Die Lust auf Sonnenstrom und Regenwasser

Green Buildings. Nachhaltiges Bauen setzt sich auch deshalb durch, weil es eine Investition in den eigenen guten Ruf ist.

Besucher der von Siemens veranstalteten Digitalisierungskonferenz Shaping Digitalization konnten sich knapp vor Weihnachten nicht nur über die neuesten Digitalisierungstrends informieren, sondern sich auch selbst ein Bild von der neu eröffneten Konzernzentrale des deutschen Elektronikriesens machen. Mit deutscher Gründlichkeit und dänischem Architekturverständnis war in den vergangenen Jahren ein modernes Bürogebäude am Wittelsbacherplatz in München entstanden, das auf den ersten Blick gar nicht sonderlich spektakulär wirkt. Ein alter, am Platz befindlicher Bürotrakt war weggerissen worden, das historische Palais Ludwig Ferdinand und sein Nachbargebäude saniert und nahtlos in einen Neubau integriert. Auf rund 45.000 Quadratmetern Gebäudefläche entstand so ein zeitgemäßes Arbeitsumfeld für rund 1200 Mitarbeiter.

Eine Frage von Wert und Image

Spektakulärer als die architektonische Wirkung präsentieren sich die inneren Werte des Gebäudes: „Einen besonderen Schwerpunkt haben wir bei der Umweltfreundlichkeit und Energieeffizienz gesetzt“, erklärt Jesper Friis von Siemens Real Estate, das die Immobilienaktivitäten von Siemens verantwortet. „Verglichen mit dem Vorgängergebäude benötigt der Neubau um rund 90 Prozent weniger Energie und verbraucht um 75 Prozent weniger Wasser. Die CO32-Emissionen konnten um insgesamt 90 Prozent reduziert werden.“ Um diese Einsparungen zu erreichen, wurden auf dem Dach rund 800 Fotovoltaik-Paneele (Gesamtfläche rund 1300 Quadratmeter) angebracht. Rund ein Drittel des gesamten Energiebedarfs der neuen Siemens-Zentrale wird vor Ort produziert. Das für Toilettenspülungen und Pflanzen-Bewässerungsanlagen im Eingangsbereich benötigte Wasser im Ausmaß von rund 1500 Kubikmetern wird in Form von Regenwasser auf dem Gelände aufgefangen. Und die 50 Tonnen Glas, 150 Tonnen Aluminium sowie 3500 Tonnen Stahl stammen zu hundert Prozent aus recycelten Rohstoffen. Dank dieser Maßnahmen konnte das Gebäude ein Platinum-Zertifikat nach dem DGNB- und LEED-Standard einheimsen.
Für den Weltkonzern, der auch maßgeblich im Bereich nachhaltiger Technologien unterwegs ist, spielen solche Zertifizierungen nicht nur aus Umwelt-, sondern auch aus Imagegründen eine gewichtige Rolle. Sie sorgen für Beachtung bei den Kunden, der Öffentlichkeit und dem Mitbewerb. Eine Investition in ein energieeffizientes Gebäude ist so gesehen eine Investition in den eigenen guten Ruf als verantwortungsvoller, zukunftsfähiger Partner und macht das Objekt zudem auch wertvoller. „Unsere Aktivitäten in Österreich haben zunächst private Bauherrn überzeugt, sich mit Umweltverträglichkeit auseinanderzusetzen“, erklärt Tobias Waltjen, Greenbuilding-Experte beim Österreichischen Institut für Baubiologie und Ökologie (IBO). „Danach die öffentliche Hand bei der Errichtung von öffentlichen Gebäuden. Und nun zunehmend auch jene Wirtschaftstreibenden, die aus Überzeugung oder Imagegründen dazu beitragen, dass nachhaltig gebaut wird.“
Ein zweiter Wasserkreislauf, wie beim Siemens-Gebäude, kommt laut Waltjen in Österreich jedoch eher selten vor, da die Investition zu teuer wäre. Regenwasser könne allerdings auf Gründächern und begrünten Fassaden abgefangen und für die Verdunstung bereitgestellt werden. Als Vorteil stellt er die Verringerung des Wärmeinseleffekts in den Städten und die Entlastung der Kanalisation bei Starkregenereignissen heraus. „Flachdächer können zudem als attraktive Grünflächen für Mitarbeiter oder für Fotovoltaikanlagen genutzt werden, deren Strom zunehmend in Batterien gespeichert wird. Im Kommen ist auch das Zusammenspiel von nebeneinanderliegenden Gebäuden. So könnte ein Hochhaus mit kleiner Dachfläche mit der danebenliegenden Schule, die auf einem großen Flachdach Fotovoltaik-Paneele montiert hat, kooperieren. Überschüssige Energie kann so im Sommer an das Hochhaus abgegeben werden.

Heizen mit Erdwärme

Im Gegensatz zur neuen Siemens-Zentrale sticht das im Dezember eröffnete Verwaltungsgebäude des ÖAMTC an der Wiener Südosttangente auch optisch ins Auge. Gleichzeitig hat man aber auch den Umweltaspekt nicht aus dem Blick verloren. So wird etwa mittels Bauteilaktivierung geheizt und gekühlt. „Das heißt, dass zum einen die Betondecken mit Schläuchen – ähnlich einer Fußbodenheizung – durchzogen sind, wodurch sich das Gebäude selbst erwärmt“, erklärt Christoph Pichler vom gestaltenden Architekturbüro Pichler und Traupmann. „Weiters werden auch die Bodenplatten mit Schläuchen aktiviert, wobei in diesem Fall die Erdwärme genützt wird.“ Mittels Wärmepumpen werde so für eine angenehme Temperatur im Hausinneren gesorgt.
Ähnlich verhält es sich mit dem Grundwasser. „Auf dem Bauplatz waren bereits Brunnen vorhanden. Dem gewonnenen Wasser wird Energie zur Erwärmung des Gebäudes entzogen“, sagt Pichler. Fotovoltaik-Paneele konnten am Gebäude hingegen nicht angebracht werden, da die Abwinde von startenden und landenden Hubschraubern auf dem in das Gebäude integrierten Hubschrauber-Landeplatz die elektrischen Einrichtungen gefährdet hätten.
Das Gebäude wurde im Passivhausstandard errichtet, eine Umweltzertifizierung wird angestrebt. Die damit verbundene Wertsteigerung spielt dabei keine große Rolle: Schließlich handelt es sich um ein Gebäude, das speziell für einen Touringclub geschneidert wurde.

Grüne Zertifizierungen

Die verschiedenen Zertifizierungssysteme sind zielgruppenspezifisch orientiert. LEED punktet bei internationalen Investoren, Breeam bei britischen, DGNB – nach diesem zertifiziert etwa auch die Ögni – bei deutschen. Das Prädikat „klimaaktiv“, das aus dem TQB (Total Quality Building) weiterentwickelt wurde, ist in Österreich bekannt und gefragt.
Das Passivhaus-Zertifikat ist für jene von Bedeutung, die Wert auf die damit verbundene bauphysikalische Konzeption legen.

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