Sebastian Kurz’ „gesundes Geschichtsverständnis“

Österreichs Bundeskanzler wurde von „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo zum Gespräch ins Wiener Volkstheater gebeten. Viel Neues erfuhren die Zuhörer nicht - außer vielleicht, dass sich Kurz die Worte Achse und Heimat nicht von den Nazis nehmen lässt. Eine Betrachtung.

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“, ist geübt in Kanzler-Interviews. Seine tiefsinnigen Gespräche mit dem früheren, 2015 verstorbenen, deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt gelten als Kult. Insofern wirkte die Szene auf der Bühne des Wiener Volkstheaters - schlicht mit zwei roten Polsterstühlen bestückt - wie ein Wohnzimmer für di Lorenzo. Bloß die Atmosphäre - die gold-weißen Stuckverzierungen und die rot-samtige Bestuhlung - dürfte den Journalisten daran erinnert haben, tatsächlich gerade in Wien zu sein. Denn das Publikum sprach zu einem Gutteil Bundesdeutsch; „Die Zeit“ hatte am Freitag zu einer Konferenz ins Wiener Museumsquartier geladen.

Der Gesprächspartner war freilich auch ein anderer als der kettenrauchende Schmidt, der Deutschland als SPD-Kanzler etwa durch die Zeit des Deutschen Herbstes geführt hatte. Der Gesprächspartner war Sebastian Kurz, Österreichs 31 Jahre alter Bundeskanzler, der von einer Partei kommt, die traditionell „Bauern und Katholiken“ vertrete, wie „Zeit“-Geschäftsführer Rainer Esser in den Begrüßungsworten anmerkte - was beim Publikum für Gelächter sorgte, ebenso wie Essers Anmerkung, viele Länder Europas würden sich Kurz gerade als Kanzler wünschen.

„Wer hat dich eigentlich hier reingelassen?“

Eine ungewöhnliche Situation wohl also für Kurz, der am Anfang des Abends noch recht bemüht war, di Lorenzos Fragen locker zu parieren. Di Lorenzo und er hatten einander schon 2014 einmal zu so einem Gespräch getroffen. Seither ist bekanntlich viel passiert. Kurz ist kein Außenminister mehr. Also wollte sich di Lorenzo Sebastian Kurz’ Welt von Sebastian Kurz erklären lassen.

Di Lorenzo, der selbst in seinen 30-ern zu journalistischen Ehren gekommen war, fragte etwa, ob Kurz - selbst mit 24 schon Staatssekretär - jemals „ein gesundes Hochstaplergefühl“ gehabt habe, à la: „Wer hat dich eigentlich hier reingelassen?“ Selbst Schmidt, meinte di Lorenzo, habe ihm einmal gesagt, er hätte anfangs das Gefühl gehabt, den Anforderungen des Amtes nicht gewachsen zu sein.

Wer die Hoffnung hatte, von Kurz - der gerade im Umfragehoch schwebt, dem gerade von verschiedenen europäischen Politikern Rosen gestreut werden - halbwegs außergewöhnliche Antworten, persönliche Empfindungen zu seinem Aufstieg und zu seiner Position zu hören, wurde enttäuscht. Nein, so ein Gefühl habe er nicht gehabt, meinte er knapp. Aufgeknöpft und entspannt? So gibt sich Kurz auf der Bühne nicht. Auch nicht auf der des Volkstheaters.

Kurz verteidigt die "Achse"

Vielmehr reagierte er trotzig, fragte di Lorenzo manches Mal nach; etwa, als es um den wegen der faschistischen Vergangenheit umstrittenen Begriff der „Achse der Willigen“ zwischen den Regierungen in Berlin, Wien und Rom ging, den Kurz vor kurzem in Deutschland verwendet hatte. Er sehe nicht ein, warum er den Begriff nicht verwenden dürfte, meinte Kurz, Wien sei damals - im Zweiten Weltkrieg - in der Achse ja nicht dabeigewesen, den von ihm verwendeten Begriff hätte es historisch also nicht gegeben. Was das Publikum dazu verleitete, zu lachen, vielmehr noch, als di Lorenzo Kurz darauf hinwies, dass Nazideutschland Wien ja „eingemeindet“ habe. Kurz gestand schließlich ein, den Begriff der „Achse“ lieber nicht so verwendet zu haben; „Allianz“ gefiele ihm jetzt besser, so lenke es nicht „von der Sache“ - in dem Fall: einer restriktiveren Flüchtlingspolitik für die EU - ab. Kurz meinte, er besitze ein „gesundes Geschichtsverständnis“. Und wolle sich gewisse Wörter, die auch von den Nationalsozialisten verwendet wurden, nicht verbieten lassen. Di Lorenzo wollte wissen, welche das denn seien - Kurz fiel „Heimat“ ein. In Deutschland sei das ja auch erlaubt, da gebe es immerhin Horst Seehofers Heimatministerium, „da geht sich das aus“. „Wir sind da ja völlig unbelastet“, meinte di Lorenzo.

Zu deutschen innenpolitischen Querelen - Bundeskanzlerin Angela Merkel und Seehofer liegen sich gerade wegen der Flüchtlingspolitik in den Haaren - wollte Kurz nichts sagen; vom kleinen EU-Gipfel dieser Tage erwarte er sich jedenfalls keinen großen Wurf. Er versuchte, große Fragen zu umschiffen, meist mit dem Hinweis, man würde pauschalisieren. Zu den ohne Eltern internierten Migrantenkindern an der US-Grenze wollte er etwa kein Urteil abgeben, er habe die Vorgänge nicht im Detail verfolgt. Die Bilder seien „grauslich“ gewesen, und er habe die Sinnhaftigkeit der Maßnahme hinterfragt, das schon.

In den eineinhalb Stunden im Volkstheater ging es viel um den Politiker Sebastian Kurz, um die Einrichtung seiner Büros, das Du-Wort, das er anbiete; nicht besonders aber um seine philosophischen Ansichten. Der Kanzler sagte auch nichts zu seinem Regierungspartner FPÖ oder die Nähe von Regierungsmitgliedern zu Rechtspopulisten und -nationalisten in Europa. Dafür gab es viel Bekanntes zur aktuellen EU-Flüchtlingsdebatte. Mehrmals betonte Kurz, ihm gehe es um „die Sache“. Welche Sache das sei, sagte er nicht. Di Lorenzo schloss mit der Bemerkung, Kurz habe sich „wirklich redlich bemüht, klar zu sprechen. Das was ich verstanden habe, hat mir gereicht“.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.