfähig zu sein, kommunikativ, flexibel und dynamisch – all das sind Autisten nicht. Sie brauchen klare Anweisungen und strukturierte Arbeitsschritte. „Autisten verstehen weder Ironie noch Zynismus, keine unterschwelligen Botschaften.“

Dorfmeister erzählt von Anton, einem Mann mit Asperger-Syndrom, einer speziellen Form von Autismus. Anton arbeitete lange als Wirtschaftsanalyst in London. In einer neuen Position hätte er in Kontakt mit Kunden treten müssen. Das schaffte Anton nicht, er verlor seinen Job. Zurück in Österreich scheiterte er an Vorstellungsgesprächen. „Autisten fehlt die Fähigkeit, sich in andere hineinzufühlen und hineinzudenken“, erklärt Carolin Steidl von der Autismushilfe Österreich. Auch schaffen sie es nicht, intuitiv die Regeln der Höflichkeit einzuhalten: Blickkontakt herstellen, grüßen, freundlich lächeln.

„Viele Autisten sind viel zu ehrlich“, sagt Dorfmeister. „Sie sagen etwa zum Chef: Das ist falsch, das kann man so nicht machen.“ Dazu kommt noch, dass Autisten Außenreizen ungeschützt ausgesetzt sind. Diese Flut von Sinneseindrücken führt oft zu unverständlichen Verhaltensweisen. „Deshalb darf es am Arbeitsplatz auch keine Störungen geben, es muss ruhig sein“, sagt Steidl. Dessen ist sich Dorfmeister bewusst. Unternehmen, die Autisten beschäftigen, bräuchten daher unbedingt einen Mitarbeiter aus dem Sozialkompetenz-Bereich, der darauf achtet, wie es ihnen im Unternehmen geht.

Der faktor.c der Bildungswerkstätte WUK betreut seit einigen Jahren unter anderem junge Autisten beim Einstieg ins Berufsleben. Christa Franek begleitet die Jugendlichen und spricht mit Firmen, um Missverständnissen vorzubeugen: „Man muss den Leuten erklären, dass sie nicht böse sein sollen, wenn der neue Mitarbeiter nicht mit ihnen zu Mittag essen will.“ Autisten empfänden den Umgang mit Menschen oft als Irritation. „Sie brauchen Menschen, die für sie übersetzen, damit sie außerhalb ihrer Komfortzone nicht versagen“, so Dorfmeister.

Erste Partner. In Österreich befindet sich Specialisterne noch im Aufbau. Im Moment werden lokale Partner gesucht. Dorfmeister plant, im Herbst die ersten sechs bis acht Personen in Betriebe zu schicken. Die Firma Baumax und die Wiener Städtische haben bereits zugesagt. Damit die Menschen im Arbeitsklima zurechtkommen, sollen sie für mehrere Monate ein Ausbildungsprogramm durchlaufen, bevor sie in den Betrieben anfangen. Im Idealfall sollen dann 20 bis 30 Prozent von den Firmen übernommen werden.

Lars Sonne ist heute 15 Jahre alt und geht noch in die Schule. Wenn alles gut geht, wird auch er in ein bis zwei Jahren das Trainingsprogramm der Specialisterne durchlaufen. Und danach ein normales Leben führen. Inklusive Arbeit.

Autismus

Die Autismus-Spektrum-Störung ist eine Informations- und Wahrnehmungsverarbeitungsstörung. Betroffene haben Probleme mit Umweltreizen und mit Empathie.

Mehr als ein Prozent aller Menschen sind betroffen. Es gibt u.a. das Asperger-Syndrom und den frühkindlichen Autismus. 40 Prozent der frühkindlichen Autisten sind männlich, beim Asperger-Syndrom sind es 80Prozent. 50 Prozent aller Menschen mit Inselbegabung sind Autisten. http://specialistpeople.com/

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Symbolbild Arbeitssuche
Wien

Autisten: Jobs für "Außerirdische"

Die Stiftung Specialisterne integriert Autisten in den Arbeitsmarkt. Sie haben spezielle Talente, brauchen aber Hilfe in zwischenmenschlichen Beziehungen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.