Lunacek, Kurz und die Balkanroute - ein Faktencheck

Macedonian Interior Minister Cavkov walks next to Austrian Foreign Minister Kurz at the Greek-Macedonian border line, near Gevgelija, in Macedonia
Macedonian Interior Minister Cavkov walks next to Austrian Foreign Minister Kurz at the Greek-Macedonian border line, near Gevgelija, in Macedonia(c) REUTERS (Ognen Teofilovski)
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Ulrike Lunacek kritisiert die Schließung der Balkanroute, vor allem das Agieren von Sebastian Kurz. War diese Aktion wirklich alternativlos? Und hat es aus heutiger Sicht funktioniert?

Wien. In Österreich und anderen Staaten Europas war spätestens nach der Silvesternacht 2015/16 in Köln der Glaube an eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise geschwunden. Weder Hotspots noch Flüchtlingsquoten funktionierten. Und die Verhandlungen über ein Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zogen sich hin. Der Druck der Öffentlichkeit stieg. Der Status quo war nicht länger aufrechtzuerhalten. Auch in den Wintermonaten passierten täglich Tausende Flüchtlinge die Grenzen.

Die österreichische Regierung wollte – ebenso wie die slowenische – nicht mehr länger warten. Am 20. Jänner 2016 führte die Große Koalition in Wien Obergrenzen für Asylwerber ein. Das zog nervöse Reaktionen südlich von Österreich nach sich. Entlang der Balkanroute fürchteten alle Länder, mit den Flüchtlingen alleingelassen zu werden, wenn weiter nördlich die Grenzen dicht gemacht werden. Es entstand eine Art Dominoeffekt, an dessen Ende die Schließung der gesamten Balkanroute stand.

Ulrike Lunacek, die Spitzenkandidatin der Grünen für die Nationalratswahl, kritisierte dies nun im Interview mit der „Presse am Sonntag“ als „nicht sinnvoll“. Vor allem die Form, in der das geschehen sei, ohne Einbindung von Deutschland und Griechenland. Mit ihrer Einschätzung lehnt sich Lunacek an die deutsche Kanzlerin an. Auch Angela Merkel geißelte die Schließung der Balkanroute.
Den offiziellen Startschuss für die Eindämmung des Flüchtlingsstroms hatten die Innen- und Außenminister Sloweniens, Kroatiens, Serbiens, Mazedoniens sowie Bulgariens, Kosovos, Albaniens, Montenegros und Bosniens am 26. Februar 2016 bei einer Konferenz in Wien gegeben – auf Einladung von Außenminister Sebastian Kurz und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Sie segneten damals im Prinzip ein Maßnahmenpaket ab, auf das sich die Polizeichefs Österreichs, Sloweniens, Kroatiens, Serbiens und Mazedoniens sechs Tage zuvor in Zagreb verständigt hatten.
Afghanische Flüchtlinge konnten danach nicht mehr die mazedonische Grenze passieren. Syrer und Iraker mussten wenig später nachweisen, dass sie aus Kriegsgebieten kamen. Zudem führten die mazedonischen Grenzwächter Tageskontingente ein, wie das freilich als Erste schon die deutschen Behörden im Herbst 2015 an der österreichischen Grenze versucht hatten. Auf griechischer Seite der Grenze zu Mazedonien, in Idomeni, begann es sich binnen weniger Tage nach dem Treffen der Polizeichefs in Zagreb zu stauen.

Ohne Deutsche und Griechen

Griechenland und Deutschland waren nicht zur Westbalkan-Konferenz in Wien eingeladen. Athen zog deshalb sogar seine Botschafterin ab. Außenminister Sebastian Kurz nahm den Eklat bewusst in Kauf. Denn er wusste: Mit den Griechen und Deutschen am Tisch hätte er keine Einigung erzielt.

Griechenland hatte Angst, zum Auffanglager für Zehntausende gestrandete Flüchtlinge zu werden. Und Angela Merkel forcierte damals das EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Auf dem Spiel stand auch ihre Glaubwürdigkeit. Denn die Kanzlerin hatte den Griechen versprochen, die Grenzen zumindest bis zum EU-Gipfel am 7. März 2016 offenzuhalten.
Tatsächlich fiel der mazedonische Grenzbalken erst am 9. März ganz herunter. In der Gipfelerklärung hieß es: „Bei den irregulären Migrationsströmen entlang der Westbalkanroute ist nun das Ende erreicht.“ Kurz fühlte sich bestätigt, Merkel hatte ein letztes diplomatisches Rückzugsgefecht gewonnen. Denn im Entwurf für das Abschlussdokument hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk noch deutlichere Worte gefunden. „Die Route ist jetzt geschlossen.“ Deutschland war zu diesem Zeitpunkt isoliert in der Flüchtlingsfrage, ausgebremst vom anfänglichen Verbündeten Österreich.

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