Der EU-Spagat der FPÖ

Heinz-Christian Strache.
Heinz-Christian Strache.(c) APA/FOTOKERSCHI.AT/WERNER KERSCHBAUM
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In einer Studie wurden alle EU-Reden von FPÖ-Chef Strache analysiert. Die FPÖ wettert einerseits gegen Brüssel, will aber andererseits jene Wähler, die sich vor dem Bruch mit Europa fürchten, nicht vor den Kopf stoßen.

Wien. Wie europafeindlich ist die FPÖ wirklich? Aus der Perspektive eines flüchtigen Betrachters könnte man meinen, dass die Freiheitlichen die Europäische Union in Bausch und Bogen ablehnen und damit Parteien wie dem Front National (FN) in Frankreich oder der Freiheitspartei (PVV) in den Niederlanden um nichts nachstehen. Doch anders als FN-Chefin Marine Le Pen, PVV-Anführer Geert Wilders oder Beppe Grillo, das Aushängeschild der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, hat sich der FPÖ-Vorsitzende, Heinz-Christian Strache, nie dezidiert für einen Austritt Österreichs aus der Eurozone ausgesprochen – was die EU-Kritik der Freiheitlichen, die im Europaparlament derselben Fraktion wie die französischen und niederländischen Populisten angehören, zunächst einmal in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Diese europapolitische Gretchenfrage, die angesichts der bevorstehenden Nationalratswahl Klärungsbedarf erzeugt, hat die Wissenschaft auf den Plan gerufen – konkret Reinhard Heinisch, der an der Universität Salzburg für den Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie verantwortlich ist. In einer grenzüberschreitenden Studie, an der Forscher von der Griffith University in Brisbane beteiligt waren, hat Heinisch alle öffentlichen und die EU betreffenden Reden von Strache in den vergangenen vier Jahren ausgewertet – untersucht wurden insgesamt 549 Stellungnahmen. Das vorläufige Ergebnis der Studie, die vor wenigen Wochen bei einer Konferenz in den USA vorgestellt, aber noch nicht veröffentlicht wurde: Was die Intensität der Kritik anbelangt, unterscheidet sich die FPÖ kaum von ihren offen EU-feindlichen Fraktionskollegen im Europaparlament. Demnach waren 91,6 Prozent aller Statements zu Europa, die FPÖ-Chef Strache im Zeitraum von 2013 bis 2017 getätigt hat, eindeutig negativer Natur. „Das Ausmaß der Europaskepsis hat mich doch überrascht“, sagte Studienautor Heinisch zur „Presse“.

Ruf nach unrealistischer Reform

Im Vergleich zu Le Pen oder Wilders gibt es gemäß Heinisch bei der FPÖ allerdings einen zentralen Unterschied: Auf eine typische Tirade gegen korrupte und demokratiefeindliche Eurokraten folge bei Strache stets der Stehsatz „. . . aber aus der EU austreten wollen wir nicht“. Auch sei der Austritt aus EU und Eurozone nicht als Ziel im Parteiprogramm der FPÖ festgeschrieben. Stattdessen gebe es die Forderung nach einer grundlegenden „Reform“ der Union.

Die Krux: „Für diese Reformen stellt die FPÖ Forderungen auf, die die EU, wie wir sie kennen, entweder komplett rückabwickeln würden oder die durch ihre Widersprüchlichkeit nicht praktikabel wären“, sagt Heinisch – etwa, wenn einerseits die Schaffung einer gemeinsamen Europaarmee bei gleichzeitiger Rückführung zentraler EU-Kompetenzen auf nationale Ebene gefordert werde. Diese Sowohl-als-auch-Position wirkt paradox, ist aber den gesellschaftspolitischen Zwängen geschuldet. In Umfragen bewegt sich der Anteil der Österreicher, die sich für einen Bruch mit der EU begeistern ließen, bei nicht mehr als einem Viertel. Und seit dem „Revolutionsjahr“ 2016, in dem die Briten für den EU-Austritt gestimmt haben und Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt wurde, hat sich die Zustimmung zur EU erhöht. In der jüngsten, Ende 2016 publizierten Eurobarometer-Umfrage der EU-Kommission gaben 35 Prozent der Befragten in Österreich an, die EU rufe bei ihnen ein negatives Bild hervor – 2015 waren es noch 41 Prozent.

Erklärtes Ziel der FPÖ bei der kommenden Nationalratswahl ist es, deutlich besser abzuschneiden als im Jahr 2013 – damals haben 20,5 Prozent für die Freiheitlichen votiert. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Strache und Co. allerdings eine wesentlich größere Wählerschaft als die überzeugten Europagegner ansprechen. Für Heinisch hat die aktuelle europapolitische Positionierung der FPÖ den Vorteil, antieuropäischer als SPÖ und ÖVP zu sein – „aber nicht so sehr, dass man radikal oder extrem wirkt“.

In diese Falle ist bei der französischen Präsidentenwahl FN-Chefin Le Pen getappt: Ihre aggressive Ablehnung des Euro verschreckte viele Franzosen, die um den Wert ihrer Ersparnisse im Fall einer Wiedereinführung des Franc fürchteten. Bei der Stichwahl gegen Emmanuel Macron Anfang Mai blieb Le Pen mit 33,9 Prozent der Stimmen deutlich hinter den Erwartungen zurück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2017)

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