Buchpräsentation: "Unreif im Umgang mit dem Islam"

Buchpräsentation: Buchherausgeber Erich Kocina, Politologe Farid Hafez, Religionspädagogin Amani Abuzahra, Soziologe Kenan Güngör, „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und Imam Ramazan Demir (v. l.).
Buchpräsentation: Buchherausgeber Erich Kocina, Politologe Farid Hafez, Religionspädagogin Amani Abuzahra, Soziologe Kenan Güngör, „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und Imam Ramazan Demir (v. l.).(c) Stanislav Jenis
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Mehr Mut, Probleme im Umgang mit dem Islam anzusprechen, fordert Soziologe Kenan Güngör. Ein Buch von "Presse"-Redakteuren soll eine Grundlage liefern.

Wien. Es gebe in Österreich eine große Unfähigkeit, Probleme mit dem Islam anzusprechen, glaubt der Soziologe Kenan Güngör. Gemünzt war seine Aussage auf eine Form der Religiosität, bei der es nicht um spirituellen Halt gehe. Immer öfter diene Religiosität vielmehr als „gruppenbezogener Abgrenzungsmechanismus“ („Wir sind Muslime, ihr nicht“), gepaart mit autoritären Vorstellungen. Noch sei es in Österreich freilich bei Weitem nicht so wie in England, wo ganze Stadtteile in Händen von Muslimbrüdern oder Salafisten seien, mit „Strukturen, die in sich keine Pluralität erlauben“. Allerdings: „Wir müssen über diese Probleme reden. Und da orte ich eine große Unreife.“

Zumindest am Dienstagabend wurde darüber gesprochen – bei der Präsentation des Buchs, das „Presse“-Chefredakteur Rainer Nowak und der stv. Chronik-Chef Erich Kocina zum Thema herausgegeben haben – von Justiz und Politik bis zu Wirtschaft und Gesellschaft haben „Presse“-Redakteure verschiedenste Bereiche in Hinblick auf den Islam beleuchtet. Um Fakten in eine Diskussion zu bringen, die, wie Kocina meint, „bislang sehr von Bauchgefühl dominiert ist“.

„Gehört der Islam zu Österreich?“ fragt der Buchtitel bewusst provokant. Zumindest als Titel sei die Frage legitim („es macht neugierig“), meinte die Religionspädagogin Amani Abuzahra bei der Diskussion im Wiener Grillparzerhaus, wenngleich der Islam „kein monolithischer Block“ sei. „Je tiefer man blickt, desto komplexer wird es.“ Und ja, die Frage könne auch auf die Nerven gehen. „Weil viele Muslime hier leben, arbeiten, Steuern zahlen und angekommen sind.“ Auf der anderen Seite werfe die Debatte Fragen zu gelebter Religion auf, „die viele Österreicher schon für geklärt gehalten haben“.

Ganz ähnlich erklärt der Soziologe Güngör einen Teil der kulturellen Reibungen. In westlichen Gesellschaften sei es in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Säkularisierung gekommen, die Religiosität – wohlgemerkt nicht die Spiritualität – habe massiv abgenommen, was als Errungenschaft gefeiert werde. Dem gegenüber stünden Migranten aus muslimischen Ländern, in denen die Religiosität in den letzten 40, 50 Jahren eher zugenommen habe. „Es ist selbstverständlich, dass das auch in der Mitte der Gesellschaft Irritationen auslöst.“ Man empfinde es als „Regress, sich wieder mit Fragen der Religiosität befassen zu müssen“.

Gehört der Islam zu Österreich?
Gehört der Islam zu Österreich?(c) Molden

Gründe für die Furcht vor Muslimen

Sichtbar werde diese Religiosität natürlich am Kopftuch, das heute mehr Musliminnen tragen als früher. Wobei: „70 bis 80 Prozent der Musliminnen in Österreich tragen keines“, so Güngör. Geprägt werde das Bild des Islam in Österreich auch von Vertretern religiöser Institutionen, die in der Regel konservativer seien „als die breite Masse der Muslime, die in Österreich leben“. Daneben dürfe man den Islam in Österreich nicht nur aus lokaler Perspektive betrachten. Auch die Zunahme islamischer und islamistischer Strömungen im Nahen Osten habe Einfluss auf die Situation hier.

Dafür, dass sich Menschen vor Muslimen fürchten, gebe es viele Gründe, meint Imam und Gefängnisseelsorger Ramazan Demir. „Einer davon sind Muslime. Es gibt Muslime, die unislamisch handeln, die vergewaltigen und morden.“ Nur dürfe man den Islam nicht mit den Muslimen verwechseln, ebenso wenig wie Radikalität mit Religiosität. Für Genauigkeit in den Definitionen plädierte auch der Politikwissenschaftler und Islamophobieforscher Farid Hafez. In den Debatten gehe es „nicht um den Islam als Idee, sondern um ein Politikum, eine kulturelle Produktion und eine Projektion“. Studien zufolge hätten 90 Prozent der Befragten zu Muslimen ein klares (negatives) Bild im Kopf, „aber nur zehn bis 20 Prozent kennen Muslime persönlich“.

Zu den Sorgen mancher schildert Ramazan Demir eine Anekdote seines anatolischen Großvaters, der in Deutschland als Gastarbeiter gelebt hat. Erst seit die syrischen Flüchtlinge in der Türkei sind, gestand sein Großvater, habe er begriffen, „was die Deutschen in uns gesehen haben“. Man habe Angst, „um die eigene Arbeit, um seine Kinder“ – obwohl in diesem Fall alle Muslime seien. (red.).

Gehört der Islam zu Österreich?

Rainer Nowak, Erich Kocina (Hg.)
Molden Verlag
160 Seiten
19,90 €

http://diepresse.com/islambuch

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2017)

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