Der Integrationspessimismus steigt

(c) Clemens Fabry
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Rund 22 Prozent der Menschen in Österreich haben Migrationshintergrund. Die Zuwanderung ist laut dem Integrationsbericht zwar gesunken. Sie bleibt aber auf hohem Niveau.

Wien. Der Zeitpunkt ist heikel. Gestern, mitten im Wahlkampf, wurde der gewohnt brisante neue Integrationsbericht von Integrationsminister Sebastian Kurz (ÖVP) vorgestellt. Denn, so die Rechtfertigung Heinz Faßmanns, des Vorsitzenden des Expertenrats: „Sachinformationen in Zeiten politischer Oberflächlichkeit können nicht schaden. Und vor einer politischen Beeinflussung in die eine oder andere Richtung ist man sowieso nicht gefeit.“ Dann wurden die Zahlen präsentiert und mit politischen Statements garniert.

1. In Österreich haben 1,9 Millionen Menschen Migrationshintergrund.

Insgesamt haben von den rund 8,6 Millionen Menschen, die in Österreich leben, fast 1,9 Millionen einen Migrationshintergrund. Das sind 22 Prozent. Der Großteil davon, nämlich 1,4 Millionen, ist im Ausland geboren und im Laufe des Lebens nach Österreich gezogen. Die restlichen 483.000 Menschen leben hier in zweiter Generation. Es sind also beide Elternteile im Ausland geboren.

2. Die Zuwanderung ist gesunken. Die Asylanträge haben sich halbiert.

„Die Phase einer anhaltenden Zuwanderung ist nicht beendet“, sagt Faßmann. Sie ist zwar deutlich gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau. Im Rekordjahr 2015 sind noch 214.000 Personen zugezogen. Ein Jahr später waren es nur noch 174.000. Damit hat man 2016 das Niveau von 2014 wieder erreicht. Der Rückgang lässt sich zu einem Gutteil durch die Halbierung der Asylanträge erklären. Außerdem ist die Zahl der Zuwanderer aus anderen EU-Staaten (wie Rumänien und Bulgarien) zurückgegangen.

3. Die Zuwanderung bleibt hoch. Es ist die vierthöchste seit den 1960ern.

Nicht alle Zuwanderer bleiben. Insofern ist das Wanderungssaldo – also die Zuzüge minus Abzüge – interessant. Im Jahr 2015 gab es noch ein Plus von 113.067 Personen. 2016 lag es nur noch bei rund 65.000. Doch auch das sei, wie es Kurz ausdrückt, „sehr hoch“. Diese Nettozuwanderung sei nämlich die vierthöchste seit den 1960er-Jahren. Im Schnitt, rechnet auch Faßmann vor, lag die Nettozuwanderung der vergangenen zwei Jahre bei fast 180.000 Menschen. Das seien 90.000 pro Jahr und damit fast ein Prozent der Bevölkerung. Das klinge nicht viel. Auf fünf Jahre hochgerechnet seien das 450.000 Zuwanderer. „Da sind wir schon ganz nah an der Einwohnerzahl von Kärnten“, so Faßmann. Das sei ein Problem für die Integration. Minister Kurz gab deshalb einmal mehr als Ziel die „massive Reduktion der Migration“ aus.

4. Die Erwerbstätigkeitsquote ist unter Zuwanderern niedrig.

Mittlerweile brauche man sich, so Faßmann, „nicht mehr auf anekdotische Einzelevidenzen, wonach im Zuge der Flüchtlingswanderung nur hoch Qualifizierte oder nur Analphabeten gekommen sind“, zu verlassen. Es gibt Zahlen. Die zeigen, dass die Mehrheit der Geflüchteten eine abgeschlossene schulische und berufliche Qualifikation mitbringt. Das treffe vor allem auf Syrer und Iraker zu, weniger auf Afghanen. Mit der Zuwanderung ist jedenfalls auch die Zahl der Erwerbstätigen gestiegen. Das ist aber noch nicht genug für einen positiven Befund. Denn generell ist die Erwerbstätigenquote von Personen mit Migrationshintergrund deutlich niedriger als jene von Menschen ohne diesen (63 versus 74 Prozent). Problematisch ist die Situation bei Frauen. Während 71 Prozent der Frauen ohne Migrationshintergrund erwerbstätig sind, sind es bei Frauen mit Migrationshintergergrund 58 Prozent. „Mit Sorge“ seien vor allem Türkinnen zu betrachten. Hier sind nur 42 Prozent erwerbstätig.

5. Die Flüchtlingsintegration kostet acht bis zwölf Milliarden Euro.

Positive ökonomische Effekte wird die Flüchtlingskrise laut Expertenrat erst dann haben, wenn die Asylberechtigten im Arbeitsmarkt integriert sind. Auch deshalb gebe es, so Kurz, „keine Alternative zur Integration“. Er geht von „enormen Kosten“ der Flüchtlingskrise aus und verwies auf Studien, die zeigen, dass im Zeitraum von 2015 bis 2019 acht bis zwölf Milliarden an Zusatzkosten entstehen.

6. Hälfte der Österreicher beurteilt die Integration als (eher) schlecht.

Das ständig präsente Flüchtlingsthema macht sich auch im Integrationsklima bemerkbar. „Integrationspessimismus macht sich leider wieder breit“, sagt Faßmann. Die Bevölkerung wird skeptischer. Und zwar deutlich. Die Zustimmung zur Frage, ob Integration in Österreich eher oder sehr gut funktioniert, ist gegenüber dem Vorjahr um fast 12 Prozentpunkte gesunken. Laut Bericht beurteilt fast die Hälfte der befragten Österreicher die Integration als „eher schlecht“ und 16 Prozent als „sehr schlecht“.

7. Bei Türken hat ein „Entfremdungsprozess“ eingesetzt.

Aus Sicht der Zugewanderten hat sich das Integrationsklima nicht verschlechtert. Allerdings hat bei türkischen Zuwanderern ein „Entfremdungsprozess“ eingesetzt. Während weniger als zehn Prozent der Befragten mit einem bosnischen, kroatischen oder serbischen Hintergrund mit der Art und Weise des Lebens in Österreich nicht einverstanden sind, ist es bei jenen mit türkischem Hintergrund ein Drittel. Damit hat sich die Ablehnung in dieser Gruppe – und nur in dieser – um 16 Prozentpunkte verstärkt. Sie fühlen sich der Türkei auch auffällig verbunden. 57 Prozent steht dieses Land näher als Österreich. Bei den Personen aus Ex-Jugoslawien sind es 31 Prozent.
All diese Daten sind (in Wahlkampfzeiten) auch Futter für die Opposition. Diese bemängelte vor allem Versäumnisse der Regierung – wie etwa zu wenig Deutsch- und Orientierungskurse.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2017)

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