Lobbyisten agieren in Brüssel ohne spezielle Regeln

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Die EU-Kommission und das EU-Parlament stehen einander bei Einführung eines Lobbyisten-Registers gegenseitig im Weg. Man weiß nicht einmal genau, wie groß die Zahl der Brüsseler Lobbyisten derzeit ist.

Brüssel/C. D./APA Lobbying ist ein kontroversielles Thema in Brüssel. Und das nicht erst, seit Journalisten der „Sunday Times" die Bestechlichkeit von EU-Parlamentariern eindrucksvoll aufgezeigt haben, indem sie für eine entsprechende Einflussnahme auf Gesetzesbeschlüsse 100.000 Euro boten. Darin verwickelt sind der ÖVP-Delegationsleiter und frühere Innenminister Ernst Strasser, der rumänische EU-Abgeordnete und Ex-Außenminister Adrian Severin sowie der slowenische Parlamentarier Zoran Thaler, auch ein früherer Außenminister.

Elf weitere Fälle sollen folgen

Strasser und Thaler sind zurückgetreten. Thaler fühlt sich zu Unrecht beschuldigt. Er habe an eine CIA-Verschwörung geglaubt. Die Geheimdienstvariante hat übrigens auch Strasser anfangs zur Verteidigung vorgebracht. Severin weigert sich überhaupt zu gehen und vertritt standhaft die Ansicht, er habe nichts Unrechtes getan. Die europäischen Sozialdemokraten schlossen ihn dennoch aus der Fraktion aus, und in seiner Heimat wurde er von allen Parteiämtern suspendiert. Es soll zudem noch weitere elf EU-Politiker geben, die auf die Scheingeschäfte der Journalisten eingegangen sind.

Auch wenn es in diesen Fällen mehr um Bestechung denn um Lobbying geht, ist Letzteres in Brüssel nur unsauber gelöst. Bisher gibt es bloß freiwillige Registrierungssysteme für Interessenvertreter in EU-Parlament und EU-Kommission. Eine gesetzlich verbindliche Eintragung, wie in den USA praktiziert, fehlt. Im Juni 2008 richtete die EU-Kommission ein freiwilliges „Register der Interessenvertreter" ein. Das EU-Parlament folgte erst, nachdem 2008 bekannt wurde, dass multinationale Konzerne jahrelang Büros und Telefonleitungen gratis zur Verfügung gestellt bekamen.

Das unter dem früheren Parlamentspräsidenten Pat Cox eingerichtete „European Business & Parliament Scheme" (EBPS) wurde daraufhin beendet. 28 Konzerne sollen ihre Büros im Europaparlament betrieben haben, darunter Gas de France, Telefonica, Thalys, British American Tobacco, Unilever, Ericsson oder Microsoft. Die Kosten für Reisen, Unterbringung und programmbezogene Ausgaben kamen aus den Budgets von EU-Parlament und EBPS.

Man weiß nicht einmal genau, wie groß die Zahl der Brüsseler Lobbyisten derzeit ist. Der frühere EU-Kommissar Siim Kallas, der das freiwillige Register ins Leben gerufen hatte, schätzte sie auf 15.000. Antony Gravili, Sprecher des für Verwaltungsfragen zuständigen Kommissionsvizepräsidenten Maros Sefcovic, sprach am Dienstag von aktuell nur 3757 Einträgen. Derzeit laufen Verhandlungen zwischen der EU-Kommission und dem Europaparlament, ein gemeinsames Register und einen Verhaltenskodex für Interessenvertreter aufzubauen. Die zuständige Parlamentsvizepräsidentin Diana Wallis forciert ein rechtlich verbindliches Register. Der Sprecher der Kommission wiegelt hingegen ab. Es gebe dafür keine Rechtsgrundlage. Und philosophische Überlegungen würden dagegen sprechen, so Gravili. Wenn die EU-Kommission zum Beispiel eine öffentliche Befragung zu geplanten Rechtsakten mache, tue sie dies im Dienste aller Bürger. Thinktanks oder Religionsvertreter zählten schließlich nicht als Lobbyisten. Wo also ziehe man die Grenzen?

Strenge Regeln ohne Alternative

Die österreichischen EU-Abgeordneten sind jedenfalls einhellig für strengere Regeln und für ein Register. SPÖ-EU-Parlamentarierin Evelyn Regner tritt für klare Sanktionen gegen Lobbyisten ein, die gegen die Spielregeln verstoßen. Und wie kommt man dazu? Das bisherige freiwillige Register der EU-Kommission ist jedenfalls „reine Augenauswischerei und ungeeignet, zu mehr Transparenz beizutragen", findet FPÖ-Mandatar Mölzer. Hätte das Europäische Parlament ein solch verbindliches Lobbyisten-Register gehabt, „wäre nicht einmal der Herr Strasser darauf reingefallen", glaubt zumindest EU-Abgeordneter Hans-Peter Martin. Und die Grüne Ulrike Lunacek schlägt vor, dass auch aufgelistet wird, wer mit welchem Vorhaben an welchen Abgeordneten herangetreten ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.03.2011)

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