"Genug ist genug": Sebastian Kurz eröffnet den Wahlkampf

Und schließlich sprach Sebastian Kurz doch.
Und schließlich sprach Sebastian Kurz doch. (c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Erst trat Vizekanzler Heinz-Christian Strache wegen der „b'soffenen Geschichte" auf Ibiza zurück. Danach überlegte Kanzler Sebastian Kurz stundenlang und entschied sich für Neuwahlen. Ein türkis-blauer Albtraumtag.

Sebastian Kurz ließ sich bei seinem Auftritt im Bundeskanzleramt einige Minuten Zeit, ehe er die entscheidenden Worte ausspricht. Jetzt, kurz vor 20 Uhr, machte es ohnehin keinen großen Unterschied mehr: Stunden hatte die Öffentlichkeit auf eine Stellungnahme von Bundeskanzler Kurz nach dem Rücktritt von FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache gewartet. Er entschied sich für Neuwahlen.

„Nach dem gestrigen Video muss ich sagen: genug ist genug.“ Darum habe er dem Bundespräsidenten vorgeschlagen, „zum schnellstmöglichen Zeitpunkt vorgezogene Neuwahlen durchzuführen.“ Damit ist die türkis-blaue Regierung nach 516 Tage bereits wieder Geschichte. Nur zwei Regierungen gingen in der österreichischen Geschichte noch flotter in Neuwahlen.

Der Auftritt am Samstagabend ist so, wie man es von Kurz gewohnt ist: Kontrolliert, beinahe emotionslos, souverän. Dabei waren die vergangenen 24 Stunden, wie er es selbst nennt, „an Dramatik kaum zu überbieten“. Am Abend davor hatten die „Süddeutsche Zeitung“ und der „Spiegel“ Videomaterial veröffentlicht, in dem Heinz-Christian Strache (damals FPÖ-Klubchef) und Johann Gudenus (damals Wiener Vizebürgermeister) im Sommer 2017 in einer Villa auf Ibiza mit einer angeblichen Oligarchin Pläne schmieden. Unter anderem stellte Strache staatliche Aufträge für Wahlkampfhilfe in Aussicht.

„Auch wenn mich die Methoden an Tal Silberstein erinnern“, sagt Kurz bei seinem Auftritt, „der Inhalt ist, was er ist“. Damit spricht der Bundeskanzler eine Theorie aus FPÖ-Kreisen an, das Videomaterial könnte im Zusammenhang mit dem ehemaligen Dirty-Campaign-Spezialisten der SPÖ stehen. „Was in dem Video über mich gesagt wird – von Beschimpfungen und derben Anschuldigungen –, das ist alles nebensächlich“, sagt Kurz. „Was wirklich schwerwiegend und problematisch ist, sind die Ideen des Machtmissbrauchs.“ Auch das „Verständnis gegenüber der Medienlandschaft in unserem Land“ sei nicht seines. „Die FPÖ schadet dem Ansehen unseres Landes“, sagt Kurz.



„Das Schlimmste“ an diesem Tag sei allerdings gewesen, „dass einige Vertreter nicht den Eindruck erweckt haben, dass der Wille da ist, die Partei auf allen Ebenen zu verändern“. Nach den Geschehnissen sei das allerdings „mehr als nur notwendig“.

Damit ist Kurz schon Mitten im Wahlkampf angekommen: Inhaltlich habe die türkis-blaue Koalition gut gearbeitet, er danke ausdrücklich allen Regierungsmitgliedern. Jetzt wolle er aber eine Mehrheit im Land. Und einen klaren Regierungsauftrag der Bevölkerung.

„Verstörendes Sittenbild"

Wenig später öffnete Bundespräsident Alexander Van der Bellen die rote Tapetentür der Hofburg. Nach anfänglichen Tonproblemen fand er in seiner fünfminütigen Rede ungewöhnlich deutliche Worte: Es habe sich in den vergangenen Stunden „ein verstörendes Sittenbild“ gezeigt. Das Video sei beschämend gewesen. Deshalb sage er „in aller Deutlichkeit: So sind wir nicht, so ist Österreich einfach nicht“.
Das, was sich einzelne FPÖ-Politiker geleistet hätten, sei eine „dreiste und unerhörte Respektlosigkeit“ gewesen. Das toleriere er nicht. Das Vertrauen in die türkis-blaue Bundesregierung sei „grundsätzlich erschüttert“. Dieses wieder herzustellen sei nur mit Neuwahlen möglich.

Am Sonntag wird es ein neuerliches Treffen zwischen ihm und dem Kanzler geben. Dabei sollen die nächsten Schritte geklärt werden. Die Vorfälle sollen, wie der Bundespräsident sagte, jedenfalls „schonungslos aufgeklärt“ werden. Während Van der Bellen das sagte, jubelte und feierte die Menge vor der Hofburg. Seit Stunden standen laut Polizeiangaben bis zu 5000 Demonstranten vor der Hofburg und schrien nach „Neuwahlen jetzt“. Am Abend erfüllte sich ihr Wunsch.

Zur Demo am Ballhausplatz: Wo warst du, als Strache zurückgetreten ist? >>>

Der Grundstein dafür wurde zu Mittag ein Haus weiter, im Palais Dietrichstein, gelegt. Um 12.15 Uhr, nach einem Gespräch mit dem Kanzler, trat Heinz-Christian Strache vor eine ungewöhnlich große Menge an Fernsehkameras. Auf dem Stehpult, hinter dem sich Strache positionierte, hatten gar nicht mehr alle Mikrofone Platz. Es waren auch viele internationale Fernsehstationen gekommen. „Vizekanzler“ stand auf dem Banner hinter Strache geschrieben. Das sollte er nach seiner elfminütigen Rede nicht mehr sein.

Doch bevor er seinen Rücktritt verkündete, schimpfte er über das „gezielte politische Attentat“. Er habe schon viele Verleumdungen zu ertragen gehabt. Doch das Ibiza-Video sei „an Niederträchtigkeit nicht zu überbieten“. Eine Aktion in „Silberstein-Manier“. Dabei sei ihm strafrechtlich nichts vorzuwerfen. Illegal sei bei dem „Abendessen“, wie Strache das sechsstündige feuchtfröhliche Treffen auf Ibiza bezeichnete, einzig die Videoaufzeichnung gewesen. Dagegen werde er auch rechtlich vorgehen. Er habe mit der in dem Video zu sehenden Frau „nie wieder Kontakt“ gehabt – auch niemand anderer aus der Partei.

„Ja, es war b'soffene Geschichte“

„Ja, es war b'soffene Geschichte“, sagte Strache. Nüchtern gesehen sei das „katastrophal und ausgesprochen peinlich“. Er habe sich prahlerisch wie ein Teenager verhalten und die „attraktive Gastgeberin“ mit dem „typisch alkoholbedingten Machogehabe“ beeindrucken wollen. Denn abgesehen von versprochenen Aufträgen im Gegenzug zu Parteispenden, von einem Umbau des österreichischen Mediensystem nach dem Vorbild Ungarns ließ Strache auch anzügliche Bemerkungen über die vermeintlich reiche Lettin fallen.

Er habe über „alles und jeden polemisiert“ und einige Menschen in Misskredit gebracht. Dabei ist offenbar auch sein bisheriger Koalitionspartner, Kanzler Kurz, nicht verschont geblieben. Strache hat über „unüberprüfte, schmutzige Gerüchte“ gesprochen. Tatsächlich kursieren im Internet auch schon Videoausschnitte davon. Strache entschuldigte sich zuerst bei Kurz und dann bei „dem wichtigsten Menschen in meinem Leben“, bei seiner Frau, die er „zutiefst verletzt“ habe. Er wisse, sagte er mit feuchten Augen, dass sie zusehe und blickte in die Kameras: „Ich hoffe, du kannst mir verzeihen“.

Erst nach dieser langen Erklärung verkündete Strache, flankiert von den blauen Ministern Karin Kneissl, Beate Hartinger-Klein, Herbert Kickl und Norbert Hofer, seinen Rücktritt. Bereits am Sonntag wird das Bundesparteipräsidium tagen. Dabei wird Strache nach 14 Jahren sein Amt als Parteichef zurücklegen und Norbert Hofer übergeben. Auch der geschäftsführende Klubobmann Johann Gudenus, der mit Strache in dem Ibiza-Video zu sehen ist und den Kontakt zu der vermeintlichen Oligarchen-Nichte hergestellt hat, trat von allen Ämtern zurück – darunter auch von der Spitze der Wiener Landespartei.

Die Regierung, wünschte sich der scheidende Vizekanzler, solle aber weiter Bestand haben. Seine Person dürfe nicht der Grund für das Ende der türkis-blauen Koalition sein. Es gebe noch viel zu tun. Das Regierungsprogramm müsse umgesetzt werden. Es wird dazu nicht kommen.

Kanzler Kurz verkündete das beinahe sechs Stunden später, als seine eigentliche Stellungnahme angekündigt war. Was war in der Zwischenzeit geschehen? Der Kanzler wälzte seit Freitagabend alle Optionen hin und her. Kurz saß mit seinen Getreuen im Bundeskanzleramt bis nach Mitternacht zusammen: mit seinem Strategieberater Stefan Steiner, seinem Kommunikationschef Gerald Fleischmann, seinen Pressesprechern Etienne Berchtold und Johannes Frischmann, seinem Kabinettschef Bernhard Bonelli und Regierungskoordinator und Kanzleramtsminister Gernot Blümel.

Kickl sollte gehen

Die Gespräche mit dem „engsten Kreis“ zogen sich auch nach der Rücktrittserklärung Straches weiter. Stundenlang. Auch mit dem Bundespräsident war der Kanzler in Kontakt, mit Hofer sprach allerdings nur ÖVP-Regierungskoordinator Gernot Blümel.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), der umstrittenste Minister der Koalition, sollte weichen, hörte man. Immerhin war der jetzige Innenminister zum Zeitpunkt der Videoaufnahme Generalsekretär und damit für Finanzen zuständig. Für die Freiheitlichen war das aber ausgeschlossen. Hofer traute man am Ende nicht zu, die Partei in Zukunft im Griff zu haben.

Am späten Nachmittag soll Kurz den Entschluss endgültig gefasst haben, die Koalition aufzukündigen. Er wollte die Entscheidunge allerdings noch mit den Landeshauptleuten der ÖVP besprechen: Thomas Stelzer in Oberösterreich, Johanna Mikl-Leitner in Niederösterreich zum Beispiel. Auch die Bünde der Volkspartei mussten informiert werden. Zuvor fand auch ein vertrauliches Vier-Augen-Gespräch zwischen Kurz und Strache statt. Man einigte sich darauf, ihm einen würdevollen Rücktritt zu ermöglichen – zumindest den Umständen entsprechend.

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