Gespannte Erwartungen

Brexit. Welche Auswirkungen hätte ein Austritt Großbritanniens auf den Immobilienmarkt Londons? Die Experten sind uneins, doch niemand rechnet mit einem Zusammenbruch.

Am 23. Juni wird Großbritannien in einem Referendum über einen Austritt aus der Europäischen Union abstimmen. Doch obwohl bei einem Brexit auch einer der attraktivsten Immobilienmärkte Europas aus der EU ausscheiden würde, wurde diese Möglichkeit nicht einmal auf der weltweit größten Gewerbemesse Mipim in Cannes diskutiert. „Das Thema ist so komplex, dass sich das noch keiner wirklich überlegen will“, meint Franz Pöltl, Geschäftsführender Gesellschafter bei EHL Investment Consulting.

Kein Crash

„Es ist noch völlig unklar, was das genau bedeuten wird“, meint auch Andreas Ridder, Geschäftsführer von CBRE Austria, wobei er selbst es aber für sehr unwahrscheinlich hält, dass es zu einem Austritt kommt. Ob die Auswirkungen eines Brexit auf die Immobilienpreise in London positiv oder negativ sein werden, darüber sind sich die Experten uneinig: „Für beide Szenarien gibt es Argumente“, sagt etwa Michael Reinberg, Geschäftsführer von Reinberg & Partner. Aber selbst Pessimisten gehen nicht davon aus, dass das Preisgefüge in der britischen Hauptstadt schlagartig aus den Fugen geraten könnte. Zwar warnen einige Experten vor einem Preisrückgang von 30 bis 40 Prozent, sollte es aber tatsächlich dazu kommen, würde sich dieser eher in einem sukzessiven Rückgang über mehrere Jahre vollziehen.
Reinberg gehört in dieser Hinsicht aber sowieso eher zu den Optimisten: „Ein Austritt schwächt die gesamte EU, und das würde wahrscheinlich Austrittsüberlegungen auch anderer Länder beflügeln. Dadurch könnte der ohnehin schon angezählte Euro weiter an Wert verlieren, was wiederum dem britischen Pfund zugutekommt. Somit werden die Londoner Immobilienpreise für Euroländer meines Erachtens noch höher werden.“ Ob auf oder ab, die internationalen Investoren warten derzeit offenbar lieber auf das tatsächliche Ergebnis, was sich erkennbar an der Verlangsamung des Londoner Immobilienmarkts ablesen lässt.

Sollte der 23. Juni tatsächlich zu einem Ausstieg führen, ist davon auszugehen, dass sich viele in London angesiedelte Firmen im Rest Europas umsehen werden. Vor allem die Finanzinstitutionen und in unmittelbarer Folge die internationalen Konzerne brauchen für einen nachhaltigen Standort in der EU sichere Rahmenbedingungen – wirtschaftlich, rechtlich und sozial – und auch die entsprechenden Standortvoraussetzungen. Für Oswald Wolkenstein, geschäftsführender Gesellschafter der NOW Real Estate, die vorwiegend in Berlin tätig ist „stehen dafür lediglich zwei Städte zur Disposition. Paris und Berlin, wobei ich glaube, dass Berlin die besseren Karten hat.“

Berlin als Profiteur

Tatsächlich hat Berlin zwei große Vorteile: Zum einen ist sie die Hauptstadt der stärksten Volkswirtschaft der EU und zum anderen verfügt die Metropole über genügend Platz, um innerhalb der Stadtgrenzen substanziell zu wachsen. Platz genug, um für große Konzerne Büroflächen zu schaffen und natürlich auch Wohnraum. „Darüber hinaus liegt das Immobilienpreisniveau – und das ist eines der wesentlichen Assets der deutschen Hauptstadt – deutlich unter Paris und vergleichbaren Städten“, betont Michael Novak, Partner von Wolkenstein bei der NOW Real Estate: „Berlin hat bei einem Brexit also die Chance, rasch zu einer World Capital City wie Paris, London oder New York aufzusteigen.“

Von einem Brexit profitieren würde aber auch Frankfurt. Zahlreiche deutsche Unternehmen haben derzeit noch ihren Sitz an der Themse. Die Deutsche Bank etwa hat hier das Herz ihres Investmentbankings – mit rund 9000 Mitarbeitern. Bei einem Brexit würde wohl ein Großteil der Aktivitäten zurück in die EU geholt werden und Frankfurt würde „als zweiter europäischer Finanzstandort wahrscheinlich profitieren“, meint Ridder.
Doch solche Standorttransfers würden auch Probleme mit sich bringen, gibt Novak zu bedenken: „Sollte auch nur ein Teil der Unternehmen, die jetzt in London ansässig sind, Teile des Mitarbeiterstabs in andere Städte schicken, so ist das eine gewaltige Masse, die jede Stadt vor enorme Herausforderungen stellen würde.“

Info

London gilt bei Investoren nach wie vor als der attraktivste Investmentstandort unter den europäischen Städten. 15,1 Prozent geben ihm laut einer aktuellen Umfrage von CBRE den Vorzug, gefolgt von Madrid (12,2 Prozent) und Paris (11,6 Prozent). Berlin landete mit 10,8 Prozent nur auf dem vierten Platz.

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