Faßmann: „Gesetze werden nicht von Gott geschickt“

FL�CHTLINGE: ANKUNFT IN SPIELFELD
FL�CHTLINGE: ANKUNFT IN SPIELFELD(c) APA/ERWIN SCHERIAU
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Die Bringschuld der Zuwanderer sei größer als die Holschuld der Mehrheitsgesellschaft, sagt Heinz Faßmann. Und warnt vor einem „integrationspolitischen Eigentor“, wenn man Asylwerbern zu tolerant begegnet.

Die Presse: Was halten Sie davon, dass die AMS-Kompetenzchecks für Flüchtlinge nach Geschlechtern getrennt erfolgen?

Heinz Faßmann: Männer und Frauen bei Kompetenzchecks a priori zu trennen, halte ich nach innen und außen für höchst ungeschickt. Im Vordergrund sollten die beruflichen Merkmale stehen, nicht das Geschlecht.


Wie kommt man überhaupt auf diese Idee?

Möglicherweise gab es Signale von den Zugewanderten, die von den Verantwortlichen unreflektiert übernommen wurden. Gerade bei Kompetenzchecks könnte man aber in eine situative Praxis jene Botschaften verpacken, die man sonst nur abstrakt in Integrationskursen vermittelt.


Wie weit soll man Zuwanderern aus fremden Kulturen entgegenkommen? Wie geduldig muss man mit ihnen sein?

Diese Balance ist schwierig. Bei grundsätzlichen Aspekten sollte die Ungeduld mit Zuwanderern berechtigt sein. Bei der Genderfrage etwa wäre ich ungeduldig. Oder bei der Frage, welche Bedeutung Religion in unserer Gesellschaft besitzt, auch bei der Akzeptanz von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Gesetze werden im Parlament gemacht und nicht von Gott geschickt. Das ist zu akzeptieren, und zwar ohne Übergangsfrist. Außerdem sollten Konflikte aus Herkunftsländern nicht nach Österreich gebracht werden. Ich bin auch gegen einen Rechtspluralismus. Gewalt in der Familie, die kulturell legitimiert sein mag, ist in Österreich nicht adäquat. Bei anderen, den Alltag betreffenden Dingen hingegen sollten wir stärker auf die Menschen zugehen. Etwa bei der größeren Bedeutung eines Familienverbandes oder der Frage, wer in der Familie die Autorität besitzt.

Die letztgenannten Punkte sind doch harmlos. Wer sollte sich an der größeren Bedeutung eines Familienverbandes stören? Bei den zuvor genannten, sensiblen Punkten sind Sie also für eine harte Linie?

Ja, so ist es.

Ist Integration eine Bring- oder Holschuld?

Sowohl als auch, aber mit einem größeren Verantwortungsbereich bei den Zugewanderten. Das ergibt sich allein schon aufgrund der quantitativen Größenordnung der Aufnahmegesellschaft und der Zugewanderten. Beim Einfordern der Integration muss man bei Flüchtlingen wohl toleranter sein – wegen ihrer Kriegserlebnisse und Fluchtgeschichte.

Auch bei den, bleiben wir bei diesem Begriff, sensiblen Punkten?

Nein, bei diesen nicht. Das mag konservativ klingen, aber dieser Meinung bin ich. Die grundsätzlichen Werte sind einzuhalten, sonst schießt man sich ein integrationspolitisches Eigentor. Ein Infragestellen von gesellschaftlich Wichtigem würde die aufnehmende Gesellschaft als Rückschritt empfinden und darauf mit Ablehnung reagieren.


Bis Jahresende werden in Österreich rund 95.000 Asylanträge erwartet. Sollte das in den nächsten Jahren auch der Fall sein, kommen auf Österreich einige, sagen wir, Herausforderungen zu, oder?

Wenn das wirklich so weitergeht, müsste sich einiges ändern. So müsste etwa die Wohnbauleistung deutlich über jener der vergangenen Jahre liegen. Zudem wäre ein ordentliches Wirtschaftswachstum notwendig, damit Asylwerber Arbeit finden und nicht nur von der Mindestsicherung leben müssen.


Wie soll das gehen? Wohnraum ist schon knapp. Arbeitslose gibt es auch genug.

Da haben Sie recht. Das könnte zu großen Problemen führen. Denn selbst in den vergangenen Jahren gab es zu wenig Wachstum. In dieser Hinsicht würden sozialpolitische Verteilungsfragen, insbesondere die Mindestsicherung, akzentuiert werden.


Ganz zu schweigen von Ghettoisierung und Parallel- und Gegengesellschaften.

Eine Gleichverteilung der Asylberechtigten ist unwahrscheinlich. Syrische Flüchtlinge etwa würden dort hingehen, wo sich syrische Kriegsflüchtlinge einer Vorperiode bereits angesiedelt haben. Das würde eine Zeitlang zu einer verstärkten Fragmentierung führen. Ich bin kein Fan von Krisennomenklatur, aber ein Wachstum durch Flüchtlingszuwanderung in der Größenordnung von 2015 über mehrere Jahre hinweg wäre für unsere Gesellschaft krisenhaft.


Mit Folgen wie Radikalisierung?

Hier müssen wir auf die Integrationsprozesse, die deradikalisierend wirken, hoffen. Das Erlernen der Sprache, geregelte Arbeit etc. führen zur gesellschaftlichen Eingliederung. Menschen sehen, dass sie akzeptiert werden und dass etwas weitergeht. Das verhindert Radikalisierung, die immer auch etwas mit Abwertungsprozessen zu tun hat.

Das heißt, wir können nur hoffen, dass künftig weniger Flüchtlinge kommen?

Ich hoffe, dass das europäische Asylsystem über die Wintermonate, wenn weniger Flüchtlinge kommen, Tritt fassen kann. Dazu gehören das Outsourcing der Kontrolle in Richtung Türkei, die Kontrolle der Außengrenzen, Rückführungen und Vorasylprüfverfahren in den Hotspots vor Ort. Flüchtlinge sollten nicht ohne eine Chance auf Asyl quer durch Europa transportiert werden.


Befürworten Sie Asyl-Obergrenzen?

Nein. Wer Obergrenzen fordert, versteht die Genfer Flüchtlingskonvention nicht. Bei einer Grenze von vielleicht 100.000 Personen hat auch die 100.001. Person ein Recht auf Asyl. Obergrenzen könnten nur über kollektive Sicherungsverfahren realisiert werden, zum Beispiel über Resettlementprogramme, bei denen Asylwerber in den Herkunftsländern ausgesucht und nach Europa gebracht werden.


Der neue Integrationsplan, an dem Sie mitgearbeitet haben, sieht bei fehlender Integrationsbereitschaft eine Kürzung der Mindestsicherung vor. Warum gibt es darüber hinaus keine Strafen für Leute, die beispielsweise die Integration ihrer Kinder sabotieren?

Das muss man differenzieren. Die Mindestsicherung ist eine öffentliche Leistung. Der Steuerzahler kann eine Gegenleistung, wie etwa den Besuch eines Deutschkurses, erwarten. Wird diese Vereinbarung gebrochen, ist die Kürzung der Mindestsicherung legitim. Aber wie soll man sogenannte integrationsunwillige Eltern bestrafen, die sich in der Schule nicht an der Elternarbeit beteiligen? Wie kontrolliert man das? Oder wenn eine muslimische Frau einem Mann die Hand nicht geben will? Wer stellt das fest, wer bewertet die Gründe, wie soll das bestraft werden? Das ist alles nicht durchführbar.


Was ist mit Eltern, die ihre Kinder zu Außenseitern machen und ihre Zukunft gefährden, weil sie beispielsweise Schulschwänzen tolerieren oder sie nicht am Schwimmunterricht teilnehmen lassen? Haben diese Kinder kein Recht auf Schutz?

Um diese Eltern zu sanktionieren, steckt zu viel Liberalität in mir. Es gibt die Freiheit, den Kindern den sozialen Aufstieg zu ermöglichen. Es gibt aber auch die Freiheit, dies nicht zu wollen. Ansonsten ist man schnell bei einem totalitären Denken.


Und die Frau, die Männern nicht die Hand geben will: Was halten Sie von so jemandem, abgesehen von der Nichtexekutierbarkeit einer Sanktion?

Es ist absurd. Aber wenn es passiert, muss ich das zur Kenntnis nehmen. Ich will so etwas nicht normativ festlegen. Ein liberaler Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist sein Dilemma.

ZUR PERSON


Heinz Faßmann ist Obmann der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der Akademie der Wissenschaften und Vorsitzender des Expertenrates für Integration des Außenministeriums. An der Uni Wien ist er Professor für Angewandte Geografie, Raumforschung sowie Raumordnung und Vizerektor für Forschung und Internationales.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2015)

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