Nationalrat: Die Angst vor 15 wilden Abgeordneten geht um

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Immer mehr freie Mandate im Hohen Haus: Die Auflösungstendenzen in manchem Klub machen Abstimmungen vor der Wahl zum Lotteriespiel.

Wien. Alles läuft in geordneten Bahnen im Parlament. Das gilt allerdings nur für die Übersiedlung vor der Generalsanierung des Theophil-Hansen-Baus am Ring in die Redoutensäle, in die Wiener Hofburg und in die Pavillons auf dem Heldenplatz. Heute, Freitag, soll die Übersiedlung ein paar Tage vor der von Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) publik gemachten Frist am 15. August abgeschlossen werden.

Was die Klubs und die politischen Stärkeverhältnisse betrifft, geht es hingegen im Hohen Haus gut zwei Monate vor der Nationalratswahl drunter und drüber. Nach dem Stand vom Donnerstag gehören 15 (siehe dazu Grafik) der 183 Abgeordneten keinem Klub an, so viele wie noch nie in der Zweiten Republik. Möglich, dass es ab heute, Freitag, 14 sein werden, da sich Meldungen verdichtet haben, dass Robert Lugar zur FPÖ wechselt. Niemand traut sich zu wetten, ob nicht der eine oder andere Nationalratsabgeordnete kurzfristig vor der Wahl am 15. Oktober noch die Fronten wechselt. In Parteien wie FPÖ oder ÖVP stehen die Entscheidungen über die Kandidatenlisten auf Bundesebene erst aus, teilweise auch auf Landesebene.

Während die Wähler aufpassen müssen, nicht den Überblick über die Vertreter im Hohen Haus zu verlieren, wächst dort die Sorge. Schon jetzt schaut man vor allem in den beiden Fraktionen der Nochkoalitionspartner SPÖ und ÖVP mit Kummerfalten der ersten regulären Sitzung des Nationalrats am 20. September entgegen. Denn während sich bisher in den meisten Fällen die Mandatare einer Fraktion bei Abstimmungen an den Klubzwang gehalten haben, sind mit nunmehr 15 wilden Abgeordneten die Mehrheitsverhältnisse viel unberechenbarer.

Beide Regierungsparteien stellen vorerst 51Abgeordnete, mit 37FPÖ-Mandataren wären das in beiden Fällen jeweils 88 Stimmen. Damit fehlen nur noch fünf Stimmen für einen Beschluss mit einfacher Mehrheit. Für die reguläre Sitzung am 20. September ist vorerst der Bericht des parlamentarischen Eurofighter-Untersuchungsausschusses einziger Fixpunkt.

Auge auf Abgeordnete der Liste Pilz

Deswegen steigt im Hohen Haus die Angst, dass es ähnlich wie vor der Nationalratswahl im September 2008 kurzfristig zum Beschluss sogenannter Wahlzuckerln kommt. Zumindest ein Teil der 15 wilden Abgeordneten könnte jedes Interesse haben, bei der Bevölkerung populäre, aber teure Vergünstigungen zu beschließen.

Im Auge hat man dabei bei sozialpolitischen Anliegen wie der Pensionserhöhung für 2017 nicht zuletzt die vier Vertreter der Liste Pilz, den Ex-Grünen und Namensgeber selbst, seine ehemaligen grünen Klubkollegen Bruno Rossmann und Wolfgang Zinggl sowie die frühere SPÖ-Parlamentarierin Daniela Holzinger-Vogtenhuber. Soll die Erhöhung der Pensionen höher als die laut Gesetz errechnete Anhebung von voraussichtlich 1,6Prozent ausfallen, ist dafür ein eigener Parlamentsbeschluss notwendig.

Weiters liegen beispielsweise in beiden Koalitionsparteien Steuerpläne für die Abgeltung der kalten Progression. Diese hat zur Folge, dass Arbeitnehmer jährlich automatisch durch Lohnerhöhungen in höhere Steuerstufen rutschen. Die SPÖ strebt an, dass vor allem Bezieher niedriger Einkommen profitieren, die ÖVP möchte, dass alle in den Genuss der Neuregelung kommen. Erst diese Woche hat es aus dem schwarzen Arbeiter- und Angestelltenbund in Oberösterreich wieder den Wunsch gegeben, der kalten Progression ein Ende zu bereiten.

2008 betrugen die Mehrkosten der Beschlüsse einer Parlamentsnacht rund drei Milliarden Euro. Vor der Sommerpause des Parlaments ist die SPÖ schon einmal fremdgegangen und hat den Nochkoalitionspartner ÖVP bei der Erhöhung der Universitätsbudgets überstimmt.

Mit dem Abgang von Pilz und zwei weiteren Mandataren von den Grünen hat sich die Sachlage allerdings auch für die Einberufung etwaiger Sondersitzungen des Nationalrats im Lauf der Sommerpause für die Oppositionsparteien geändert.

Einschränkung für FPÖ und Grüne

Die parlamentarischen Möglichkeiten sind geringer geworden. Denn die Grünen um Klubobmann Albert Steinhauser bringen nach Schrumpfen der Fraktion auf 21 Mandatare mit der FPÖ nicht mehr die nötigen Stimmen zusammen, um eine Sondersitzung einzuberufen.

Nach dem Verlust des Klubstatus für das Team Stronach, von dem sich Klubchef Robert Lugar und Martina Schenk verabschiedet haben, sind noch vier Abgeordnete ohne Klub verblieben. Nach Informationen der „Presse“ ist der oberösterreichische Stronach-Mandatar Leo Steinbichler bemüht, doch wieder einen fünften Abgeordneten zu finden, um den Klubstatus und damit auch öffentliche Förderungen zurückzuholen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2017)

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