"Herbeikonstruierte Einsparungen": Kritik an Kassenreform

Gesundheitsministerin Brigitte Zarfl
Gesundheitsministerin Brigitte Zarfl APA/ROLAND SCHLAGER
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Arbeiterkammer und Gewerkschaften glauben die vorgelegten Zahlen nicht. ÖVP und FPÖ verteidigen die Fusion und werfen Sozialministerin Zarfl vor, bewusst Informationen zurückzuhalten.

Die geschätzten Kosten für die Reform der Sozialversicherung sowie die geplante Reduktion von 1500 Dienstposten haben am Mittwoch für scharfe Kritik von roten Gewerkschaftern gesorgt. Die Arbeiterkammer rechnet zudem mit weitaus höheren Kosten. ÖVP und FPÖ rückten zur Verteidigung der Fusion aus und warfen Sozialministerin Brigitte Zarfl vor, bewusst Zahlen zurückzuhalten.

Der angekündigte Stellenabbau von 1500 Dienstposten werde "zu einer massiven Verschlechterung des Gesundheitssystems führen", zeigte sich der Chef der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG), Rainer Wimmer, überzeugt. Für die Patienten "bedeutet eine Personalreduktion dieser Größenordnung längere Wartezeiten, Verzögerungen bei der Bearbeitung von Anträgen und Einschränkungen im Angebot", warnte er.

Außerdem werden Zweifel am Gutachten zu den Einsparungseffekten gehegt. Das Gutachten bestehe "großteils aus zweifelhaften Zahlenspielen", sagte David Mum, Mitglied im Überleitungsausschuss der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) für die FSG. Die "herbeikonstruierten Einsparungspotenziale" seien "real nicht nachvollziehbar". Die geschätzten Einsparungen würden sich außerdem auf den Verwaltungsaufwand der gesamten Sozialversicherung (Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung) beziehen, die Reform betreffe aber fast nur die Krankenversicherung.

AK geht von 2,1 Milliarden Euro Kosten aus

Nach Einschätzung der Arbeiterkammer werden die Kosten für die Fusion weit höher liegen als die im Gutachten genannten 300 bis 400 Millionen Euro. Sie rechnet bis 2023 mit Kosten von rund 2,1 Milliarden Euro. Die künftige Bundesregierung müsse das Umbauvorhaben daher unter "intensiver Einbeziehung der Sozialpartner" überarbeiten, forderte die Arbeiterkammer.

Auch Christoph Matznetter, Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbands, beurteilte die Reform als "türkis-blaue Kostenfalle". Er forderte ebenso wie der Präsident des SPÖ-Pensionistenverbandes, Peter Kostelka, eine sofortige Rückabwicklung der Fusion. "Die versprochene Patientenmilliarde hat sich damit jetzt schon in Luft aufgelöst", urteilte Kostelka.

Wöginger: „Zarfl entpuppt sich als SPÖ-Parteisoldatin"

"Die Kassenfusion bringt die Patientenmilliarde, das belegt auch eine Studie", betonte dagegen ÖVP-Klubobmann August Wöginger in einer Aussendung. "Hier entpuppt sich Sozialministerin Zarfl, deren Kabinettchefin SPÖ-Kandidatin bei der Nationalratswahl war, als SPÖ-Parteisoldatin", meinte er. "Die von Schwarz-Blau auf Schiene gebrachte Kassenfusion ist mit Sicherheit ein Meilenstein in der Geschichte des österreichischen Gesundheitssystems", zeigte sich auch die freiheitliche Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch überzeugt. Auch ÖVP-Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec bezeichnete die Kassenfusion als "richtigen und wichtigen Schritt".

Ein Gutachten, das vom Sozialministerium unter der früheren FPÖ-Ministerin Beate Hartinger-Klein in Auftrag gegeben wurde, beziffert das Einsparungspotenzial der Reform der Sozialversicherung mit rund 300 Millionen Euro jährlich. Es enthält auch eine Schätzung der einmaligen Fusionskosten, die mit 300 bis 400 Millionen Euro taxiert werden. Die amtierende Sozialministerin Brigtte Zarfl hatte diese Zahl zuletzt in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung aus dem Gutachten zitiert, ohne weitere Details zu nennen.

(APA)

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