"Mitterlehner hat größtmöglichen Schaden angerichtet"

APA/GEORG HOCHMUTH
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Nach dem Rücktritt des Vizekanzlers rechnen Politologen mit raschen Neuwahlen im September oder Oktober. Sollte Sebastian Kurz nicht übernehmen, werde das "wahrscheinlich eher als Feigheit ausgelegt".

Meinungsforscher und Politikexperten sehen Österreich nach der jüngsten Regierungskrise und dem Rücktritt von Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner auf Neuwahlen zusteuern (die theoretisch schon im August möglich wären). "Mitterlehner tritt zurück. Das heißt automatisch Neuwahlen. Alles andere ist undenkbar", sagte OGM-Chef Wolfgang Bachmayer am Donnerstag. Auch der Politikberater Thomas Hofer hält dies für ein mögliches Szenario.

Laut Bachmayer muss Außenminister und ÖVP-Hoffnung Sebastian Kurz nun den Parteiobmann machen (schon mehrere Landeschefs haben angekündigt, dass der 30-Jährige "die erste Adresse" ist). "Eine solche Gelegenheit einer Machtfülle eines ÖVP-Obmannes gab es selten. Kurz ist in der Situation, wo er den als schwierig bekannten Parteigranden die Bedingungen diktieren kann, bis hin zur Gestaltung der Nationalratswahlliste." Bachmayer geht davon aus, dass Kurz Interesse an einem kurzen Wahlkampf hat. "Je länger es dauert, desto mehr Gefahren könnten entstehen. Ich rechne mit einer schnellen Entscheidung und einem raschen Neuwahltermin im September oder Oktober."

"Länder fürchten Abstrafung wie Teufel das Weihwasser" 

Die Bundesländer, die kommendes Jahr wählen (zwischen März und Mai rufen Kärnten, Niederösterreich, Salzburg und Tirol zu Urnengängen auf), wollten dies ebenfalls. "Die fürchten wie der Teufel das Weihwasser, dass sie für dieses entsetzliche Bild der Regierung abgestraft werden." Und auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) müsse letztlich an Wahlen vor den Landtagswahlen im Frühjahr 2018 interessiert sein. Das zu erwartende schlechte Abschneiden der SPÖ bei den Landtagswahlen würde dem Parteichef nämlich den schlechten Zustand der SPÖ bescheinigen.

Fahrplan zum neuen ÖVP-Chef

Am Sonntagabend soll der ÖVP-Bundesparteivorstand über einen neuen, interimistischen Parteichef abstimmen. Der Bundesparteitag wird dann innerhalb von drei Monaten vom Generalsekretär einberufen, bei dem der neue Parteichef gewählt wird. Im Zuge der Vorbereitungen für den Bundesparteitag entscheidet sich der neue Obmann dann auch für seine Stellvertreter. Diese werden nicht bereits am Sonntag im Vorstand bestimmt.

Der OGM-Chef schenkt dem Kern-Angebot einer "Reformpartnerschaft" mit der ÖVP und mit Kurz deshalb nicht wirklich Glauben (auch innerhalb der Volkspartei wird das kritisch gesehen, Generalsekretär Werner Amon nannte es am Donnerstag gleich mehrmals "unglaubwürdig"). "Das muss er sagen, weil jetzt beginnt der Kampf um den Schwarzen Neuwahl-Peter. Kern wird sich hüten zu sagen, dass er mit seiner Kommunikations- und Inszenierungspolitik auf Wahlen hinarbeitet. Er ist ja schon im Wahlkampf. Er muss nur noch aufs Gas steigen. Auch Kern hat ein vitales Interesse an Wahlen."

Durch den Fokus auf Kern und Kurz müsse sich die FPÖ laut Bachmayer eine Neupositionierung überlegen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache könnte - ähnlich wie Norbert Hofer im Bundespräsidentschaftswahlkampf - als der "nette Blaue von nebenan" auftreten.

Kein Parteichef Kurz? "Könnte als Feigheit ausgelegt werden"

Auch der Politikberater Thomas Hofer hält baldige Neuwahlen für ein realistisches Szenario. Alle anderen Varianten wären für Kurz im Falle einer Übernahme der ÖVP "nicht besonders prickelnd". Wenn er als ÖVP-Obmann und Vizekanzler die Regierung mit Kanzler Kern weiterführt, bringe ihn das "in keine gute Position". Sollte vorübergehend ein anderer ÖVP-Politiker den Posten des Vizekanzlers übernehmen, würde ihm das "wahrscheinlich eher als Feigheit ausgelegt". Bleibe die Variante "lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende". Für Hofer eine durchaus "gangbare Geschichte". Dafür brauche er aber entsprechende Kompetenzen und das Pouvoir seiner Partei. "Die eigene Partei ist es, was er zuerst zu überwinden hat, dann die Frage, ob es Sinn macht, in der Regierung weiterzuwursteln."

>>> Mitterlehners Rücktrittsrede im Wortlaut

Den Rücktritt Mitterlehners beurteilte Hofer als Schlag für die ÖVP. "Mitterlehner hat den größtmöglichen Schaden für sich und seine Partei angerichtet." Mit der Aussage, dass die Spitzen der Partei und auch sein präsumtiver Nachfolger schon monatelang wüssten, dass er nicht als Spitzenkandidat der ÖVP in eine Wahl gezogen wäre und er nicht Platzhalter auf Abruf sein wolle, bis irgendjemand Zeitpunkt, Struktur oder Konditionen festlegt, habe Mitterlehner eine "klare Zuweisung der Brutus-Rolle" vorgenommen. Der Erwartungsdruck auf Kurz sei nun jedenfalls "immens hoch".

(APA/Red.)

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