Kern - Zwischen Renzi und Gusenbauer

Christian Kern
Christian KernDie Presse/Clemens Fabry
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"New Deal" und Maschinensteuer: Wie passt das zusammen? Über den Wirtschaftspolitiker Christian Kern: Versuch einer Einordnung.

Seit einer Woche wundern sich nicht nur Unternehmer und Unternehmervertreter, was bei Christian Kern alles möglich ist. Wie kann dieselbe Person, die der frustrierten Wirtschaft einen „New Deal“ versprochen hat, plötzlich für eine Maschinensteuer und eine Arbeitszeitverkürzung eintreten, fragen sie sich.

Andere wundern sich über die Verwunderung. Immerhin hat der neue Kanzler schon am 19. Mai bei seiner Antrittsrede im Parlament gesagt, dass man die Finanzierung der Sozialsysteme auf eine breitere Basis stellen müsse. In SPÖ-Kreisen ist das der Code für eine Wertschöpfungsabgabe.

Beim Namen nannte Kern die Dinge dann beim Parteitag der Kärntner SPÖ vergangenes Wochenende. Woraufhin nicht nur die „Neue Zürcher Zeitung“ meinte, der österreichische Kanzler greife „tief in die Mottenkiste sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik“. Neu ist die Wertschöpfungsabgabe nun wirklich nicht. SPÖ-Sozialminister Alfred Dallinger hat sie vor 30 Jahren unter dem Begriff Maschinensteuer erfunden. Unternehmen sollten nicht nur für ihre Arbeitnehmer Sozialabgaben zahlen, sondern auch für Roboter und Computer, die immer öfter menschliche Arbeitskraft ersetzten.

Wie passen solche Retro-Ideen zu einem Kanzler, der beim Pioneers Festival Ende Mai in Wien, einem Vernetzungstreffen der Start-up-Szene, kritisiert hat, dass zu wenig privates Kapital in junge Unternehmen gesteckt werde? Erzählt Kern jedem, was er hören will? Vielleicht ist es ja genau umgekehrt: In der ersten Aufbruchseuphorie hörte jeder nur, was er vom neuen Kanzler hören wollte. Dabei scheinen viele vergessen zu haben, mit wem sie es zu tun haben: Kern ist Sozialdemokrat. Und damit Anhänger einer mehr oder weniger vom Staat eingehegten Wirtschaft.

Auch der „New Deal“ war ursprünglich ein interventionistisches Programm. US-Präsident Franklin D. Roosevelt hatte es in den 1930er-Jahren gegen die hohe Arbeitslosigkeit entwickelt. Straßen und Schulen wurden gebaut, Schauspieler und Maler beim Staat angestellt. Vor allem aber wurde ein Versicherungssystem für Pensionisten und Arbeitslose geschaffen.

In einem „Falter“-Interview diese Woche sagte Kern Sätze, die auch von Werner Faymann hätten stammen können: Der Neoliberalismus hätte die globale Ungleichheit massiv verschärft. In Österreich gebe es „noch ein paar Adoranten (des neoliberalen Paradigmas, Anm.), die den Diskurs bestimmen und erklären, das einzig Wichtige sei es, Schulden ohne Rücksicht auf Wachstum und Beschäftigung zu reduzieren.“

Zweifel an der europäischen Sparpolitik hatte der Kanzler schon bei seiner Antrittsrede geäußert, wenn auch etwas verklausuliert: „Es wird eine der wichtigsten Stoßrichtungen unserer Bemühungen sein, wieder Spielräume für öffentliche Investitionen zurückzugewinnen.“ Steht Kern also doch weiter links als gemeinhin angenommen?

Der frühere SPÖ-Bundesgeschäftsführer Joe Kalina verneint das vehement. „Kern ist ein überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft und des Wettbewerbs, aber mit sozialem Impetus.“ Man dürfe die Aussagen bei einem Parteitag nicht überbewerten. Bei einem solchen „Hochamt“ spreche jede Partei ihr Glaubensbekenntnis. Und in der SPÖ gehörten die Maschinensteuer und die Arbeitszeitverkürzung eben dazu.

Wobei zumindest Erstere kein Widerspruch zur sozialen Marktwirtschaft sei. Man müsse sie nur zeitgemäß umsetzen, nämlich in Verbindung mit einem „New Deal“. Was Kalina darunter versteht? „Bürokratie abbauen, Gewerbeordnung entrümpeln, Freiräume für Unternehmen schaffen.“ Und insgesamt – aber das habe Kern ja immer betont – dürfe die Steuer- und Abgabenquote nicht noch weiter steigen.

Nähe zum Leistungsbegriff. Jene, die den Kanzler seit Langem kennen, bescheinigen ihm ein Naheverhältnis zum Leistungsbegriff. Bei den ÖBB habe er bewiesen, dass Staatsbetriebe nicht automatisch zum Scheitern verurteilt sind. Intern habe er die Botschaft ausgegeben: „Wir sind ein Unternehmen, kein Versorgungsprogramm.“

Kalina sieht den Kanzler sogar unter dem Schlagwort „solidarische Hochleistungsgesellschaft“, das von Alfred Gusenbauer geprägt wurde. Mit seinem Vorvorgänger pflegt Kern eine Freundschaft. Mitunter holt er auch seinen Rat ein. Es gab sogar das Gerücht, Kern und Ex-Siemens-Chefin Brigitte Ederer hätten diese Gusenbauer-Vision, in der die Sozialdemokratie Anleihe beim Liberalismus nimmt, einst mit erfunden. Doch Kern hat das vor Kurzem in kleiner Runde bestritten: Gusenbauer habe hier die alleinige Urheberschaft.

Weltanschaulich sind sich die beiden – bei allen Unterschieden im sozialen Verhalten – nicht unähnlich. Eine hohe Meinung hat Kern auch vom ehemaligen Finanzminister Ferdinand Lacina, der 1993 die Vermögensteuer abgeschafft hat. Und von Langzeit-Kanzler Franz Vranitzky, den man einst einen „Nadelstreif-Sozialisten“ nannte. Nur Caspar Einem, ein Veteran des linken SPÖ-Flügels, passt eher nicht in diesen Beraterkreis. Auch ihn hat der Kanzler zum Gedankenaustausch eingeladen.

Noch ist Kern schwer einzuordnen, auch international. Manche sahen in ihm schon einen österreichischen Matteo Renzi, also jemanden, der den Arbeitsmarkt ohne Rücksicht auf die Gewerkschaften reformiert. Doch Kern ist hier anders. Er möchte alle einbinden, auch den ÖGB. In der ÖVP hätte man sich nach Reinhold Mitterlehners Sozialpartner-Kritik mehr Unterstützung vom Kanzler erwartet. Aber er will es sich – Gusenbauer lässt grüßen – nicht mit den Gewerkschaftern verscherzen.

Wie Renzi und andere Sozialdemokraten der jüngeren Generation sieht Kern den Staat in einer symbiotischen Beziehung mit der Privatwirtschaft. Die öffentliche Hand soll in Grundlagenforschung investieren. Deren Ergebnisse setzen Unternehmen dann in Markterfolge um. Wovon wiederum der Staat profitiert. Apples iPhone dient Kern hier regelmäßig als Beispiel.

Dabei war ihm der Markt nicht immer geheuer. Mit 18 gründete Kern in Simmering eine Bezirksgruppe der Alternativen Liste, einer Vorläuferin der Grünen mit marxistischen Zügen. Er habe damals „Berufsrevolutionär“ werden wollen, erzählt Kern gern. Nach der Lektüre von Che Guevaras Tagebüchern sei ihm dieses Leben jedoch zu entbehrungsreich erschienen. Als Student landete er schließlich bei den Sozialistischen Studenten (VSStÖ).

Als Tony Blair Anfang der Neunzigerjahre New Labour begründete, lernte auch Kern – mittlerweile SPÖ-Mitarbeiter – „den Wert der Pragmatik“ kennen, wie es Ex-Klubobmann Peter Kostelka, Kerns langjähriger Chef, im „Standard“ formulierte. Das deckt sich mit dem, was andere Weggefährten über den Kanzler sagen. Wirtschaftspolitisch sei er weniger Ideologe. Aber in Verteilungsfragen stehe er „links der Mitte“.

So ärgert Kern, dass internationale Konzerne wie Google so wenig Steuern zahlen. Und sein Befund, wonach es heute leichter sei, ein Vermögen zu halten als zu erwirtschaften, lässt sich auch als programmatische Ansage verstehen. Die Maschinensteuer, meinen Kern-Kenner, sei nur der erste Teil gewesen. Weitere Forderungen aus der „Mottenkiste sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik“ dürften folgen. Eine Erbschaftssteuer etwa. Und andere Formen der Vermögensbesteuerung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2016)

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