Bierlein: "Ich war nie bei einer politischen Partei"

Brigitte Bierlein wurde am Freitag vom Bundespräsidenten als Nachfolgerin Gerhart Holzingers angelobt.
Brigitte Bierlein wurde am Freitag vom Bundespräsidenten als Nachfolgerin Gerhart Holzingers angelobt.APA/GEORG HOCHMUTH
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Die neue Verfassungsgerichtshof-Präsidentin will sich keine Parteinähe nachsagen lassen. Und hält den Regierungsplan, dem Verwaltungsgerichtshof jede Zuständigkeit in Asylsachen zu entziehen, für "problematisch".

Die neue Verfassungsgerichtshof-Präsidentin Brigitte Bierlein hält den Regierungsplan, dem Verwaltungsgerichtshof (VwGH) jede Zuständigkeit in Asylsachen zu entziehen, für "problematisch". Angesichts des geplanten "Sicherheitspakets" pochte sie im APA-Interview auf "Verhältnismäßigkeit". In der Montag startenden Session ist eine Entscheidung über die NÖ-Mindestsicherung zu erwarten.

Dass sie am Dienstag Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter als Verfassungsrichter angelobt, sieht Bierlein dank seiner Expertise als "Bereicherung" für den Gerichtshof. Angesprochen auf Kritik, dass Brandstetter über Gesetze mit entscheiden werde, die er als Justizminister selbst auf den Weg gebracht hat, verwies Bierlein auf die Praxis: "Die Befangenheitsregeln werden sehr, sehr ernst genommen". Jedes VfGH-Mitglied, bei dem "auch nur im Entferntesten der Anschein einer Befangenheit entstehen könnte", nehme sich selbst aus dem Fall heraus.

"Ich war nie bei einer politischen Partei"

Bierlein selbst wurde am Freitag vom Bundespräsidenten als Nachfolgerin Gerhart Holzingers angelobt. Die zwei Jahre, die sie wegen der Altersgrenze für Verfassungsrichter im Amt sein wird, seien "gar keine so kurze Zeit", verwies Bierlein darauf, dass sie "immerhin acht Sessionen" lang Präsidentin sein wird. Parteinähe will sie sich nicht nachsagen lassen: "Ich war nie bei einer politischen Partei", betonte sie, darauf angesprochen, dass sie unter Schwarz-Blau 2003 Vize- und jetzt angeblich auf FPÖ-Wunsch Präsidentin wurde. "Unabhängigkeit ist für mich eine Selbstverständlichkeit", schon aus der früheren Karriere in der Strafgerichtsbarkeit.

Bei jedem VfGH-Mitglied beginne sofort die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit zu greifen - "und die Richter leben diese auch". Das sehe man in den Beratungen und Abstimmungen. "Die vorschlagenden Gremien würden sich mitunter über das Abstimmungsverhalten der von ihnen Nominierten wundern", merkte Bierlein an. Für Verfassungsrichter gehe es um die Verfassung und die Grundrechte - "das ist unser Maßstab und kein anderer".

Rechtsschutz im Asylwesen nicht zurückbauen

Kritisch äußerte sich Bierlein über das im Regierungsprogramm enthaltene Vorhaben, die Möglichkeit der außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Asylfragen zu streichen. "Das Asylwesen ist ein besonders sensibler Bereich, da sollte man den Rechtsschutz nicht zurückbauen." Bierlein plädiert aber dafür, "alles zu tun, um Asylverfahren zu verkürzen" - und möglichst rasch Wirtschaftsflüchtlinge und "echte Asylwerber" zu trennen. Letztere sollte man dann "sofort zu integrieren versuchen".

Zurückhaltend äußerte sich die VfGH-Präsidentin zur Frage der Kürzung der Mindestsicherung für Asylwerber - zumal der VfGH gerade den Antrag des Landesverwaltungsgerichts behandelt, die diesbezügliche Regelung Niederösterreichs aufzuheben. Darüber dürfte in der bevorstehenden Session entschieden werden, sagte Bierlein. Im Dezember sei die Causa nicht finalisiert worden, weil "noch Fragen offen waren". Die Frage, ob es eine bundesweit einheitliche Regelung geben soll, müsse die Politik entscheiden - sei die Sozialhilfe derzeit doch Landessache.

Bierlein will Verhältnismäßigkeit beim Sicherheitspaket

Auch ob die Koalitionspläne für ein "Sicherheitspaket" - mit Ausbau der Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei - verfassungskonform sind, wollte die neue Präsidentin nicht kommentieren. Schließlich werde dieses Gesetz (so es beschlossen wird) "mit hoher Wahrscheinlichkeit bei uns landen". Aber Bierlein verwies bei allem Verständnis für den Wunsch der Sicherheitsbehörden, mit den Kriminellen technisch Schritt halten zu können, auf das vom VfGH schon mehrfach (etwa zur Vorratsdatenspeicherung oder zuletzt beim Staatsschutzgesetz) vorgegebene Gebot der Verhältnismäßigkeit. "Öffentliches Interesse und Grundrechte müssen immer in Balance stehen. In die Grund- und Freiheitsrechte kann nur eingegriffen werden, wenn das durch eine Überwachungsmaßnahme zu schützende öffentliche Interesse höher zu bewerten ist und andere Maßnahmen nicht ausreichen." Im Zweifel habe der VfGH bisher immer zugunsten der Grundrechte entschieden.

Am Gerichtshof will Bierlein die schon unter ihren beiden Vorgängern Karl Korinek und Gerhart Holzinger forcierte Öffnung beibehalten - und so weit möglich noch ausbauen. Der VfGH treffe sehr wichtige Entscheidungen in gesellschaftspolitisch sensiblen Fragen. "Diese verständlich zu transportieren und die Gründe zu erklären ist ein hohes Qualitätsmerkmal", versicherte sie, dass auch ihr die Akzeptanz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen "sehr wichtig" seien.

Das Budget für 2018 ist noch nicht ausverhandelt. Klar ist, dass der VfGH nicht unter den Personalabbau - nur mehr jede dritte freiwerdende Stelle im öffentlichen Dienst soll nachbesetzt werden - fällt. Bierlein würde allerdings gerne ein wenig aufstocken: Nicht bei den 14 Richtern und sechs Ersatzmitgliedern - ihre Zahl ist in der Verfassung verankert -, aber bei deren juristischen Mitarbeitern, die ihnen in der Vorbereitung der Entscheidung helfen. Schließlich sei der Arbeitsanfall von 2016 auf 2017 um 30 Prozent auf mehr als 5.000 Fälle gestiegen - und Bierlein will die (international vorbildliche) Erledigungsdauer von 4,5 Monaten "unbedingt beibehalten".

(APA)

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