Karin Fischer-Ausserer: Die Frau, die Vergrabenes zu Tage bringt

Karin Fischer-Ausserer
Karin Fischer-Ausserer(c) Stadtarchäologie Wien
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Karin Fischer-Ausserer leitet die Wiener Stadtarchäologie und rekonstruiert, was früher war.

Karin Fischer-Ausserer geht täglich mit ihrem Hund in Wien spazieren. Dabei entdeckt sie oft Baustellen, bei denen die Erdschichten schon bis in die Tiefen offen liegen. Als Leiterin der Wiener Stadtarchäologie lässt es die für die Austria'08 in der Kategorie Forschung Nominierte (siehe unten stehenden Kupon) selten aus, der Baustelle „auf den Grund zu gehen“: In einem Gebiet, wo mit archäologischen Funden zu rechnen ist, verlangt das Bundesdenkmalamt eine Dokumentation.

In der Symbiose von Bauindustrie und Wissenschaft gelangen die Archäologen freilich zu besten Ergebnissen. Denn wo der Boden zu wirtschaftlichen Zwecken geöffnet wird, wäre es eine Verschwendung, das in den Erdschichten verborgene Wissen nicht für wissenschaftliche Zwecke zu nutzen. Alles, was im Boden an Wissen vergraben liegt, wird erst durch die Funde wieder lebendig.

Notgrabungen bei Knochenfund

Die gebürtige Südtirolerin, die zum Studium der Klassischen Archäologie und Antiken Kunstgeschichte 1983 nach Wien zog, kennt die Situationen nur zu gut, wenn Baufirmen plötzlich anrufen und melden: „Wir sind auf Knochen gestoßen.“ Aber nicht nur Knochen, auch Scherben, Splitter und Metallteile können wertvolle archäologische Funde sein, die seit Jahrhunderten und Jahrtausenden im Boden eingeschlossen waren. „Wenn unerwartete Funde in Baustellen auftauchen, starten wir Notgrabungen“, berichtet Fischer-Ausserer vom Alltag der Stadtarchäologie. In solchen Fällen ist die „Knochenarbeit“ der Archäologen besonders stressig – denn stehende Bagger, die warten müssen, bis die Wissenschaftler alles untersucht haben, kosten die Baufirmen Geld. „Mittlerweile wenden sich viele Baufirmen schon vor dem ersten Spatenstich an uns. Dann klären wir anhand unserer Datenbanken und Fundakten, in denen sämtliche archäologische Fundstätten seit dem 18.Jahrhundert erfasst sind, was bei den jeweiligen Bauprojekten archäologisch zu erwarten ist“, erzählt sie. In der Kooperation mit den Firmen lässt es sich leichter arbeiten: An einem Eck werken die Maschinen, im anderen Eck sitzen die Archäologen. Die Idylle der Archäologen-Arbeit mit Pinselchen und Notizblock gehört der Vergangenheit an. Die Ausrüstung hat sich inzwischen um technische „Gimmicks“ wie Theodolith, Notebook und eigene Archäo-PC-Programme erweitert. Das erleichtert die Rekonstruktion dessen, was früher mal war: „Erst wenn man den Hintergrund der Funde erforscht, erkennt man, dass hinter all dem zu jeder Zeit Menschen wie du und ich standen.“

Wissenschaftliche Koordination

Als Leiterin der Stadtarchäologie kennt Fischer-Ausserer jede neue Entwicklung, die sich im Grabungsbereich tut. Sie gehört nicht zu den Chefs, die ihr Gebiet nur vom Schreibtisch aus beobachten. Am Schreibtisch sitzt sie täglich ab 6.00 Uhr Früh in ihrem Büro mit Blick auf den Wiener Augarten. „Da habe ich Ruhe, um an wissenschaftlichen Texten und Konzepten zu arbeiten“, erzählt sie. Um 7.30 Uhr ist es aus mit der Ruhe: Das Telefon läutet und Besprechungen beginnen.

Ab 2003 wurde die Stadtarchäologie unter Fischer-Ausserers Leitung kräftig umgekrempelt: War es früher ein „Ein-Mann-Betrieb“, der direkt dem Stadtrat für Kultur unterstellt war, konnte sie die Stadtarchäologie als eigenes Referat innerhalb der „MA 7 – Kultur“ etablieren. Seit Juli 2008 ist die Stadtarchäologie eine Abteilung der Museen der Stadt Wien. Fischer-Ausserer koordiniert nicht nur die Arbeit ihrer 32 Mitarbeiter, sie ist auch für die organisatorische und finanzielle Betreuung der Projekte und die Budgetverwaltung zuständig und kümmert sich so ganz nebenbei noch um die wissenschaftliche Koordination der laufenden Grabungen.

Das daraus sprießende Wissen wird regelmäßig in wissenschaftlichen Artikeln bzw. auch in Publikationen der Stadtarchäologie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So kann man im jährlichen Sammelband „Fundort Wien“ nachlesen, wie das Leben der römischen Legionäre in Vindobona aussah oder womit sich die mittelalterliche Gesellschaft in Wien die Zeit vertrieb.

AUF EINEN BLICK

www.stadtarchaeologie.atKarin Fischer-Ausserer (1963 in Südtirol geboren), lebt seit 25Jahren in Wien. Die studierte Archäologin wurde 1996 als Koordinatorin eines Verwaltungsbüros in die Wiener Stadtarchäologie geholt und übernahm dort 2003 die Leitung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2008)

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