Kern akzeptiert Brandstetter als Vizekanzler und kündigt freies Spiel der Kräfte an

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Kurz, Brandstetter, Kern (c) APA (ROBERT JAEGER)
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Die SPÖ will bis zur Neuwahl am 15. Oktober politische Entscheidungen in den Nationalrat verlagern: "Jetzt wird eine Phase des lebendigen Parlamentarismus beginnen." Die ÖVP will die SPÖ hingegen nicht überstimmen.

SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern akzeptiert ÖVP-Justizminister Wolfgang Brandstetter als neuen Vizekanzler. Das erklärte er am Dienstag im Nationalrat. Die Gesetzesarbeit will er aber bis zu den Neuwahlen am 15. Oktober ins Parlament verlagern. "Jetzt wird eine Phase des lebendigen Parlamentarismus beginnen", sagte Kern. Daher sei es nun auch nachrangig, wer Vizekanzler ist.

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Der designierte ÖVP-Chef Sebastian Kurz hatte zuvor die von Kern geforderte Übernahme des Vizekanzler-Postens erneut abgelehnt und Brandstetter für diesen Posten vorgeschlagen. Kern drohte daraufhin mit einem freien Spiel der Kräfte im Parlament - das er nun tatsächlich einleiten will.

Die SPÖ werde bereits vereinbarte Regierungsvorlagen Punkt für Punkt im Parlament einbringen, sagte Kern im Nationalrat. Dabei dürfe es aber keine übermäßigen Belastungen des Staatshaushalts geben. Als zentrale Punkte, die er umsetzen will, nannte Kern unter anderem die Aktion 20.000 für ältere Arbeitslose und eine Initiative für den Mindestlohn. Die ÖVP bleibe dabei der erste Ansprechpartner.

Kern kritisierte Kurz' Weigerung, Vizekanzler zu werden, scharf: Verantwortung sei nicht nur zu übernehmen, "wenn die Sonne scheint", sondern auch, wenn es einem nicht zum persönlichen Vorteil gereiche. Um Beschlüsse durchzusetzen, müssten die Parteichefs am Tisch sitzen. Er warf der ÖVP ein "unglaubwürdiges Angebot" vor, wenn sie die Koalition aufkündige und sage, sie wolle weiterarbeiten. 

Kurz will SPÖ weiter nicht überstimmen

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Als Kurz ans Rednerpult trat, wurde es turbulent. Zweimal musste der Dritte Nationalratspräsident Norbert Hofer (FPÖ) die Abgeordneten darum bitten, "den Minister ausreden zu lassen". Der Außenminister erklärte, er fühle sich anders als Kern noch an das Regierungsabkommen gebunden und wolle die SPÖ im Nationalrat nicht überstimmen. Allerdings: Wenn die SPÖ anders agiere, schaue die Situation anders aus, ergänzte Kurz später.

Bis zur Neuwahl will Kurz jedenfalls noch Punkte aus dem Regierungsprogramm abarbeiten. Brandstetter als Vizekanzler "ist ein Garant, dass man zusammenarbeiten kann, da er noch in keinen einzigen Streit verwickelt war".

Kurz betonte, es sei sinnvoll, einen lebendigen Parlamentarismus zu haben. Die Monate bis zur Wahl sollten trotzdem geordnet und "würdevoll" ablaufen. Er halte nichts davon, Porzellan zu zerschlagen - und vielleicht werde es dann auch noch teuer, so der designierte ÖVP-Chef mit Blick auf die Situation vor der Wahl 2008, wo beim freien Spiel der Kräfte zahlreiche kostenintensive Maßnahmen beschlossen wurden.

Gleichzeitig rechtfertigte Kurz seine Entscheidung für Neuwahlen. In den vergangenen Monaten habe "Dauerwahlkampf" geherrscht und es seien nur Minimalkompromisse erzielt worden. Gratulationen hatte der Minister für die Opposition: Dass sich diese so rasch auf einen Termin für die Wahl geeinigt habe, sei ein "Stärkezeichen". Jetzt müsse man es nur noch zusammenbringen, dass der Wahlkampf kurz, intensiv und fair verlaufe.

Brandstetter schlägt Projekte für Ministerrat vor

Brandstetter ignoriert fürs erste Kerns Ankündigung, die inhaltliche Regierungsarbeit zu beenden. Stattdessen schlug der designierte Vizekanzler vor, im kommenden Ministerrat drei Punkte zu erledigen, die ausverhandelt seien, nämlich Erhöhung der Forschungsprämie, Studienbeihilfe-Reform sowie Anhebung der Frauenquote in Aufsichtsräten.

Brandstetter empfahl im Nationalrat, die Emotionen hintan zu halten. Dann könne man bis zur Wahl noch so manches umsetzen: "So viele Dinge sind so gut wie fertig."

Opposition rechnet mit Regierung ab

Kritik an beiden Regierungsparteien kam von der Opposition. Die Regierung betreibe "taktische Spielchen auf Kosten der österreichischen Bevölkerung", sagte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Kern, der als "Wunderwuzzi" angepriesen worden war, sei bereits entzaubert worden. Kurz weigere sich, als Vizekanzler Verantwortung zu übernehmen. Abschließend prophezeite Strache: "Bei Kern hat es zwölf Monate gedauert, bis der Lack ab war - aber glauben Sie mir, Herr Kurz, bei Ihnen wird es keine zwölf Monate dauern." Die FPÖ hat für die heutige Sitzung einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung angekündigt.

Auch Grünen-Chefin Eva Glawischnig kritisierte das derzeitige "Wadlbeißen" in der Regierung: "Wir sind eigentlich Angestellte der Bevölkerung und werden für Arbeit bezahlt, und nicht für diese Dauerstreitigkeiten." Eine Gruppe in der ÖVP um Klubchef Reinhold Lopatka und Innenminister Wolfgang Sobotka habe in den letzten Monaten "gezündelt", bis Reinhold Mitterlehner der eigenen Partei das Handtuch hingeworfen habe. Das nächste Ziel dieser Gruppe sei eine Neuwahl im September gewesen - das habe die Opposition zum Glück verhindert, denn dadurch wäre auch der Eurofighter-U-Ausschuss beendet worden.

Neos: "Regierung nie in die Kraft gekommen" 

Die Neos seien jeden Tag für konstruktive Arbeit bereit, betonte Klubobmann Matthias Strolz. Die Regierung sei "nie in die Kraft gekommen" und habe das nun selbst erkannt. Und sie habe nicht einmal die Kraft gehabt, ihr Chaos selbst aufzuräumen. Sollte es bei dem Gespräch mit Kern am Nachmittag keine Einigung auf einen Neuwahltermin und die Weiterarbeit des Eurofighter-U-Ausschusses geben, dann solle "in einer nächsten Eskalationsstufe" Bundespräsident Alexander Van der Bellen die sechs Parteichefs einladen und zu einer Einigung zwingen. Erneut forderte Strolz einen "Pakt der Verantwortung". Inhaltlich wünscht er sich die Abschaffung der kalten Progression und die Umsetzung der Bildungsreform. Die Gewerbeordnung will er "zurück an den Start schicken".

Team Stronach-Klubobmann Robert Lugar zeigte "großes Verständnis" für Kerns Vorgehen. "Sie sind mit einer Person konfrontiert, die man vergleichen könnte mit einem Frank Underwood der österreichischen Innenpolitik", spielte er auf die Serie "House of Cards" an, in der es um das politische Intrigenspinnen gehe. Allerdings: Der Plan A von Kern sei letztlich auch ein Akt politischer Erpressung gewesen. Lugars Fazit: Nun werde das Parlament endlich wieder richtig eingesetzt: "Es wird Gesetze erlassen und die Regierung hat sie dann umzusetzen."

(kron/hell)

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