„Chancen- statt Risikokarte ziehen“

Seit der städtebauliche Vertrag des Heumarkt-Projekts veröffentlicht wurde, wird vermehrt darüber diskutiert. Welchen Sinn hat so ein Vertrag? Braucht Wien ein eigenes Modell? Und was sollte das beinhalten?

Sperriger Begriff, flexibler Inhalt: Was wer wohin mit welchen Auflagen und Kosten baut, ist seit jeher eine komplexe Angelegenheit. Neue Ideen sollen das Prozedere verbessern.


„Die Presse“: Was ist ein städtebaulicher Vertrag?

Michael Hecht: Eine bindende Vereinbarung zwischen öffentlicher Hand und Entwickler beziehungsweise Investor . . .
Evelyn Susanne Ernst-Kirchmayr: . . . die im Entwicklungsprozess der Stadtplanung und Projektidee für eine spezifische Liegenschaft konkretisiert wird, im Dialog von Projektentwicklern mit Behörden und Planungsabteilungen. Es gibt allerdings noch keine Richtlinien, an denen man sich orientieren kann.
Hecht: Jeder Vertrag ist ein Abbild des Projekts. Vom nun ersten veröffentlichten Vertrag auf andere zu schließen oder ihn als Muster zu nehmen funktioniert nicht.


In Wien gibt es dieses Instrument seit 2014. Warum?

Hecht: Die Wiener Bauordnung ist ein Rechtsrahmen, der ja schon sehr klar darin ist, was wo grundsätzlich möglich ist. Vielleicht wurde Wien deshalb als letzte Großstadt dieses Ranges in Europa und letztes Bundesland in Österreich damit beglückt. Er soll aber auch hier mehr Planungssicherheit sowohl für die Stadt als auch die Entwickler gewährleisten.
Ernst-Kirchmayr: Projekterforderliche Infrastruktur zu verhandeln und dem Projektwerber per Bescheid als Auflage zu erteilen ist ja nichts Neues, Kostenübernahme inklusive. Neu sind bislang unübliche Inhalte, wie etwa eine Verpflichtung zu einer genau definierten Anzahl von Sozialwohnungen, der Vertragscharakter und die Kostendimensionen.


Funktioniert das?

Hecht: Der Anfang ist gemacht, mit jedem Projekt wird dazugelernt. Aber es braucht auch wirtschaftlich mehr Sicherheit im Sinn einer Fairness-Opinion, Timeline und Guideline. Das Instrument soll ja ein Katalysator sein, keine Bremse. Alle Partner müssen sich besser orientieren können.
Ernst-Kirchmayr: Verglichen mit dem altbekannten Spiel „DKT“ zieht ein Projektentwickler derzeit eher eine Risikokarte. Es sollte aber ehestmöglich eine Chancenkarte werden. Sonst herrscht Ratlosigkeit, und die kostet Zeit.


Warum ist der Zeitfaktor wichtig?

Hecht: Wenn sich ein Investor beraten lässt und es für ihn nicht abzuschätzen ist, wie lang die Verhandlungen dauern werden, kann es schon sein, dass er sagt, er gehe lieber nach Bratislava. Oder ein anderer sieht, dass an einem Standort zum Beispiel ein Gastronomie- und Entertainmentprojekt gut funktionieren würde, verhandelt, es geht nicht voran – und sieht zu, wie ein Konkurrent die Idee am Nachbargrundstück umsetzt, weil der Standort sich dafür anbietet.
Ernst-Kirchmayr: Entwicklungsprojekte, die stottern, binden Ressourcen. Im schlimmsten Fall werden diese verlagert, weil Kosten und Zeit ein zu hohes Risiko bergen, und die Investoren feiern in der neuen Hotelbar in Bratislava ihre Projektstarts in Polen oder Bukarest. Dies wäre weder im Sinn des Step (Stadtentwicklungsplan) 2025, noch dem Ziel der Bodenmobilisierung dienlich – und für die aktuelle Wohnungsnachfrage ein Damoklesschwert.


Wie lösen das andere Länder? Was kann man sich davon abschauen?

Ernst-Kirchmayr: In der Schweiz ist bundesgesetzlich – der mit unserer Vertragsraumordnung häufig fälschlich verglichene Mehrwertausgleich – verankert, durch den Widmungsgewinne von mindestens 20 Prozent zwischen Kantonen und Gemeinden aufgeteilt werden. Deutschland regelt städtebauliche Verträge im Baugesetzbuch des Bunds, woraus sich regionale Spezifikationen, etwa das Münchner Modell mit der Verpflichtung zu 30 Prozent „sozialer Bodennutzung“ entwickelt hat.

Wie könnte ein Wiener Modell aussehen?

Hecht: Stichworte sind Mindestmerkmale zu Zeitachse, Prozedere, Leitlinien für die Berechnung angemessener Infrastrukturkosten und Planungsziele . . .
Ernst-Kirchmayr: . . . jedenfalls qualitative Konkretisierungen der Stadtplanung, die aber noch Platz für Ideen lassen. Zu konkrete Reglementierungen schränken die Flexibilität ein – und so die Möglichkeit auf prozesshafte Stadtentwicklung und Reaktion auf Markttrends.


Was wären die Merkmale dafür, dass es ideal läuft?

Hecht: Bodenmobilisierung für die Stadt, mehr Wohnraumschaffung in angemessener Zeit durch innovative Entwickler, die hier gern investieren möchten, aber auch Attraktivierung für Gewerbe- und Dienstleistungsstandorte.
Ernst-Kirchmayr: Es geht ja nicht um Yachten und Juwelen, sondern um Unternehmen, die als Entwickler Stadtplanungsziele realisieren. Insbesondere für den Wohnungsmarkt wäre es gut, wenn vorliegende Projekte zügig umgesetzt werden, denn knappes Angebot lässt die Marktpreise bekannterweise steigen. Die Stadt kann besser gegensteuern, wenn alle Partner fair und rasch verhandeln können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2017)

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